Locker durch den Dschungel der Verschwörungen

Robert A. Wilsons "Lexikon der Verschwörungstheorien"

Von Helmut SturmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helmut Sturm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist noch nicht lange her, als eine Anruferin in einer Radiosendung, die über eine wissenschaftliche Tagung zum Thema Wasser berichtete, die Frage stellte, ob es richtig sei, dass die Amerikaner durch Beigabe einer Substanz in ihr Trinkwasser zum Konsumismus und zur Gedankenlosigkeit manipuliert worden seien. Die Fragerin wollte offensichtlich eine für sie plausibel klingende Verschwörungstheorie bestätigt bekommen. Solche Theorien sind heute weiter verbreitet - Internet sei Dank - als Menschen, die noch in der Tradition der Aufklärung stehen, vermuten würden. Einen Einblick in diese Welt versucht "Das Lexikon der Verschwörungstheorien" der Amerikaner Robert A. Wilson und Miriam J. Hill zu geben. Von "A-Albionic Consulting and Research", angeblich "die plausibelste Multiverschwörungstheorie", bis "ZOG" (= Zionist Occupied Goverment) informiert der Band nicht nur über Verschwörungstheorien im engeren Sinne, sondern auch über wichtige Personen der Szene, literarische und filmische Umsetzungen der Thematik, diverse Kulte und verbreitete Großstadtmythologien (urban legends). Das Buch ist freilich nicht vollständig, wie Robert A. Wilson schon in seiner Einleitung kommentiert: "Denen, die sich beschweren, weil ihre Lieblingsverschwörung hier nicht dabei ist, kann ich nur sagen, daß Raum und Zeit nicht unendlich sind, schon gar nicht in meinem Alter." Offensichtlich florieren Verschwörungstheorien in Zeiten wie diesen und an Orten der Unsicherheit und der Angst. Wilson meint übrigens, dass in "Zeiten, in denen die Regierung selbst Verschwörungen befürchtet, d. h. ihrer Bevölkerung nicht mehr traut", solche Theorien richtig aufblühen. Filme wie Michael Moores "Fahrenheit 9/11" scheinen das zu bestätigen.

Die Unvollständigkeit in der Erfassung ist unverschuldet, andererseits sind die Einträge zu den einzelnen Stichwörtern oftmals sehr knapp gehalten. Unter den Stichwörter findet man meist den Hinweis "siehe auch", der auf andere Stichwörter im Buch aufmerksam macht, und "Verweise", die aus Literaturangaben bestehen. Nicht selten muss der Benutzer des Nachschlagewerkes sich tatsächlich durch verschiedene Einträge lesen, um ein einigermaßen verständliches Bild vom Gesuchten zu erhalten. Was nicht bedeutet, dass man dann in jedem Fall eine wirkliche Vorstellung hätte. Selbst die Literaturangaben sind mitunter äußerst dürftig und erscheinen wie zufällig unter das Stichwort geraten. So verweisen die Autoren etwa bei Joachim von Fiore auf das Stichwort in "Webster's Family Encyclopedia" und auf zwei (!) Seiten in einem 1969 in New York erschienenen Buch mit dem Titel "Violence". Wer sich also seriös mit dem Mönch aus dem Hochmittelalter (oder der Sache überhaupt) auseinandersetzen will oder muss, sollte besser anderswo nachschlagen.

Der Ton ist flott und gut übersetzt und reicht von kritisch über ironisch bis zu ungläubig ("Wir lassen das jetzt einfach so stehen") und beinahe schon unanständig salopp-oberflächlich: "NLP liefert auch ein paar erstaunlich wirksame Tricks, mit deren Hilfe wir unsere verbalen Gewohnheiten ändern und eine viel gesündere und leichter zu bewältigende Welt entdecken können." Das Buch ist so mehr unterhaltend als lehrreich, gleichzeitig schafft es aber durch die Anhäufung absurder Gedankenwelten eine kritische Distanz. Ungenügend im Detail kann der Leser doch einige Grundzüge von Verschwörungstheorien durchschauen lernen. Sehr verständlich und ganz ohne akademisches Gehabe gelingt es Wilson etwa, die Relevanz des Universalienstreits, also die Eigenart des Umgangs mit Allgemeinbegriffen in den indoeuropäischen Sprachen für die Wirksamkeit von Verschwörungstheorien und deren konstruierte Sündenböcke deutlich zu machen. Recht aufschlussreich ist dabei das Interview des deutschen Herausgebers des Lexikons, Mathias Bröckers, mit dem amerikanischen Autor.

Der hat übrigens als Journalist für sogenannte Herrenmagazine begonnen, was ihn besonders kritisch gegenüber Männern unangenehmen Mythen macht (1995 fordert er etwa in einem Aufsatz mit dem Titel "Language and Lunacy" eine "defense league against the rabid androphobia"). Bekannt wurde er allerdings durch seine gemeinsam mit Robert Shea geschriebene Roman-Trilogie "Illuminatus". Heute ist er in Berkeley Vizepräsident eines "Institute for the Study of Human Future". Die Mitautorin Miriam Joan Hill war, so heißt es in der Einleitung, vor allem für die Internet-Recherche verantwortlich.

Titelbild

Robert Anton Wilson: Das Lexikon der Verschwörungstheorien. Verschwörungen, Intrigen, Geheimbünde.
Piper Verlag, München 2003.
426 Seiten, 8,00 EUR.
ISBN-10: 3492240240

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