Die Welt stört!

Stefan Wilkening liest Henning Mankells Roman "Tea-Bag"

Von Brigitte OchsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Brigitte Ochs

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was passiert, wenn ein stets um seine Sonnenbräune besorgter schwedischer Lyriker und drei sich illegal in Schweden aufhaltende Flüchtlingsmädchen aufeinandertreffen? Die zahlreichen kulturell bedingten Schwierigkeiten und Missverständnisse, die aus einer solchen Kombination entstehen, schildert der insbesondere durch seine Wallander-Krimis weltberühmte Erfolgsautor Henning Mankell mit amüsanter Leichtigkeit.

Der Schriftsteller Jesper Humlin ist wirklich ein bemitleidenswerter Mann: Seine Freundin will endlich ein Kind von ihm, seine 87-jährige Mutter versüßt sich ihren Lebensabend, indem sie Telefonsex anbietet, und sein Verleger möchte, dass er statt seiner schwer verständlichen Gedichtsammlungen einen Kriminalroman schreibt. Zudem drohen Mutter und Freundin ständig damit, selber Bücher zu schreiben. Das ruft bei Humlin große Angst hervor - könnte aus ihnen doch eine ernstzunehmende Konkurrenz entstehen. Kurz gesagt: "Die Welt stört!" Als wäre das nicht schon genug, wenden sich auch noch drei Flüchtlingsmädchen an Jesper Humlin, die von ihm das Schreiben lernen möchten. Eine von ihnen ist Tea-Bag, die sich ihren ungewöhnlichen Namen beim Anblick einer schmutzigen Teetasse kurzerhand selbst gab. Seit ihrem ersten Treffen fühlt sich der Lyriker Humlin zu ihr hingezogen, und der Hörer wartet während der gesamten Erzählung gespannt darauf, ob sich zwischen dem ungleichen Paar eine Liebesgeschichte entspannen wird. Seltsam muten die Motive der Mädchen an, Schreiben zu lernen: sie versprechen sich davon, Soap-Star oder TV-Moderatorin zu werden. Humlin nimmt sich ihrer an, und damit hält das Chaos erst so richtig Einzug in sein Leben. Er investiert sehr viel Zeit in sie und gerät in allerhand unangenehme Situationen. So wacht er beispielsweise eines Tages zusammengeschlagen in einem Krankenhaus auf, weil er einem fremden Mädchen die Wange getätschelt hat. Doch nach und nach eröffnet sich Humlin im Umgang mit den Flüchtlingsmädchen eine neue, zwar völlig fremde, doch letztlich auch beeindruckende Welt. Schriftstellerinnen werden sie zu guter Letzt nicht; würden sie die spannenden Geschichten von ihrer Flucht aber einfach aufschreiben, anstatt sie nur zu erzählen, könnten sie damit sicherlich einen Bestseller landen. Denn diese Geschichten hören sich keineswegs wie spontan erzählt an (was sie zu sein vorgeben), sondern scheinen eher sorgfältig durchdacht. In Anbetracht der kaum vorhandenen Schulbildung der Mädchen steht ihre Erzählweise doch auch in einem eigentümlichen Widerspruch zu ihrem kulturellen Hintergrund.

Dem Schauspieler Stefan Wilkening, der seit 2000 zum festen Ensemble des Bayerischen Staatstheaters in München gehört, ist es gelungen, diesen faszinierenden Roman sehr abwechslungsreich zu sprechen. Besondere Brillanz erreicht er dabei in der Rolle des von der Welt und seinen Mitmenschen geplagten Jesper Humlin.

Titelbild

Henning Mankell: Tea-Bag. 4 CD.
Der Hörverlag, München 2003.
288 min, 27,95 EUR.
ISBN-10: 3899401964

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch