Sprecher ohne Eigenschaften

Wolfram Bergers Mammutlesung des "Mann ohne Eigenschaften" ist jetzt als komprimiertes Hörbuch erschienen

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zugegeben: Wer Christoph Bantzers Lesung ausgewählter Kapitel des "Mann ohne Eigenschaften", 1989 auf drei Kassetten bei Rowohlt erschienen, kennt und liebt, könnte von seinem Nachfolger Wolfram Berger enttäuscht sein. Das charmante österreichische Timbre des in Graz geborenen Schauspielers schön und gut, aber liest Berger nicht zu schnell? Geradezu hastig werden von ihm die meteorologischen Uneigenheiten eines schönen Augusttages des Jahres 1913 heruntergespult; Bantzer hingegen ließ sich die Musilsche Redundanz genüsslich auf der Zunge zergehen, jedes Wort in Ironie getränkt.

Um so irritierender zunächst der leicht melancholische Vortrag, der dann allerdings mehr und mehr gefangen nimmt. Kapitel für Kapitel wird Bergers Flexibilität deutlich. Tatsächlich: Robert Musils Zweitausend-Seiten-Wälzer, in dem das Epische keinem "Faden" mehr folgt, sondern sich "in einer unendlich verwobenen Fläche" ausbreitet, verlangt auch einen Sprecher ohne Eigenschaften.

Schließlich ist sein Erzähler ein quecksilbrig überlegenes Medium, das zwischen erzählerischen und reflexiven Partien wechselt, zwischen Innen- und Außensicht seines Personals oszilliert und sich noch den gegensätzlichsten Figuren anschmiegt: dem Lustmörder Moosbrugger wie dem "Großschriftsteller" Arnheim, dessen Diener Soliman wie der Psychotikerin Clarisse. Das wieder zurück in die Psyche seiner Hauptfigur schlüpft, ehe es sich auch von dieser mit einem Augenzwinkern verabschiedet. Noch so raffinierte Satzgefüge macht Bergers Stimme durchsichtig, noch so ungewöhnliche Vergleiche lebendig. Geradezu federleicht erscheint mit einem Mal die ausschweifende Reflexionsakrobatik der essayistischen Kapitel. Das hässliche Wort von der "Durchhörbarkeit" - hier bekommt es einen neuen Sinn.

Von Januar bis April hat der Hessische Rundfunk unter der Regie von Hans Drawe Bergers Mammutlesung gesendet, eine Großtat in Sachen Literaturvermittlung, ist der "Mann ohne Eigenschaften" doch eines der unbekanntesten Werke der Weltliteratur. Nun sind die ersten beiden Teile bei Zweitausendeins als Hörbuch erschienen. Moderne Komprimierverfahren machen es möglich: Die knapp 36-stündige Lesung passt dank MP3-Technik auf nur zwei CD-Roms. Das hält auch den Preis in Grenzen. Das geschmackvoll gestaltete Booklet orientiert über die 300 Tracks à fünf Minuten, als Zugabe gibt es einen lesenswerten Essay des Musil-Biographen Karl Corino. 2005 soll die Fortsetzung folgen.

Titelbild

Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. 2 MP3-CDs.
Gelesen von Wolfram Berger.
Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2004.
35 Stunden, 40 Min, 26,99 EUR.
ISBN-10: 3861506521

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch