Kreislauf des Wahnsinns

John le Carrés Roman "Absolute Freunde"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Meine Verzweiflung ist die eines Menschen, der den Kalten Krieg erlebte und nun alles sich wiederholen sieht", bekannte John le Carré, der unangefochtene Meister des Spionage-Thrillers, gegenüber der "New York Times". Der 72-jährige britische Autor, der sich zu einem der vehementesten Kritiker der Bush-Administration aufschwang, lässt die Handlung seines 19. Romans nun bis nah an die Gegenwart heranreichen. Die erste amerikanische Irak-Offensive ist beendet, und in den Medien wird über den Verbleib von Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen spekuliert.

Dem von le Carré in seiner Amerika-Kritik prophezeiten "Totalitarismus des Kapitalismus" und den Wiederholungsszenarien sieht sich auch der Ex-Spion Ted Mundy ausgesetzt. Mit Ende des Kalten Krieges hatte er sich aus der Szene der Agenten und Doppelagenten verabschiedet und in Heidelberg eine Sprachschule eröffnet. Die Vergangenheit und der damit verbundene Kreislauf des Wahnsinns holt ihn in Gestalt seines alten Studienfreundes Sascha ein. Der anarchistisch angehauchte Phantast, der einst mit fliegenden Fahnen aus der Benno-Ohnesorg-Szene zum Honecker-Regime überlief, schafft es mit seiner agitatorischen Rhetorik (wie vor rund 30 Jahren), den etwas naiv gezeichneten Ted wieder für seine abstrusen Pläne zu gewinnen.

Ein guruhafter Milliardär namens Dimitri steckt hinter dem neuen Auftrag, mit dem wieder eine Zweiteilung der Welt durch den 11. September 2001 und den Irak-Krieg manifestiert wird. Zwei relativ unbedeutende Figuren wie Ted und Sascha - der eine ein gutgläubiger Gewohnheitstäter, der andere ein besessener Nonkonformist - erliegen der Sucht nach Gefahr, dem Nervenkitzel und dem Irrglauben, den Lauf der Welt beeinflussen zu können. Moralische Skrupel kennt das Duo überhaupt nicht.

Wie schon in seinem Roman "Unser Spiel" (1995), in dem der Tschetschenien-Konflikt vorweg genommen wurde, hat le Carré wieder ein gehöriges Maß an politischem Instinkt bewiesen. Die Rolle, die die Geheimdienste im Vorfeld des Schlages gegen Saddam Hussein spielten, ist noch immer nicht geklärt - ebenso wenig die Hintergründe des Selbstmordes des britischen Waffenexperten David Kelly im Juli letzten Jahres.

John le Carré geht es in diesem Roman nicht um vordergründige politische Botschaften, sondern um die wiederkehrenden Mechanismen der Spionage, um die völlige Selbstaufgabe zweier Individuen, die sich blindlings in die Gefahr stürzen und so zwischen die Mühlsteine der Mächtigen geraten. "Absolute Freunde" ist ein nachdenklich stimmender Roman über den scheinbar alltäglichen Wahnsinn.

Titelbild

John le Carré: Absolute Freunde. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Sabine Roth.
List Verlag, München 2004.
425 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-10: 347178098X

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