Ein vergessener Klassiker

Harold L. Drakes Studie "A. E. Van Vogt: Science Fantasy's Icon”

Von Alexander Martin PflegerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Martin Pfleger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Titel mag manchen älteren Leser wehmütig stimmen. Alfred Elton van Vogt, der als einer der "Dinosaurier" des Magazins "Astounding" neben Autoren wie Isaac Asimov, Robert A. Heinlein, Theodore Sturgeon oder James Blish für Jahrzehnte das Antlitz der US-amerikanischen Science Fiction prägte und insbesondere auf die deutschsprachige Nachkriegs-SF einen nicht zu unterschätzenden Einfluss ausübte, ist hierzulande, aber auch in seiner amerikanischen Wahlheimat, seit vielen Jahren nicht mehr aufgelegt worden. Erst seit Kurzem scheint sich in den USA ein Comeback anzudeuten, während seine Popularität in Frankreich seit den 50er Jahren, als sich Boris Vian für ihn einsetzte, bis heute nahezu ungebrochen ist. Trotz seines internationalen Erfolges war er bei der akademischen Kritik dies- und jenseits des Atlantiks - sieht man von Ausnahmen wie Jorge Luis Borges oder Leslie A. Fiedler ab - nicht unumstritten. Er, der immer wieder seine Beschäftigung mit den verschiedensten natur- wie geisteswissenschaftlichen Geheimlehren in seine Werke einfließen ließ, und dessen beste Romane und Erzählungen durch überzeugende Schilderungen fremdartiger Außerirdischer, übermenschlicher Protagonisten und verwickelter Intrigen bestechen und die auf Grund bisweilen surreal anmutender Bildkompositionen von einer geradezu hypnotischen Wirkung auf ihre Leser waren - weshalb man vereinzelt gar Vergleiche zu den Filmen Luis Bunuels zog -, sah sich häufig dem Vorwurf ausgesetzt, dass die philosophischen Implikationen seiner Bücher irgendwo zwischen den Sternen abhanden gekommen und von der rasanten Action völlig überspielt worden seien und er im Wirrwarr der sich gegenseitig jagenden Verschwörungen in seinen Geschichten ebenso sehr den Überblick verloren habe wie die meisten seiner Leser. Zudem nahm man van Vogt gerade in Deutschland sein zeitweiliges Engagement für die Dianetik seines Freundes und Autorenkollegen L. Ron Hubbard übel, der er sich, wie übrigens auch Aldous Huxley und William S. Bourroughs, für einige Jahre widmete, was zu einer Unterbrechung seiner schriftstellerischen Laufbahn führte und erklärt, warum er mit seinen späteren Büchern ab den 60er Jahren nie mehr so richtig Fuß fassen konnte.

Drakes Studie setzt an einem Punkt ein, der weitgehend unwidersprochen bleiben dürfte: der literarhistorischen Bedeutung van Vogts für das Genre Science Fiction. Mit seinen verwirrenden Handlungskonstruktionen war er ein erklärtes Vorbild des inzwischen auch in Deutschland zum Feuilleton-Liebling gewordenen Philip K. Dick, und dass er mit seiner Vorliebe für die Darstellung des Kampfs Einzelner gegen schier allmächtige Superstaaten zumindest thematisch anregend auf George Orwells "1984" wirkte, wird immer wieder geäußert. Seine historische Bedeutung allein, so Drake, rechtfertige bereits die Beschäftigung mit dem Leben und dem Werk eines Autors, dessen wahre Intentionen man oftmals übersehen habe. Dass es bei diesem Anspruch allein nicht bleibt, zählt zu den vielen erfreulichen Überraschungen, die das Buch bereit hält.

Auf knapp 90 Textseiten bietet es einen umfassenden Überblick über van Vogts Schaffen. Von grundlegender Bedeutung ist für Drake der weltanschauliche Hintergrund van Vogts, die verschiedenen Lehren und Systeme, auf die er sich bezog, und die Art und Weise, wie er sie in seinen Werken zum Ausdruck gelangen ließ und wie sich die Haltung des Autors ihnen gegenüber veränderte. Anhand ausgewählter Kurzgeschichten sowie der "Null-A"- und "Ischer"-Romane und des Romanerstlings "Slan" erläutert er die verschiedenen politischen Fragestellungen, die van Vogt immer wieder beschäftigen sollten, beleuchtet thematische und sprachliche Verbindungslinien (insbesondere van Vogts nahezu leitmotivisch zu nennende Verwendung der Farbe Grau) und arbeitet seine oftmals übersehene Abkehr vom Anthropozentrismus der damaligen amerikanischen Magazin-SF heraus. Auch gibt er detailliert Auskunft über van Vogts eigenwillige Schreibtechnik, auf die im allgemeinen die quasi magische Wirkung seines klassisch gewordenen Frühwerks der 40er Jahre zurückgeführt wird - einerseits seine strikte Einhaltung der Gallishaw-Methode, eines damals populären schreibtechnischen Modells, sich längere Texte in Blöcken von knapp 800 Wörtern zu denken, die dann wiederum in fünf etwa gleichlange Unterabschnitte unterteilt werden, andererseits seine Angewohnheit, sich nachts alle 90 Minuten aus dem Schlaf reißen zu lassen und ein paar Seiten weiter zu schreiben, um so direkt sein Unterbewusstsein anzapfen zu können. Am Beispiel der Romane "The War against the Rull" und "The Expedition of the Space Beagle" verdeutlicht Drake zudem detailliert van Vogts Methode des "fix-up", die Technik, einen Roman aus den Textkörpern verschiedener Erzählungen zusammenzusetzen und so etwas Neues zu schaffen, ohne dass dabei die ursprüngliche Erzählsubstanz verloren ginge. Die ideengeschichtliche Betrachtungsweise Drakes ist auch der Grund dafür, dass sich ein Kapitel genauestens mit van Vogts nichtliterarischem Schaffen befasst, seiner Beschäftigung mit der Hypnose, mit verschiedenen psychotherapeutischen und pädagogischen Modellen und seiner lebenslang betriebenen Studien zum Phänomen des gewalttätigen Charakters, die sich nicht nur in theoretischen Schriften, sondern auch in seinem einzigen Nicht-SF-Roman niederschlugen, "The Violant Man", der Geschichte eines US-Amerikaners im maoistischen China. Überdies erfährt man von mancherlei Kuriosa - zum Beispiel von van Vogts Versuch einer Fortsetzung zu Molières "Eingebildetem Kranken". Eine umfangreiche Bibliographie rundet den Band ab.

Drake kam Anfang der 70er Jahre über seine langjährige Beschäftigung mit der Allgemeinen Semantik oder auch nonaristotelischen Logik des polnischen Mathematikers Graf Alfred Habdank Korzybski auf van Vogt, der dieselbe philosophische Richtung Mitte der 40er Jahre zum Gegenstand zweier Romane, "The World of Null-A" und "The Pawns of Null-A" gemacht hatte, die gemeinsam mit einem ca. 40 Jahre später entstandenen dritten Teil, "Null-A-Three", als sein Hauptwerk zu bezeichnen sind. Diese Romane, in denen die Geschichte Gilbert Gosseyns erzählt wird, eines Kaspar Hauser oder Josef K. des 26. Jahrhunderts, der auf der Suche nach seiner wahren Identität von den Vertretern eines korrupten Regimes erschossen wird, in einem zweiten Körper wieder zum Leben erwacht und mittels der Allgemeinen Semantik einen intergalaktischen Bürgerkrieg verhindert, stellten die Grundlage für einen langjährigen persönlichen Gedankenaustausch zwischen Drake und van Vogt dar.

Eine erste Frucht dieser zahlreichen Gespräche und Briefe über literarische, politische, philosophische und psychologische Fragen ist dieses Buch. Im gegenwärtigen deutschen akademischen Betrieb wäre es kaum denkbar gewesen. Es bringt komplizierte Sachverhalte auf eingängige Weise zum Ausdruck, ohne dabei simplifizierend zu wirken. Es versucht, wirkliche Informationen zu vermitteln, statt eine gerade in Mode gekommene Literaturtheorie durchzuexerzieren. Es nimmt seinen Gegenstand ernst, verrät sogar Begeisterung für ihn, ohne ihn zu überschätzen - eine Eigenschaft, die es auch weit über gängige Fanpublikationen hinaushebt, in denen jeder beliebige Weltraumfetzer zur literarischen Jahrhundertgestalt hochstilisiert wird. Dass es wegen seines geringen Umfangs leider mit nur wenigen Einzelanalysen aufwarten kann, ist bedauerlich, aber verkraftbar. Was Drake hier betrieben hat, war Pionierarbeit, der Versuch, einen fast schon vergessen geglaubten Klassiker mit neuen Augen zu lesen und Wege für eine gewandelte Rezeption seiner Werke aufzuzeigen. Ein Anfang ist mit diesem Buch gemacht.

Titelbild

Harold L. Drake: A. E. Van Vogt: Science Fantasy's Icon.
New Danville, Pike 2001.
120 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-10: 1591130549

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