Wie Romeo und Julia

Die Welt ist eine Hölle in Lolita Pilles "Pradasüchtig"

Von Sanja ZecRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sanja Zec

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Deutschlands schönste Studentinnen sollen sich juristische und wirtschaftliche Fakultäten teilen, so zumindest, wenn man den Statistiken einiger Meinungsforschungsinstitute Glauben schenken mag. In Frankreich scheint dies auch nicht anders zu sein. Wenigstens eine von ihnen kennen wir nun. Sie nennt sich Lolita Pille und blickt von ihrem Erstlingswerk "Pradasüchtig" auf uns hernieder: Große dunkle Augen, feine Nase, voller halbgeöffneter Mund, die langen Haare umspielen die halbnackten Schultern, die Hände greifen wie fröstelnd an die Oberarme und dazu ein Blick, dem man zweifellos etwas Laszives abgewinnen kann. Zielgruppe: Jene heranwachsenden Lolitas, die sich gerne so geben wie die Autorin auf diesem Bild und Männer in der Midlife-Crisis, die mal lesen wollen, wie ein Schulmädchen - nur mit Stringtanga bekleidet - vor dem Kleiderschrank steht und nicht weiß, was sie anziehen soll.

Berechnend - dies ist wohl das richtige Wort, um diesen Roman treffend zu beschreiben. So offensichtlich wie die Aufmachung ist auch die Geschichte. Die 17jährige Ella, die sich "Hell" nennt, hat das, wovon viele Jugendliche in ihrem Alter nur träumen können: einen schwerreichen Papa. Sie wohnt im 16. Arrondissement von Paris, hat keine Lust auf Schule und durchzecht, vollgepumpt mit Kokain und Alkohol, eine Nacht nach der anderen in hippen Clubs und Diskotheken mit ihren ebenso hippen Freunden. Morgens wacht sie in fremden Schlafzimmern neben Typen auf, die sie kaum kennt oder neben Ex-Freunden, die sie mal geschwängert haben. Sie wiegt keine 50 Kilo, trägt auch mal Dior statt Prada und besitzt eine Sammlung Louis Vuitton-Taschen, worauf sie sehr stolz zu sein scheint. Überhaupt wird man ständig über das äußere Auftreten der Protagonistin informiert: "Ich ziehe eine ausgewaschene Chloé-Jeans, silberne Nikes, einen weißen Wollpulli von Paule Ka und meine Gucci-Brille an, schnappe meine Vuitton-Monogrammtasche." Wer sich modisch also auf den neuesten Stand bringen möchte, dem sei die Lektüre von "Pradasüchtig" wärmstens zu empfehlen, alle anderen werden an dieser, von einer tiefen Lebens- und Sinnkrise gebeutelten Heldin nur schwer Gefallen finden.

Denn zielt der deutsche Titel nur auf das modische Drumherum, verinnerlicht der Originaltitel mehr den Inhalt der Geschichte. Dieser heißt nämlich "Hell" und ist, im Hinblick auf den Namen der Protagonistin, eindeutig zweideutig. Hells Gedankenspiele drehen sich immer nur um eines: Das Leben ist eine Hölle, Glück gibt es nicht und Liebe ist sowieso nur eine Illusion:

"Ich bin viel zu jung, um bereits derart desillusioniert zu sein, die Künstlichkeit der Gefühle finde ich zum Kotzen. Was man Liebe nennt, ist nur ein beruhigendes Alibi für die Verbindung eines Perversen mit einem Flittchen, Liebe ist nur der rosa Schleier, der die häßliche Fratze der unentrinnbaren Einsamkeit bedeckt. [...] Die Liebe. Mehr hat man nicht gefunden, um die postkoitale Depression zu verfremden, um die Hurerei zu rechtfertigen, um den Orgasmus zu sichern."

Manchmal schafft es Hell tatsächlich, die Lüge einer heilen Welt aufzudecken oder zumindest eine Ahnung zu erwecken, dass nicht alles so ist, wie es zu sein scheint, doch meistens nimmt man es ihr nicht ab. Sie ist zu glamourös, zu zugedröhnt und vor allem zu jung, um ihr das Erreichen dieser Gedankensphären zutrauen zu dürfen.

Als sie Andrea, einen gut aussehenden und reichen jungen Mann kennenlernt (wie hätte es auch anders sein können), ist es Liebe auf den ersten Blick. Man wittert eine Seelenverwandtschaft, denn auch Andrea hat die gleichen, jedoch für sein Alter und seinen Status - Sohn eines reichen Papas - merkwürdig unglaubwürdigen Gedanken. Und Hell, die eigentlich nicht an die Liebe glaubt, verliebt sich trotzdem, und weiß gar nicht, wie ihr geschieht. Sechs ganze Monate hält sie es mit ihm aus - bis der Alltag sie einholt, das Katastrophalste, was einer Beziehung passieren kann. Es folgt die Trennung.

Hier verliert der Roman schließlich sein letztes Quäntchen Glaubwürdigkeit. Propagiert die Heldin bis dato nämlich ständig, dass es keine wahre Liebe gäbe, ist sie nach der (eigens eingeleiteten!) Trennung am Boden zerstört, kokst und trinkt noch viel mehr, schläft mit dubiosen Typen, hängt dunklen und trübsinnigen Gedanken hinterher und will nur eines - zurück zu ihrem Andrea. Und dieser will wiederum zurück zu ihr. Aber sich die Liebe einzugestehen, scheint leichter gedacht als getan und just in dem Moment, in dem sich beide sagen: "Morgen wird alles anders. [...] Morgen höre ich auf zu koksen, ich werde etwas mit meinem Leben anfangen", da passiert ein schreckliches Unglück.

Das ist wie Romeo und Julia, nur ohne Shakespeare - und natürlich viel schlechter. Hell bleibt mit der Gewissheit zurück: "Ich sehe der Zukunft entgegen wie einer Ewigkeit aus Leid und Langeweile." - Und das mit siebzehn.

Titelbild

Lolita Pille: Pradasüchtig. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Gaby Wurster.
Piper Verlag, München 2004.
190 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-10: 3492270549

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Leserbriefe

Felix: Vielleicht muss man ein solches Leben mal gelebt bzw. erlebt haben um diesem Roman etwas abverlangenen zu können. Vom "Schreibtisch" aus betrachtet kann man die Welt nur eingeschränkt sehen. Eine sehr schwache und ...

Christina Pongratz: Ich habe das Buch gelesen und ich habe die Kritik gelesen. Doch ganz offenbar, hat sich die Kritikerin, nicht wirklich die Mühe gemacht, sich eingehend mit dem von ihr behandelten Stoff zu befassen. Lolita Pille gibt in ihrem ...

Benjamin Bauer: Hallo, zusammen. Ich muss mit Schrecken feststellen, dass dieses Buch, das ich persönlich fesselnd fand, hier so schnöde abgetan wird.Meiner Meinung nach ist die Kritik von Sanja Zec an Oberflächlichkeit kaum mehr zu ...

Chloe Anderson: Zu Lolita Pille, Pradasüchtig Wie kommen Sie dazu die Liebe zwischen Hell und Andrea mit Romeo und Julia zu vergleichen. Die beiden Geschichten haben nichts miteinander zu tun! Und wäre es nicht viel abgedroschener und ...

Sanja Zec: Liebe Leserinnen und Leser, Vielen Dank für Ihr Feedback. Es freut mich, wenn man an meinen Rezensionen Interesse zeigt. Im Grunde antworte ich nicht auf Leserbriefe, da Geschmäcker bekanntlich verschieden sind und jeder seine Meinung ...

caro: Es macht den Anschein, dass die Kritikerin, das Buch mehr oder weniger nur überflogen hat. Allein die Art und der Stil von Pille sind fesselnd und lassen einen nicht mehr los. Ich selbst kann behaupten, dass es diesen Lebensstil, den Pille ...

G.: Vielleicht geht es ja gar nicht in erster Linie um den Inhalt dieses Romans, sondern darum, wie Pille die brutale Realiät eines armen, reichen Mädchens schildert und immer wieder unterbricht, in dem sie Momente reiner Poesie und vollkommener ...




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