Belangloses aus dem Paradies

Georg M. Oswalds Roman "Im Himmel"

Von Ulla TiggesRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulla Tigges

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ach ja, man hat's nicht leicht als Anwaltssöhnchen in Welting am Starnberger See. Die erfolgreichen Eltern mit ihrem locker sitzenden Portemonnaie und dem liberalen Gebaren, das sie aus 68er Zeiten herübergerettet haben, nehmen einem doch tatsächlich allen Wind aus den Segeln. Dabei müsste man als 20jähriger Schulversager doch eigentlich gegen die versnobte Upper Class Clique aufbegehren. Der Erzähler in Georg M. Oswalds Roman "Im Himmel" macht sich jedoch in dieser Hinsicht nichts vor. Gleich am Anfang stellt er fest: "Ich bin einer von ihnen, auch wenn man mich nie gefragt hat, ob ich das sein will. Möglich, dass sich das eines Tages ändern wird, ich bin wirklich jung genug, um darauf hoffen zu können."

Als "einer von ihnen" führt er uns denn auch sein Milieu vor Augen. Nachdem die Eltern ihn in einem Nobel-Internat - dem Ort der letzten Hoffnung auf das Abi - abgeliefert haben, sieht der Erzähler sich genötigt Rückblick zu halten. Dabei beschränkt er sich, seinem Alter gemäß, auf die eben zu Ende gegangenen Sommerferien, die er im heimatlichen Villenviertel, dem sogenannten "Paradies" verbracht hat. Rechtfertigend schickt er voraus: "[I]ch könnte nicht behaupten, dass mir klar wäre, was ich mit meiner Geschichte sagen will. Ich weiß nur, dass ich sie erzählen muss. Sie handelt von Verrat, von Geld und Tod, vielleicht auch von Liebe, und doch beschleicht mich, wenn ich es bedenke, der klammheimliche Eindruck, all das sei von ungeheurer Nichtigkeit." Große Themen klingen da an, doch beschleicht den Leser der Verdacht, das Erzählen könnte wichtiger werden als der Stoff. Das muss nicht unbedingt ein Makel sein, solange die Erzähler-Figur durch ein solches Verfahren an Profil gewinnt und somit für den Leser interessant wird. Um es gleich vorwegzunehmen: dies gelingt nicht.

Wurde Oswald nach dem Erscheinen seiner Romane "Alles was zählt" und "Party Boy" noch mit Böll oder gar Houellebecq verglichen, so lässt das Szenario diesmal eher an "Derrick" denken: Es ist die Welt der Schönen und Reichen, hier vertreten durch zwei Anwaltsfamilien (zur einen gehört der Erzähler). Alle Rituale und Attribute, die zum Klischee dieser Welt gehören, finden sich auch hier: luxuriöse Gartenpartys auf Seegrundstücken, junge Leute, die ihre Nachmittage zugekifft am Pool totschlagen, Nobelkarossen, Smalltalk und der über allem schwebende Hauch von Dekadenz. Da dürfen natürlich auch delikate Liebschaften nicht fehlen: so teilen sich die Nachbarstochter und ihre Mutter einen Liebhaber, was kein Hindernis für die vorteilhaft arrangierte Hochzeit mit dem Sohn eines Immobilienmaklers bedeutet. Besagte Hochzeit endet jedoch im Fiasko. Als Show Down beschert uns Oswald schließlich sogar einen Toten. Doch das Ereignis, das im Krimi die Fassade zum Einsturz gebracht hätte, hinterlässt hier nicht mehr als eine kurze Irritation, so wie jedes Ereignis letztlich belanglos ist. Wenige Tage nach der Hochzeit hat man die Fassung wieder gewonnen: "Im nächsten Moment kam das erste Auto jener Kolonne frisch geputzter Wagen, wie sie nur zu Hochzeiten, großen Geburtstagen und Beerdigungen auffahren." Diesmal ist es eine Beerdigung.

All das schildert uns der Erzähler aus der Sicht des passiv Beteiligten. Sein Standpunkt ist zwischen Staunen und Gleichgültigkeit nicht so genau auszumachen. Hin und wieder gibt ein ironisierender Blick auf das Geschehen Anlass zum Schmunzeln - leider jedoch zu selten, um die Banalitäten verdaulicher zu machen, die Oswald seinem Erzähler in den Mund legt: "[A]lles war so flatterhaft und fahrig geblieben, irgendwo zwischen ganz großem Spaß und ganz großer Leere. Ich hatte keine Lust, eine verunglückte Kopie meiner Eltern zu werden." Solche Äußerungen ohne jede ironische Brechung ziehen sich durch den ganzen Roman. Die Figuren wirken wie Statisten und verharren einschließlich der Erzählerfigur in ihrem jeweiligen Rollenklischee. Vielleicht wollte Oswald damit zeigen, dass diese Welt tatsächlich genau so ist, wie wir sie uns vorgestellt haben. Die anfangs zitierte Rechtfertigung erweist sich im Nachhinein jedoch als begründet. Wenn es auch für einen jungen Mann aus diesen Kreisen unabdingbar sein mag, sich erzählend Distanz zu verschaffen und somit der "Nichtigkeit" etwas entgegenzusetzen, so ist die Notwendigkeit seine Geschichte zu lesen weniger zwingend.

Titelbild

Georg M. Oswald: Im Himmel. Roman.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2003.
192 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3498050354

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