Die Alte ist tot, die Bürde weg

Arthur Schopenhauer über den Umgang mit dem weiblichen Geschlecht

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit der Antike, so zeigt der Fall Sokrates und Xanthippe, ist das Verhältnis zwischen Philosophen und der Damenwelt generell konfliktgeladen. Aristoteles machte sich zum Gespött des makedonischen Hofes, als eine kurvenreiche Schönheit auf seinem Rücken umher trug - in der Hoffnung, dass sie ihn erhöre. Ihren vorläufigen Höhepunkt findet die Idee von der Unvereinbarkeit von philosophischer Tätigkeit und dem Umgang mit Frauen in einem Diktum Nietzsches, das sehr frei übersetzt ungefähr so lautet: Frauen muss man hauen. Doch sind schlagkräftige Argumente beileibe nicht der einzige Weg, den Kontakt mit dem weiblichen Eigensinn aufzunehmen.

Während Nietzsche gegen das schöne Geschlecht zumindest verbal ausholte, verhöhnt sein Vorgänger Arthur Schopenhauer die Frauen im Fleische wie kaum ein anderer Denker. Dabei fällt der Stellenwert der in der Anthologie "Die Kunst, mit Frauen umzugehen" zusammengestellten Unflätigkeiten höchst unterschiedlich aus. Er reicht von lebenspraktischen Ratschlägen, wie sich Männer vor lockenden Fallen, verhängnisvollen Fährnissen und entnervenden Verwicklungen schützen können, bis zu der berühmten "Metaphysik der Geschlechtsliebe" im 44. Kapitel der "Ergänzungen" für die zweite Auflage der "Welt als Wille und Vorstellung". Kunstgriffe, wie man dem weiblichen Geschlecht und seiner Launenhaftigkeit wirksam Paroli bietet, stehen neben einer ihrer Absicht nach streng wissenschaftlichen Anthropologie des weiblichen Verhaltens.

Schopenhauer wäre wie gesagt nicht Schopenhauer, würde er nicht auch beim Thema Frauen ungeschminkt und mit der ihm eigenen Schonungslosigkeit vom Leder ziehen. Lüge, Verstellung, Verschwendungssucht - es gibt kaum eine schlechte Eigenschaft, die er dem anderen Geschlecht nicht nachsagt. Man(n) sei also gewarnt: "Die Weiber denken in ihrem Herzen, die Bestimmung der Männer sei, Geld zu verdienen, die ihrige hingegen, es durchzubringen." Wer dieses Erfahrungsapriori schon für uncharmant hält, der ist gut beraten, das Büchlein gleich wieder aus der Hand zu legen. Denn damit ist das Ende der Fahnenstange noch längst nicht erreicht. Kann man eine ältere Frau hässlich nennen? Schopenhauer kann. Ruft die weibliche Figur in den richtigen Proportionen beim Mann Wohlgefallen hervor, so erregt sie Abscheu und Widerwillen, wenn die besten Lendenstücke erst abgehangen sind.

Ein junges Mädchen, meint Schopenhauer, sei ein dramaturgischer "Knalleffekt" der Natur, denn seine überreiche Schönheit verpuffe innerhalb weniger Jahre auf Kosten der ganzen übrigen Lebenszeit. Kurzerhand befindet Schopenhauer, dass "das Weib [...] mit vierzig Jahren zur Geschlechtsbefriedigung untauglich" ist. Auch auf schöngeistigem Gebiet lässt der grantelnde Weltverächter kein gutes Haar an den Frauenzimmern. In Schopenhauers Augen sind die Frauen weder für Poesie, noch für Musik, noch für die bildenden Künste empfänglich; jeder Kontakt mit ihnen gerate unweigerlich zur "Äfferei". Überhaupt war er von der subalternen Stellung der Frau, ihrer Bestimmung zum Gehorsam, zutiefst überzeugt.

Wenn Schopenhauer die Liebe schließlich doch als eine metaphysische Macht anerkennt, die zwei Individuen verschiedenen Geschlechts zusammenbringt, dann scheint er dieses Zugeständnis schon im gleichen Atemzug widerrufen zu wollen. Der sich im Geschlechtstrieb objektivierende Wille zum Leben ist blind, die Frau allenfalls eine reizende Chimäre, bei deren Anblick der liebende Mann "über alle jene ihm widerlichen Eigenschaften die Augen" verschließt. Im Klartext: Das freundliche Bild der Frau beruht auf Verblendung, hinter jedem liebreizenden Gesicht versteckt sich die grässliche Fratze des Hausdrachens.

Es versteht sich fast von selbst, dass Schopenhauer die Einrichtung der Ehe mit derselben Nonchalance erledigt. Die eheliche Gemeinschaft, warnt er, laufe zwangsläufig darauf hinaus, "seine Rechte zu halbieren und seine Pflichten zu verdoppeln". Oder, noch etwas drastischer: "Heiraten heißt, mit verbundenen Augen in einen Sack greifen und hoffen, dass man einen Aal aus einem Haufen Schlangen herausfinde."

In der Tat scheint es die Natur so eingerichtet zu haben, dass Männer und Frauen nicht so recht zueinander passen. Während der Mann bei einer Frau nach Schopenhauers Dafürhalten nur für die Hälfte der Dauer seiner Zeugungsfähigkeit Befriedigung findet, könnte sich die Frau in der kurzen Zeit ihrer Blüte mehreren Männern hingeben und so ihre Wünsche besser befriedigen. Stattdessen plagt sich der Mann nachher mit einer alten Frau, welche ihrerseits auch nicht auf ihre Kosten kommt. Das lässt zumindest ein gewisses Maß an Objektivität erkennen. Vielleicht war Schopenhauer ein verbitterter Frauenhasser, bis zum kategorischen Frauenfeind hat er es nicht gebracht.

Eine der Lösungen, nicht blindlings in die Ehehölle hineinzustolpern, ist, auf die Stimme der Vernunft zu hören. Schopenhauer empfiehlt, die Familie der Braut sorgsam zu prüfen und Außenstehende urteilen zu lassen, anstatt sich bei seiner Wahl auf unbändige Leidenschaften und "tolle Brunst" zu verlassen. Auch Krankheiten, die die Macht des Geschlechtstriebs dann und wann mildern, können sich als dienlich erweisen. Ins richtige Lot wird die trügerische Natur aber erst durch den Segen der Polygamie gebracht. Sie bewahrt Männer wie Frauen vor dem Schicksal der Hahnreie und Betrügerinnen und kommt auf diese Weise den Bedürfnissen beider nach. Man sieht: Dort, wo Schopenhauer vom philosophischen Machismo abrückt, erweist sich seine Philosophie als erstaunlich modern.

So weit, so gut. Was tut nun ein Herausgeber, der eine Sammlung der Schopenhauerschen Schmähreden gegen die Frau an den Mann bringen und sich gleichzeitig selbst aus der Schusslinie bringen möchte? Er transformiert die von ihm vermutlich nicht gerade lustlos und mit Leichenbittermine gesammelten Lesefrüchte individualpsychologisch herab - und verwässert so die Schopenhauerschen Anthropologie des weiblichen Verhaltens zu den Launen und Grillen eines Menschen, der persönlich von den Frauen enttäuscht worden ist. Bevor er Schopenhauer mit der ihm eigenen kategorischen Impertinenz losschimpfen lässt, schraubt Franco Volpi alle Sicherungen fest.

So habe es Schopenhauer nicht verwinden können, dass seine Mutter Johanna Gesellschaften gab und sich amüsierte, während sein Vater krank und siech ans Bett gefesselt war. Auch nach dem Ableben ihres Gatten ließ Johanna Schopenhauer nichts anbrennen, verteidigte ihre Privatsphäre vor den Einmischungen des Sohnes und holte sich einen jungen Liebhaber ins Haus. Schopenhauer reagierte mit Eifersucht und Groll - bis zum völligen Zerwürfnis.

Im Übrigen, so relativiert Volpi weiter drauf los, sei Schopenhauer selbst den Wonnen des Fleisches erlegen. Und er sei durchaus bereit gewesen, seine ganzen Weisheiten in den Wind zu schreiben, um um die Hand eines siebzehnjährigen Mädchens anzuhalten. Schopenhauer scheiterte in Liebesdingen auf ganzer Linie, so dass er in der Tat wenig Gelegenheit gefunden hat, seine schlechte Meinung zu den Frauen zu korrigieren. Als er sich das letzte Mal verliebt, ist er schon ein Greis. Erst jetzt, meint Volpi, gerate Schopenhauers pessimistisches Frauenbild ins Wanken, "das aus seinem gespannten Verhältnis zu seiner Mutter entstanden war und das er jahrelang auf pseudo-metaphysischer Grundlage theoretisiert hatte".

Aber sind andauernde Erfolglosigkeit bei der Brautwerbung und der antiemanzipatorische Reflex auf die Hemmungslosigkeit und den Freigeist der Mutter, der sich zugleich auch in Johanna Schopenhauers literarischen Ambitionen Bahn brach, ein ausreichender Grund, um den ausgesuchten Boshaftigkeiten den Stachel zu ziehen? Persönliche Motive sind weder geeignet, "philosophische" Einsichten zu legitimieren, noch vermögen sie diese auszuhebeln. Deswegen noch einmal: Ist es erlaubt, Schopenhauers Anwürfe, auch wenn sie bisweilen karikaturhafte Züge annehmen, einfach zur schöngeistigen Unterhaltungslektüre zusammenzustreichen?

Ich finde nein. Auch wenn es als ausgemacht gelten kann, dass Schopenhauer den Facettenreichtum des weiblichen Universums nicht kennt, ja, dass er ihn sogar wissentlich ignoriert hat, leistet der von ihm aufgehängte Zerrspiegel etwas Außerordentliches. Als Stolperstein im zunehmend indifferenter werdenden Verhältnis der Geschlechter mobilisiert er produktiven Widerspruch. Als gelebte Erfahrung spiegelt er etwas von der Dramaturgie der Geschichten wider, die sich zwischen Männern und Frauen entwickeln. Es ist schon so: Schopenhauer predigte Wasser und trank Wein. Aber in seiner beispielhaften Inkonsequenz, dem Widerspruch zwischen philosophischem Wollen und praktischem Nichtanderskönnen, zeigt sich auch etwas von der Zerrissenheit der Geschlechter.

Titelbild

Arthur Schopenhauer: Die Kunst mit Frauen umzugehen.
Herausgegeben von Franco Volpi.
Verlag C.H.Beck, München 2003.
110 Seiten, 7,90 EUR.
ISBN-10: 3406494749

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