Wo Cut-Up eher mit dem Kopf schüttelt, pflegt Pop lieber zu nicken

Ein neuer Sammelband versucht die Stilistik der Generation Pop genauer auszuweisen

Von Jens RomahnRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Romahn

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eines steht fest, auch mit der Kritikerelite war es in der Vergangenheit ein Kreuz. Wann immer sie die Produktionen der Pop-Literaten nicht anders als gefahrvollen Anschlag auf die ernsthafte Literatur deutete, stempelte sie dieselben gern mal als vergangenheitslose Desperados ab. In der Hand des sampelnden Literatur-Performers vermutete sie stets weniger ein Mikro als vielmehr so etwas wie einen Dolch, der das Gewebe hoher Kultur im Jetzt-Zeit-Stakkato zu zerreißen drohte. Genau an dieser Stelle lässt sich ein Verdienst des vorliegenden Bandes herausstellen, das darin liegt, zumindest der Pop-Literatur gegenüber ein noch unverbrauchtes und angemessenes Nachdenken zu bemühen, um so auch dem verödenden Kritikerbewusstsein auf die Sprünge zu helfen. So wird am Anfang dieses Buches erst einmal eine Erinnerungsleistung vollzogen, die an die Fehlbarkeit schlechter Kontinuitäten erinnert. Denn bereits schon einmal gab es eine große Diskussion um die Pop-Literatur. In den 60er Jahren wurden ganz ähnliche Befürchtungen über diese Literaturform kolportiert: Ende der 60er Jahre warnte man vor einer falschen "Verpopung" durch Peter Handke, Rolf Dieter Brinkmann und Elfriede Jelinek!

Die Aufsätze des vorliegenden Sammelbandes lässt sie alle, die Autoren der Generation Pop der 60er wie der 80er Jahre - wenn auch von einem gewissen nostalgischen Reflex getragen - zu Wort kommen. Das ist klug und interessant und geschieht zuweilen mit der witzigen Zuschlagsgeste "ironischer Überaffirmation" (so wehrt Andreas Neumeister andere Literaturformen schon einmal mit den Worten ab, das in ihnen "jemand aus dem lebenslangen Slow-Food-Kloster heraus über ewig Werte sprechen" würde). Wenn es im Tonfall jedoch bald zu "swinging" zugeht, kippen derartige Auslassungen mitunter ins wenig Erhellende um, wenn es etwas ärgerlich über die Vorläufertradition der Cut Ups von William Burrough heißt: "Wo Cut-Up eher mit dem Kopf schüttelt, pflegt Pop lieber zu nicken". In diesem Moment sieht sich der Leser in die grelle Welt der American Pop-Art versetzt, als einer, der sich zunächst informieren wollte und nun ganz Auge, ganz Ohr seine Beobachter-Rolle erst einmal aufgegeben hat, um zu konsumieren. Nachdem allerhand aus dem Kreise der Initianten der deutschen Pop-Literatur (Brinkmann, Fichte, Goetz) zitiert, nebenher bemerkt und wiedergegeben wurde, werden diese Hinweise gekreuzt mit allerlei Verweisen auf die Vorläufertraditionen wie der Underground-Literatur und der Beat-Literatur. Dem Leser beginnt das Thema bisweilen vor Augen zu verschwimmen, als haben die Beitragenden dieser Aufsätze sich selbst zu viel von derselben Medizin verordnet, die einst die Pop-Aktivisten ankurbelte, um den eigenen Diskurs rauschen und tanzen zu lassen. Wir hören, dass die Pop-Literatur vom utopischeren Impuls der Beat-Literatur zu scheiden sei, dass die avantgardistisch-sprachexperimentelle Literatur von H. C. Artmann und Friederike Mayröcker in den frühen 60er Jahren an die englische Pop-Literatur erinnere, bis 1967 aber ausschließlich die Rede von Beat war. Ganz klar, der vorliegende Band bescheidet sich - wenn auch mit lebendigem und vielfältigem Bezugnehmen - damit, einen Querschnitt der Pop-Literatur von den 60er Jahren bis heute hingelegt zu haben. Unter einer allgemein thematisierenden Klammer wird damit über die Substrate des Pop-Literarischen zu allen Zeiten und im Vergleich aber damit noch nicht nachgedacht. Es scheint zuzutreffen, was Johannes Ullmaier in seinem ebenso materialreichen Buch "Von Acid nach Adlon und zurück" einmal bemerkte: dass "seit jeher heillose, teils fruchtbare Verwirrung" im Umgang mit dem Pop-Literarischen vorherrsche.

Auch mit diesem Buch konnte man dem Phänomen des Popliterarischen, insbesondere jenen Textansammlungen und Performances aus der Zeit der 80er und 90er Jahre, abermals nicht so recht auf die Spur kommen. Nur ein Beispiel: Gleich mehrere Aufsätze thematisieren die Tristesse Royale der Adlon Connection der 80er Jahre (Mertens, Frank) als eine Bewegung zwischen "Adoleszenz, Ritual und Inszenierung" (Gansel); leider ist vieles dazu Gesagte besser gemeint als gedacht. So schreckt man nicht vor dem Verweis Moritz Baßlers auf das Lacan'sche Möbiusband zurück. Im Bilde dieses poststrukturalistischen Artefakts die Gewundenheit von Behauptetem und dessen Dementi im selbstgefälligen Rollenprosa-Spiel der Adlon-Literaten zu erkennen, führt wohl mit Recht ein bisschen zu weit. Auch die hinzuaddierte, abermals aufgelegte These von der "Gegengegenkultur" mag der gewogene Leser da schon mit einem Gähnen goutieren. Glaubt man einigen Ausführungen, so scheint es, als sei die Adlon-Connection - nun aber wirklich nicht nachvollziehbar! - bei der romantischen Ironie angekommen. Dabei hat man natürlich vergessen, dass der Bezugspunkt der romantischen Idee jener des romantischen Buches war und nicht ein eilig angetipptes Aufnahmegerät in der Vorhalle des Adlon-Hotels. Der "Puls" dieser genannten Aufsatzbeiträge bestätigt unweigerlich genau das, was diese gar nicht bestätigen wollten und wovon Eckhard Schumacher - der sich auch in diesem Band mit einem Beitrag profund zu Rainald Goetz äußert - bereits in seinem im letzten Jahr erschienenen Buch "Gerade Eben jetzt" sprach, nämlich von den ersten "Abnutzungserscheinungen" in der jüngeren Pop-Gemeinde. Wie hilfreich, dass Benjamin von Stuckrad-Barre in einer filmischen Annäherung an seine Person in einem Interview jüngst "gegenwärtig" zu bedenken gab: "Ich beobachte mich selbst und das ist der Versuch, der immer noch läuft. Ein Versuch muss aber auch unter Bedingungen stattfinden, wo klar ist, der Versuch endet irgendwo". Artikuliert sich hier endlich die Sehnsucht nach Verständigung im Erzählen, viel mehr als der Wunsch, die Diskurse bis zur alles ausradierenden Unkenntlichkeit ihres Materials weiterhin hin und her kippeln zu lassen? Eines wird klar, in dem vorliegenden Buch wurde jede Menge Geschmack verpackt und geheiligt wie einstmals die Pin-Ups, die Straßenkreuzer und die ebenso schnittigen "Standard"-Tankstellen im Mittelwesten der USA in Bildern wie denen von Ed Ruscha aus der Zeit der American Pop-Art. Der Vorhang senkt sich, der Leser bleibt etwas ratlos zurück, aber durchaus verführt von den Fragen, die offen geblieben sind - gehört hat er einiges.

Titelbild

Heinz Ludwig Arnold / Jörgen Schäfer (Hg.): Pop-Literatur. Text + Kritik Sonderband.
edition text & kritik, München 2003.
328 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-10: 3883777358

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