Eine weitere Lektion in angewandtem Nihilismus

Im "Alptraum-Netzwerk" bleibt sich Thomas Ligotti treu, ohne Gefahr zu laufen, zu einer Kopie seiner selbst zu werden

Von Micha WischniewskiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Micha Wischniewski

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit "Das Alptraum-Netzwerk" veröffentlicht der Blitz-Verlag den zweiten Band seiner Reihe "Edgar Allan Poes phantastische Bibliothek" - und eine der großartigsten Anthologien seit langem.

Sämtliche der drei hier versammelten Novellen beziehungsweise Kurzgeschichten setzen sich mit dem alltäglichen Grauen einer von Neoliberalismus und Manchesterkapitalismus geprägten (Wirtschafts-)Welt auseinander, die den Begriff der Effizienz zu ihrer Maxime und den der Umstrukturierung zum Leitwert ihres Handelns auserkoren hat.

In dieser weder schönen noch neuen Welt erleidet der Durchschnittsmensch Frank Dominio, der Protagonist von "Meine Arbeit ist noch nicht erledigt", sein durchschnittliches Schicksal als durchschnittlicher Angestellter einer namentlich nicht genannten Firma: Er fügt sich in sein routiniertes Leben, ringt um soziale Anerkennung, versucht gegen die Intrigen seiner Arbeitskollegen zu bestehen, für die er heimlich nichts als Verachtung übrig hat, und schluckt es einfach, als sein Vorschlag für ein neues innovatives Produkt höflich aber bestimmt zurückgewiesen wird. Als ihm jedoch seine Arbeit - und damit untrennbar verbunden seine Identität - gekündigt wird, lässt er all seinem angestauten Frust dessen tödlichen Lauf. Doch Frank muss überrascht feststellen, dass sich sein Körper mit der Kündigung verändert hat ...

Nicht nur durch ihre ungewöhnliche Länge von über 100 Seiten fällt die Erzählung aus dem Rahmen, in dem sich Ligottis Geschichten üblicherweise bewegen, sondern auch durch ihren Stil: Die in "In einer fremden Stadt, in einem fremden Land" noch so präsente schwarzromantische Bildlichkeit ist nahezu völlig der glatten, oberflächlich glänzenden Welt der New Economy gewichen, und auch die Sprache hat einen grundsätzlichen Wandel erfahren. War sie vorher im positiven Sinne artifiziell, ist sie nun erheblich 'natürlicher', 'normaler' und wirkt, genauso wie die gesamte Geschichte als solche, wesentlich stringenter, kompakter und leichter verdaulich.

Anders die zweite Erzählung, "Ich habe einen speziellen Plan für diese Welt", in der der Zusammenhang zwischen einem ominösen gelben Nebel und den Morden an hochrangigen Angestellten der ,Blaine Company' sowie die Konsequenzen, die deren Ableben mit sich bringen, porträtiert werden; von den im "Alptraum-Netzwerk" dargebotenen Erzählungen erinnert sie in Stil und Umfang am ehesten an frühere Werke des Autors.

Die abschließende Titelgeschichte gleicht eher einem literarischen Experiment denn einer Erzählung im herkömmlichen Sinne. Collagenhaft illustrieren hier Stellenanzeigen, Memos und Werbespots den Untergang des weltumspannenden und alles verschlingenden Konzerns "Oneiricon", ohne dass auf solch 'orthodoxe' Stilmittel wie Charaktere oder eine klassische Handlung zurückgegriffen worden wäre; selbst ein Erzähler ist nur mit viel gutem Willen auszumachen, treffender wäre er als 'Zulieferer von Informationsfetzen' zu bezeichnen.

Auch wenn Ligottis Stil 'eingängiger' geworden ist, so sind die Atmosphäre und grundsätzliche Aussagen seiner Geschichten erhalten geblieben: Zwar mag die Welt oberflächlich betrachtet mit ihren Sonnenseiten prahlen, doch offenbart sich dahinter ihr abgründiges Chaos und ihre völlige Sinnentleertheit, sobald ihre dünne Fassade zu bröckeln begonnen hat. Wie so oft bei Ligotti verschwimmen die Grenzen von Gut und Böse - wenn sie sich nicht vollends relativieren -, und selbst wenn die Protagonisten der ersten beiden Erzählungen mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet sind, sind es doch mit Tragik aufgeladene Charaktere, Antihelden, die um die Primitivität und Nichtigkeit ihrer eigenen Existenz und die allen Lebens wissen. Mit dem "Alptraum-Netzwerk" zeichnet Thomas Ligotti einmal mehr ein so misanthropisch-zynisches wie nihilistisch-desillusioniertes Bild der Menschheit und der Welt im Allgemeinen, wie er sie (zweifelsohne nicht völlig zu Unrecht) sieht.

Eine wahrlich hervorragende Anthologie, die die Messlatte für weitere Publikationen der Reihe in nur schwer erreichbare Höhen geschoben hat.

Titelbild

Thomas Ligotti: Das Alptraum-Netzwerk. Anthologie.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Monika Angerhuber.
Blitz-Verlag, Windeck-Rosbach 2003.
172 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3898409228

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