Wer danach fragt, hat eins

Philosophische Probleme in einem Sammelband von Joachim Schulte und Uwe Justus Wenzel

Von Malte DreyerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Malte Dreyer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Spätestens seit Newton wird in der Philosophie immer wieder die Frage gestellt, ob es möglich sei, eine Philosophie zu entwickeln, deren Probleme sich genauso präzise lösen lassen, wie die der Mathematik. Dass philosophische Antworten auf ein und dieselbe philosophische Frage sich dennoch voneinander unterscheiden, liegt nicht nur an der Methodenvielfalt, sondern vor allem daran, dass verschiedene Deutungen der Frage konkurrieren. Fünfzehn dieser Deutungen haben Joachim Schulte und Justus Wenzel nun in einem Band versammelt.

Wie die Vielzahl voraussetzungsvoller Einführungen in die Philosophie beweist, ist die Gefahr, mit komplizierten wissenschaftstheoretischen Fragestellungen zu langweilen, diesem Thema immanent. Damit sich ein Text über Grundlagenfragen der Philosophie nicht in Detailfragen einer Fachrichtung verliert, bedarf es mutiger Ideen und eigensinniger Konzepte. Dennoch darf der Anspruch an den Leser nicht soweit zurückgehalten werden, dass Philosophie zu einer populären Lebenshilfe verkommt. Davon sind Schulte und Wenzel weit entfernt. Die von ihnen zur Mitarbeit eingeladenen Autoren nehmen sich des Themas sorgfältig an, ohne pedantisch zu werden, und veranschaulichen komplizierte theoretische Probleme in eingängigen Bildern, ohne zu trivialisieren.

Die Probleme, die von ihnen als Beispiele philosophischer Fragestellungen behandelt werden, gehören zu den klassischen Themenbereichen der abendländischen Philosophie: Was ist Bewusstsein, wie schauen die Dinge hinter unserer Wahrnehmung aus, wie kommen wir zu unseren ethischen Überzeugungen? Weil die unterschiedlichen Antworten auf diese Fragen jeweils unterschiedlichen Auffassungen von Philosophie entsprechen, vermitteln die rund 200 Seiten ein sehr differenziertes Bild gegenwärtigen Philosophierens. Joachim Schulte versucht in seinem Vorwort der Vielfalt dieser Auffassungen einen einheitlichen Gesichtspunkt abzuringen und spricht in einer schönen Metapher von zwei grundsätzlichen Positionen gegenwärtigen Philosophierens. Zum einen gibt es den Entdecker, der ein Gebiet erkundet, dessen Beschaffenheit er durch sein Entdecken zwar nicht beeinflussen kann, dass ohne seine Bemühungen aber niemals jemandem bekannt werden würde. Ihm steht der fortschrittsgläubige Erfinder entgegen, dessen Produkte unmittelbar von ihm und seiner schöpferischen Tätigkeit abhängen. Doch obgleich sich sowohl realistische Entdecker als auch konstruktivistische Erfinder unter den Autoren finden, reichen dieses Kategorien mitnichten aus, um Ordnung in das bunte Chaos verschiedener Ansichten zu bringen. Da findet sich z. B. ein Aufsatz von Georg Meggle, der mit vergleichsweise wenig fachlichen Ausführungen seine Vita mit dem Thema des philosophischen Problems assoziiert. Aber auch Martha Nussbaum bleibt (auf leider nur drei Seiten) weitgehend lebensweltlich, wenn sie schreibt, dass philosophische Probleme solche Probleme sind, die mit einem Höchstmaß an Demokratiebewusstsein und Gesprächskultur diskutiert werden. Dem gegenüber stehen die eher theoretischen Überlegungen, z. B. eines Christoph Menke, der gewitzt Philosophie, Literatur und Dialektik in ein Verhältnis zueinander setzt.

Die Höhepunkte dieser Sammlung werden ohne Zweifel an den Stellen erreicht, an denen abstrakte Überlegungen bildhaft und zugleich sprachlich schlicht vermittelt werden. So verbindet Martin Seel in seinem Beitrag sechs scheinbar vollkommen widersprüchliche Antworten zu einer These und führt dabei meisterhaft vor, dass eine prägnante und eng am Thema ausgerichtete Sprache manchmal mehr zu leisten vermag, als so mancher bedeutungsschwangere Höhenflug in die Sphären der Philosophiegeschichte. Dennoch kann auch er keine erschöpfende Antwort auf die Frage nach dem philosophischen Problem geben. Und so ist es bezeichnend, dass den vielen Fragezeichen in diesem Buch nur vereinzelt Ausrufezeichen, den bescheiden anklingenden Vorbehaltsäußerungen nur wenige nachdrücklich behauptete Aussagen entgegenstehen. Und das tut vor allem denen gut, die sich manchmal von der Schärfe irritieren lassen, mit der viele philosophische Debatten hierzulande geführt werden.

Dass die Sprache, die hier gesprochen wird, eher vermittelnd denn ausschließend erscheint, mag aber auch daran liegen, dass die Autoren nicht dazu angehalten worden sind, zueinander Stellung zu nehmen. Doch die Hoffnung, möglichst verschiedene Antworten zu erhalten und Absprachen zu vermeiden, erweist sich oft als kontraproduktiv. Auch wenn das Substrat der Texte immer differiert, gibt es, vor allem wenn Beispiele aus der Philosophiegeschichte bemüht werden, zu viele Überschneidungen. So findet sich kaum ein Aufsatz, in dem nicht Wittgenstein als Platzhalter für moderne sprachanalytische Probleme herhalten muss, und der von Schulte im Vorwort angeführte Vergleich zwischen Mathematik und Philosophie wird gleich siebenmal bemüht.

Trotzdem sollte dieser Band jedem philosophisch Interessierten einen guten Anlass bieten, das eigene Problembewusstsein in der Erörterung grundsätzlicher Fragen zu schärfen. Uwe Justus Menzel behauptet in einem Nachwort (das dem Anspruch und Umfang einiger Beiträge gleichkommt), dass philosophisches Problembewusstsein spezifisch philosophisch sei, "indem es die Probleme, die es hat, weder lösen noch auflösen, indem es sie vielmehr behalten will". Ähnlich ergeht es einem selbst, nachdem der letzte Beitrag gelesen und das Buch geschlossen ist. Weder hat man eines gelöst, noch hat man es aufgelöst, aber nachdem man danach gefragt hat, kommt man nicht umhin, sich damit herumzuschlagen - mit dem philosophischen Problem.

Titelbild

Joachim Schulte / Uwe J. Wenzel (Hg.): Was ist ein "philosophisches" Problem?
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
224 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3596149312

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