Kalte Liebe

Roland Kochs statische Liebesgeschichte "Ins leise Zimmer"

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist die klassische Dreiecksbeziehung: Paul, Ehemann und Vater einer kleinen Tochter, nimmt eine Stelle als Gastdozent in Leipzig an, lernt dort die hübsche Olivia kennen, verliebt sich, liebt sie, verlässt sie und kehrt zur Familie zurück. Roland Koch hat mit seinem Roman "Ins leise Zimmer" eine unglückliche Liebesgeschichte vorgelegt, die - wie er selbst im Deutschlandfunk gesagt hat - den "Leiden des jungen Werthers" ähneln soll, auch wenn am Ende niemand stirbt. Bei der Umsetzung dieses Anspruchs ist Koch gescheitert. Von echter Liebe mit Schmetterlingen im Bauch ist im Roman nichts zu spüren, kalt ist die Liebe zwischen Olivia und Paul. Der strenge Bauplan des Romans leuchtet wie das Raster eines Stadtplans durch die Zeilen. Alles wirkt gewollt, es fehlt die Leichtigkeit. Wenn Stellen des Romans zu unglaubwürdig werden, lässt Koch seinen Protagonisten Paul den Ort wechseln und mit dem Zug zwischen Leipzig und Amsterdam pendeln ...

Einmal in der Woche fährt Paul von Amsterdam nach Leipzig, entfernt sich von seinem Alltag, seiner Familie, und unterrichtet im Deutschen Literaturinstitut, der ehemaligen Dichterschmiede der DDR. Die Euphorie der Studienanfänger in seinen Seminaren und ihre merkwürdige Mischung von Engagement und Verschlossenheit erinnern ihn an seine eigene Studentenzeit und wecken eine lang unterdrückte Sehnsucht. Während seine Frau Gabriele mit großem Elan ihr gemeinsames Leben einrichtet und nach einer Wohnung sucht, die der jungen Familie ausreichend Platz bieten wird, genießt Paul sein Pendeln zwischen zwei Welten und erliegt dabei dem Charme einer rebellischen und intelligenten Studentin, Olivia. Olivia, die sich mal vorsichtig und unsicher zurückhält und Paul ignoriert, mal nicht von ihm lassen will und ihn bedrängt, bringt Pauls Verstand so sehr durcheinander, dass er in die Alkoholsucht flüchtet.

Wie selbstverständlich stellt Paul fest, er liebe beide Frauen. Er will sowohl auf die Liebe zu Olivia wie auf das Familienleben mit Gabriele und seiner Tochter nicht verzichten. Aber all diese Überlegungen wirken kalt, so kalt wie die Schilderung des ersten sexuellen Kontakts zwischen Olivia und Paul: Direkt nach der Beschreibung des Zimmers, dem Geigenkasten und der Bücher küsst er sie, wird ausgezogen - und der Geschlechtsakt wird vollzogen. Der Beschreibung nach ähnelt der Akt dem Beischlaf mit einer Prostituierten: "Später drehen sie sich herum, Paul liegt oben, dann kniet er hinter ihr, sie seufzt, sie streckt sich, sie ist eine normale junge Frau mit normalen Reaktionen, es gibt kein Geheimnis, keine Verbiegung." Ein verliebter Mensch analysiert die ersten intimen Schritte mit der neuen Liebe doch niemals als "normale Reaktionen" einer "normalen Frau"!

Im Verlauf der tagebuchartigen Erzählungen überkommt den Leser dann auch noch ein Gefühl von Mitleid mit dem ständig betrunkenen Paul als dem Opfer von unglücklichen Umständen. Dass Paul eigentlich der skrupellose Täter ist, der seine Frau betrügt, wird völlig vergessen. Der Mann scheint dem Weiblichen erliegen zu müssen, scheint von Olivia so abhängig gemacht worden zu sein, dass er nach dem Verlust der Geliebten gar schwer erkrankt. Paul verletzt Gabrieles Gefühle und darf wie selbstverständlich nach heiligen Versprechen wieder zu ihr zurück. Gabriele hatte den Betrug ihres Mannes längst aufgedeckt, handelt aber nicht selbst, verlässt ihn nicht. Im Gegensatz zu Michel Houellebecq trifft Koch nie direkte Schuldzuweisungen und weist gerade durch seine Zurückhaltung die Schuld dem weiblichen Geschlecht zu: Es liegt in der Natur der Männer, sich der weiblichen Versuchung nicht entziehen zu können. Paul kann also gar nichts dafür, dass er mit dem zurückhaltenden Mädchen schläft, das in ihm einen Vater zu erkennen glaubt, während seine Frau sich um seine Tochter kümmert.

"Ins leise Zimmer" ist eine sehr zähe, unglaubwürdige und platte Liebesgeschichte. Der lyrische Ton des Romans ist herbeigezerrt, als läge ein Lehrbuch über das Schreiben einer einfachen Liebesgeschichte vor, das nicht ganz vollendet ist. Wer sich davon nicht selbst überzeugen möchte, sollte einen Bogen um das Buch schlagen.

Titelbild

Roland Koch: Ins leise Zimmer. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003.
240 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3462033123

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