Weltuntergang pünktlich um Mitternacht

"Apokalüpse Nau" beim portugiesischen Romanciers Rui Zink

Von Roland KroemerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roland Kroemer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Countdown läuft. Noch ein paar Stunden, dann fällt der Vorhang. Und zwar für immer. Aus. Ende. Feierabend. Denn während sich die Menschheit auf das Fest der Feste, auf den Jahrtausendwechsel, vorbereitet, hat sich Satan höchstpersönlich etwas ganz Besonderes ausgedacht: Den Weltuntergang pünktlich um Mitternacht. Den großen Knall am Ende. Und weil sich "der Andere", der alte Mann mit dem langen, weißen Bart, längst entnervt von der eigenen Schöpfung abgewandt hat und sich seit Ewigkeiten nicht mehr blicken läßt, steht es gar nicht gut um die Zukunft der Erde.

So weit, so bekannt. Der Weltuntergang wurde in den 90ern - ob in Literatur oder Film - so häufig beschworen, daß man "Apokalüpse Nau" des portugiesischen Romanciers Rui Zink mit einer gehörigen Portion Skepsis zu lesen beginnt. Schon wieder ein Armargeddon? Fällt den Autoren denn nichts anderes mehr ein? Doch die Bedenken sind nach wenigen Seiten zerstreut. Das drohende Weltende ist nur die Metapher, ein äußerer Rahmen für die eigentliche Handlung. Denn während sich die Abgesandten der Hölle zum letzten großen Coup rüsten, nimmt eine ganz andere Katastrophe ihren Verlauf: ein Silvesterabend im engsten Familienkreis.

Der Unterteufel, der die Familie ausspioniert, kann sich nur wundern. Wundern über das Ehepaar Jorge und Helena, über deren Geliebten Vítor, über den Sohn Pedro und dessen Freundin Sofia. Wundern über die Vehemenz, mit der sie sich gegenseitig zerfleischen. "Die Menschen sind ein beeindruckendes Beispiel von Gefühlstaubheit, das müssen doch selbst Sie als Mensch zugeben, oder? In der großen Festnacht schießen Vertreter Ihrer Spezies Wörter in die Luft, als wären sie ferngesteuerte Missiles, bestückt mit thermonuklearen Raketen. Anstatt daß Sie Feuerwerke in die Luft schießen und Champagnerflaschen öffnen!"

So beobachtet der Teufel halb angewidert, halb fasziniert, wie sich die fünf Personen mit allen Mitteln der Polemik bekämpfen - der Teufel selbst kann von ihnen noch lernen. "Vielleicht hat der Meister deshalb entschieden, den ganzen Spaß zu beenden. Er hatte keinen Bock mehr, weiter Regie zu führen in der Hölle der irdischen Banalitäten." Wozu auch brauchen die Menschen noch einen leibhaftigen Teufel? "Die Hölle, das sind die anderen", wußte schon Sartre. Und seitdem hat sich wenig geändert.

Die Assoziation zu Sartres "Bei geschlossenen Türen" ist kein Zufall. Tatsächlich könnte man sich "Apokalüpse Nau" leicht als Drama vorstellen; der Dialog ließe sich auf der Bühne herrlich inszenieren. Dabei sind die einzelnen Kapitel, vergleichbar den Akten im Theater, so gestaltet, daß die Personen jeweils in anderer Konstellation zusammenkommen und ein neues Sprachspiel entfalten: Da gibt es das Gespräch der Eheleute, die sich längst nichts mehr zu sagen haben und sich aus purer Langeweile gegenseitig verletzen. Da gibt es das Liebesgeflüster der Pubertierenden, die trotz aller Liebe nur Floskeln austauschen. Da gibt es das Gespräch zwischen Betrunkenen, "blinde Monologe, die sich nur an zufälligen Schnittpunkten berühren. Jeder ist verschlossen in seiner Obsession, und die hat mit der Obsession seines Nächsten nur das Äußere gemeinsam."

Erst zwei Stunden vor Mitternacht treffen alle fünf aufeinander: Highnoon im Wohnzimmer, das letzte Gefecht. Der angestaute Haß, jahrzehntelange Ressentiments, alle Wut und Enttäuschung brechen nun aus den Personen hervor, zerstören den letzten Schein einer friedlichen Silvesterparty. Die Menschen selbst sorgen für den großen Knall. Die Bombe platzt. - Aber der Teufel hat frei.

Titelbild

Rui Zink: Apokalüpse Nau. Roman.
Literaturverlag Droschl, Wien 1999.
208 Seiten, 13,80 EUR.
ISBN-10: 3216304833
ISBN-13: 9783216304834

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