Ein Album über einen Ausflug in mein Land, mehr nicht

Axel Hackes "Deutschlandalbum" der kleinen Leute macht trotz aller Tristesse Mut

Von Bettina LaudeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bettina Laude

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er wird geliebt für seinen amüsanten Kampf mit den Widrigkeiten des Alltags, seine gut gemeinten, oft etwas ratlosen Versuche, Sohn Luis zu erziehen, seine nächtlichen Gespräche mit Kühlschrank Bosch. Und der Liebling vieler Deutschen, das Haustier, kommt mit Hamster Kurti in Axel Hackes SZ-Magazin-Kolumne "Das Beste aus meinem Leben" auch nicht zu kurz.

Mit einem ähnlich scharfen, selbstironischen, aber wohlwollenden Blick ist Hacke durch Deutschland gereist und hat aufgeschrieben, was er an Befindlichkeiten, Schicksalen und kleinem Glück gefunden hat. Dass das sprachlich gelungene Reportagen sind, kann man von einem Egon-Erwin-Kisch- und Theodor-Wolff-Preisträger (die renommiertesten deutschen Journalistenpreise) wohl erwarten. Seine Idee war, ein Album über Deutschland anzulegen, ähnlich wie man es mit der Familie tue, erklärt Hacke im Vorwort seine Vorgehensweise. "Vielleicht ist es ja mal ganz nützlich, das eigene Land wie eine Familie zu betrachten: Leute, in deren Mitte man hineingeboren wurde, obwohl man vielleicht lieber was anderes gehabt hätte." Als Klammer über allem die Fragen: Was macht uns eigentlich aus? Was ist eigentlich los mit unserem Selbstwertgefühl?

Da sind zum Beispiel die beiden Männer aus Berlin-Wedding, die für Ordnung und Nähe sorgen in ihrem Viertel. Kiezläufer nennen sich Werner Blessing und Peter Menasse. Früher waren sie arbeitslos, jetzt schlichten sie Streit zwischen Nachbarn, organisieren Kinderfeste, sind Ansprechpartner auf den Straßen im Wedding. "Wir sind so ne Art Hausmeister für den Kiez", sagen die beiden über ihren neuen Job. Ein guter Job. Oder das Paar, das mehr als fünfzig Jahre miteinander verbracht hat. "Er hält alles schee z'samm", sagt die Bayerin Maria über ihren Mann. "Sie auch", antwortet der und lächelt sie an. Liebevoll und kameradschaftlich zugleich. So einfach kann Ehe sein. Da wird einem beim Lesen gleich warm ums Herz. Aber zu viel Gemütlichkeit lässt Hacke nicht aufkommen.

Denn es gibt auch bedrückende Begegnungen. Etwa mit Helga, einer Studentin, die sich einst in intellektuellen Kreisen bewegte und zehn Jahre später zu den Obdachlosen Münchens zählt. Trennung vom Ehemann, dessen Unternehmen meldet Konkurs an, er zahlt keinen Unterhalt mehr. Trotz ihres 30-Stunden-Jobs verdient Helga nicht genug für sich und ihre zwei Kinder und muss raus aus dem Reihenhaus. Aber kein Vermieter nimmt sie als Alleinerziehende. Zwangsräumung, Endstation Caritas-Heim. So schnell also kann der Absturz kommen aus vermeintlich sicherer Bürgerlichkeit. "Eine Scheidung, ein Unfall, eine Krankheit genügen, damit sich eine Falltür öffnet. Das Trauma einer Mittelstandsgesellschaft", bringt Hacke (k)ein (Einzel-)Schicksal auf den Punkt. Gerade in Zeiten von Hartz IV aktueller denn je.

Auch dort, wo Hartz IV und die Arbeitslosigkeit verwaltet werden, hat Axel Hacke sich umgesehen. Die geometrischen Pullover, in denen Männer stecken, die Stempel, Locher und Ordner erinnern ihn an seinen Vater. Einen in vieler Hinsicht typischen Deutschen. Ordentlich, fast schon pedantisch, bürokratiegläubig, pflichtbewusst. Seine Gefühle kann er nicht in Worte fassen, sondern in ordnende Bewegungen. "Ein Mann, am Leben gehalten durch Ordnung." Hackes sechsseitige Erinnerung an diesen Vater, mehr Erzählung als Reportage, sagt mehr über unser Land als die meisten wissenschaftlichen Abhandlungen.

Was auffällt: Obwohl es im "Deutschlandalbum" keinen roten Faden gibt, Hacke sich einfach so durchs Land treiben lässt, kommt er immer wieder zurück zum ehemaligen Grenzgebiet zwischen BRD und DDR. Er lotet die Befindlichkeiten in den östlichen Bundesländern aus, verwebt sie mit eigenen Erinnerungen und Erfahrungen der Vorwendezeit. Das alles hat etwas Zeitloses, Sozialromantisches. Vielleicht weil Hacke uns glauben macht, dass manches doch noch so sei wie früher, als die Zeit noch gut und alt war. Vielleicht weil seine mal onkelhafte, mal umwerfend klare Sprache die richtige Mischung für ein Familienalbum ist. Ein Album über einen Ausflug in sein Land habe er schreiben wollen, mehr nicht. Aber auch nicht weniger.

Titelbild

Axel Hacke: Deutschlandalbum.
Verlag Antje Kunstmann, München 2004.
253 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3888973473

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