Zwei Freundinnen und ihre Leidenschaft für seltene Bücher

Die gemeinsame Autobiografie der Antiquarinnen und Schriftstellerinnen Leona Rostenberg und Madeleine Stern

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

New York, Anfang der 1930er Jahre. Zwei junge Frauen lernen sich kennen, sie unterrichten beide für ein paar Dollar an der jüdischen Sabbat-Schule jüdische Geschichte. Eher weniger voneinander angetan, stammen sie aus finanziell gut gestellten Mittelklasse-Familien und studieren an der Barnard bzw. an der New York University. Leona Rostenberg interessiert sich für die Anfänge des Buchdrucks, Madeleine Stern hingegen träumt von einer Karriere als Schriftstellerin.

An der Columbia University treffen sich die Frauen wieder, lernen sich besser kennen und beginnen eine Freundschaft, die bis heute andauert. Die Studien - Rostenberg belegt das Promotionsstudium in Geschichte, Stern den Magisterstudiengang für englische Literatur - sind Kompromisse, bedingt durch die hohe Arbeitslosigkeit während der Großen Depression in den USA.

Mehrere Jahre vergehen, in denen Rostenberg an ihrer Dissertation arbeitet, für die sie mehrfach nach Europa reist, um in Straßburg zu recherchieren. Doch die Arbeit wird abgelehnt, weil der Doktorvater eigentlich ein anderes Thema präferiert und die These von Rostenberg, nach der Buchdrucker und Verleger aus Renaissance und Reformation bedeutsam waren für die Verbreitung von Wissen und demnach aufklärerisch tätig waren, nicht verifiziert sieht. Eitelkeiten, wie sie zuhauf aus der scientific community bekannt sind. Um Geld zu verdienen, geht sie zum Antiquar Herbert Reichner, der ihr alles beibringt, was er über alte Bücher weiß.

Madeleine Stern reist ebenfalls nach Europa, um sich England anzuschauen, das Land, dessen Literatur sie intensiv studiert hat. 1935 erscheint ihr erster Roman "Wir werden fortgerissen", die Autorin verdient ihren Unterhalt als Lehrerin, ein ungeliebter Beruf. Beide Frauen sind weiterhin auf der Suche, um ihrer gemeinsamen Leidenschaft für alte Bücher zu frönen.

Erst eine gemeinsame Europareise, die erste von vielen, zeigt, wie gut sie zusammenarbeiten, nachdenken, reden, entwickeln und etwas auf die Beine stellen können. Immer wieder sind sie in Buchläden unterwegs, vor allem in London, Paris, Belgien, Straßburg, und kaufen kleine Kostbarkeiten, die sich später als große Schätze erweisen. Besonders Rostenbergs Kenntnisse über Bücher und Verlage, Kontexte und Verbindungen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit bis ins 18. Jahrhundert hinein führen zu dem, was in antiquarischen Fachkreisen "Fingerspitzengefühl" genannt wird.

Ehemänner, Kinder, Familie? Wirklich interessante Männer, die den Leidenschaften der Freundinnen zur Konkurrenz werden könnten, finden sich nicht. Also bleiben sie ledig, verbringen die Sommerferien gemeinsam an ihren Projekten arbeitend, helfen und unterstützen sich gegenseitig.

1940 erscheint Sterns Biografie über Margaret Fuller. Es folgt ein Projekt über Louisa May Alcott (Verfasserin von "Betty und ihre Schwestern"), für das Stern ein Guggenheim-Stipendium bekommt. Endlich kann sie den ungeliebten Lehrposten verlassen und sich ganz dem Schreiben widmen. Im Mai 1944 macht auch Rostenberg den entscheidenden Schritt für ihr weiteres Leben: Sie eröffnet im Haus ihrer Eltern ein eigenes Antiquariat für seltene Bücher, ein Jahr später wird die Freundin Geschäftspartnerin.

Die Frauen sind höchst erfolgreich. Auf ihren Europareisen entdecken sie viele seltene Bücher, die sie aufgrund ihrer Kontakte für gutes Geld an Sammler und Bibliotheken weltweit verkaufen können. Zudem lüften sie das Geheimnis im Leben von Louisa May Alcott, die ein literarisches Doppelleben führte und neben den Familienromanen auch Sensationsromane und Schauergeschichten schrieb. Intensive Recherchen, Reisen, Kontakte, die Leidenschaft für seltene Bücher und das Schreiben sind die Eckpunkte der folgenden 50 Jahre.

Die Highlights des Suchens und Findens werden im Buch, wie die gesamte Geschichte, spannend und unterhaltsam erzählt. Es ist köstlich zu lesen, wie sich die jungen Frauen im Nachkriegseuropa mit einem äußerst fehlerhaften Hotelführer herumschlagen; man fiebert mit, wenn es in Keller mit alten Büchern geht oder ein Band, in Kalbsleder eingebunden, unerklärbare Aufmerksamkeit erregt.

Die Doppelbiografie wird ergänzt durch Fotos und eine Literaturliste, ist aber nicht nur für Bücherfreundinnen und -freunde interessant, sondern darüber hinaus ein erfrischendes Zeitdokument über intensiv gelebte Leidenschaft, die Entwicklung des Antiquariatshandels und nicht zuletzt eine Emanzipationsgeschichte. Eine große Kunst, das alles zu meistern, an der die beiden Verfasserinnen teilhaben lassen. Beide sind mittlerweile über 90 Jahre, wohnen zusammen in New York und ihr Interesse für Bücher ist nach wie vor Antrieb und Passion.

Sie sollen das letzte Wort haben:

"Unser Vermächtnis sind unsere Leben, ein Vermächtnis in der ersten Person Plural. Die Freuden, die wir durch unsere Entdeckungen gemacht haben, waren nur möglich, weil wir zusammen gesucht und gefunden haben. Wir waren Gefährtinnen bei der Suche, wir haben uns gemeinsam gefreut. Wir teilen unsere Leistungen wie unsere Hoffnungen. Noch immer führen wir jeweils die Sätze der anderen zu Ende. Zusammen blicken wir der Zukunft entgegen - unserer nächsten Entdeckung, unserem nächsten Buch, unserem nächsten Abenteuer."

Titelbild

Leona Rostenberg / Madeleine Stern: Zwei Freundinnen, eine Leidenschaft. Unser Leben für seltene Bücher.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2004.
304 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3455094295

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