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"Das Leben der Fußgänger" versammelt Sebastian Haffners Feuilletons aus den Jahren 1933 bis 1938

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als im Jahre 2000 Sebastian Haffners verblüffend geniales Buch "Geschichte eines Deutschen" erschien, überraschte nicht nur die blitzgescheite Analyse der deutschen Verhältnisse, die seit 1933 vorherrschten, sondern vor allem der Zeitpunkt seines Entstehens. Man fand das Manuskript im Nachlass des ein Jahr zuvor verstorbenen Autors und stellte fest, dass es bereits 1939 im ersten Jahr der englischen Emigration entstanden war. Das war erstaunlich: wie hier jemand, unabhängig von allen historisch-wissenschaftlichen Kategorien, einzig auf seinen genauen Blick auf jene Dinge des Alltags vertrauend, in deren Erscheinung sich die psychologisch-politische Befindlichkeit einer Epoche widerspiegelt, zu einer brillanten Analyse des Nationalsozialismus und seiner Ursachen vordringen konnte. Der widerstandslose Zerfall einer Zivilgesellschaft ist selten so schrecklich plausibel dargestellt worden wie in Haffners Buch: "Ein Deutscher, der dem Nationalismus verfällt", so resümierte Haffner in seinem Buch, "bleibt kein Deutscher mehr, er bleibt kaum noch ein Mensch."

Umso erstaunlicher, dass Haffner in dieser zerfallenden Zivilgesellschaft unter eben den in ihrer Mehrzahl dem Nationalsozialismus verfallenden Deutschen noch bis 1938 als Autor aktiv war. Die hier versammelten Feuilletons aus den Jahren 1933 bis 1938 schrieb Haffner zunächst noch für die noble "Vossische Zeitung" bis diese älteste Berliner Tageszeitung 1934 ihr Erscheinen einstellen musste. Danach wurde die mondäne Illustrierte "Die Koralle" Hauptabnehmer der Haffner'schen Feuilletons, die darüber hinaus in Modejournalen wie "Die neue Linie" oder "Die Dame" erscheinen konnten. In diesen Zeitschriften wurde eine gewisse kulturästhetische Exklusivität von den Nazimachthabern geduldet. Gelegenheit also für junge Autoren ihr Talent zu proben. Die talentierten Jungautoren, zu denen neben Haffner beispielsweise Kurt Kusenberg oder Dolf Sternberger gehörten - darauf weist in seinem kurzen Nachwort des vorliegenden Bandes der Herausgeber Jürgen Peter Schmid hin - profitierten dabei auch von den politischen Umständen, indem sie jene Stellen besetzen konnten, die durch die Entlassung der jüdischen Mitarbeiter 'frei' geworden waren. Als "Nazi-Gewinnler" hat Haffner Jahre später selbst sich einmal bezeichnet ...

Vor diesem Hintergrund sucht man in den kurzen Feuilletons, die der Herausgeber unter Überschriften wie "Wunder des Alltags", "Die lieben Mitmenschen", "Marotten und Laster", "Ratschläge und Lebensweisheiten", "Kurioses und Skurriles" oder "Unterwegs" nach eher zufällig erscheinenden Kriterien zusammengestellt hat, vor allem jenen Beobachter der politisch-ästhetischen Verhältnisse, als welcher Haffner dann 1939 in englischer Emigration zum politischen Analysten wurde. So wird zum Bewertungskriterium der Texte jenes Maß an versteckter Opposition, das man meint erwarten zu dürfen. Man sucht nach dem nonkonformistischen Querdenker und findet ihn in jenen Feuilletons, in denen der Ton des snobistischen Einzelgängers anklingt. In dem (unveröffentlichten) Text "Über den Umgang mit Geld" stilisiert sich Haffner als vom englischen Gentleman beeinflusster nobler Stilist mit Hang zur Extravaganz, dem Geld gerade in dem Masse zu Diensten ist, wie's der Mann von Geschmack braucht. Eben mit Geschmack, so die unkonventionelle Botschaft einiger der Texte in diesem Band, lässt sich ein individueller Lebensstil pflegen, der einstweilen sich noch vor der allgemeinen Gleichmacherei zu behaupten weiß. Der Gegenspieler des Manns mit Geschmack ist der Mann mit einer Weltanschauung. Was sie beide unterscheidet, präzisiert Haffner in dem 1934 entstandenen Text "Kleines Credo". Dieses mit bissigem Unterton angefüllte Selbstbekenntnis blieb freilich unveröffentlicht, denn Sätze wie "Die Weltanschauung rechtfertigt jede Geschmacklosigkeit; deswegen kann der Geschmackvolle keine haben", oder: "Weltanschauungen gehören in eine Kategorie mit Maggisuppen, Konfektion und Cookreisen; mit diesen letzten teilen sie auch noch insbesondere ihre anrüchige Herdenhaftigkeit. Wer eine Weltanschauung hat, hat immer Gesellschaft. Sie ist auch danach", oder: "Weltanschauungen entstellen und verändern den Gesichtsausdruck und den Stimmklang ihrer Anhänger, welch letzteren sie allerdings zu ungeahnter Stärke zu steigern vermögen, auf grauenerregende Weise" waren 1934 zu eindeutige Anspielungen auf die nationalsozialistischen Weltanschauungsfanatiker.

Doch so deutliche Anspielungen sind selten. Zumeist zog Haffner sich auf unverfängliche Themen zurück, die er mit mehr oder weniger ausgeprägter Stilistik zuweilen zu anregenden Feuilletons zu verarbeiten wusste. Einen Beitrag wie "Pawel Pawlitsch speist" macht er zu einer schönen Geschichte von der Würde des Armseins - ausgerechnet in einem russischen Lokal irgendwo in der deutschen Hauptstadt. Ein eben solches Lokal steht auch im Mittelpunkt einer der Impressionen aus der französischen Hauptstadt Paris. Diese Miniaturen der Eigenarten und Kuriositäten des Pariser Lebens vermitteln den zeitgenössischen Lesern einen Eindruck von individueller Lebenslust, die zu finden in Deutschland nicht nur für Haffner zunehmend schwieriger wurde. Statt dessen erinnert Haffner in den beiden Reisefeuilletons "Rheinsberg, Elegie des Ruhms" und "Marienburg - verschüttete Geschichte" an verloren gegangene preußische Traditionen. "Rheinsberg" ist bei Haffner nicht das luftig-leichte Ausflugsziel für Berliner Liebepaare, sondern eine "Stätte der einsamen Anmut, des hoffnungslos tapferen Spiels, des Stolzes, eine Stätte des leichten und festen Trotzdem". Auch die 1934 erschienene Elegie auf die alte Deutschordensstadt Marienburg lässt sich als subtile Distanzierung von den Pseudo-Preußen in Berlin lesen. Haffners Marienburg wird zu einem Traumbild stolzen Trotzes, das er dem "entfesselten Banausentum", "der wildgewordenen Mittelmäßigkeit, von der noch immer alles Übel auf Erden gekommen ist", entgegenstellt.

Von derartigen Gegenläufigkeiten zur verordneten Gleichschaltung der deutschen Alltagsrealität sind die meisten der hier versammelten Feuilletons indes frei. Sie umkreisen unverfängliche Alltäglichkeiten, die zumeist mit lässiger Eleganz 'in Form' gebracht werden. Es sind rückblickend betrachtet stilistische Erprobungen eines jungen Autors, der seine eigentliche Aufgabe erst fand, nachdem er Deutschland verlassen hatte.

Titelbild

Sebastian Haffner: Das Leben der Fußgänger. Feuilletons 1933-1938.
Herausgegeben von Jürgen Peter Schmied.
Carl Hanser Verlag, München 2004.
396 Seiten, 23,50 EUR.
ISBN-10: 3446204903

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