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Deutschland nach dem Sieg des Sozialismus

Von Oliver GeorgiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Georgi

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die deutsche Wiedervereinigung im Jahre 1989 war nur ein Traum. Gorbatschow war in Wirklichkeit nur drei Jahre an der Regierung und wird 1988 von den Kommunisten in Moskau gestürzt; die alliierten Mächte beraumen sofort einen Gipfel an und beschließen unter dem Druck der militärisch neu erstarkten Sowjetunion die Wiedervereinigung der BRD mit der DDR - unter sozialistischen Vorzeichen! Sofort wird die Außengrenze Deutschlands mit einer Mauer abgeriegelt, die letzten Flüchtlinge können noch in die Schweiz fliehen; einstige Großkonzerne und Sterne des Kapitalismus werden in VEBs und Kombinate umgewandelt. Gesamtdeutschland ist ab sofort kein freier und demokratischer Staat mehr, sondern nennt sich nunmehr "DRD - Demokratische Republik Deutschlands". Die SED hält alles daran, den Westen mit sozialistischem Gedankengut zu infiltrieren und die Macht des "kranken Kapitalismus" zu brechen. So werden die westdeutschen Parteien mit den ostdeutschen vereinigt, natürlich paritätisch und zum Wohle der Freiheit und Demokratie. Zu spät merken die westdeutschen Parteien, daß der "Wille zum demokratischen Kapitalismus", der Wille zu Freiheit und Menschenrechten, den die DDR-Führung so großspurig propagiert, in Wirklichkeit nur der Wille zur Erweiterung des sozialistischen Gedankenguts ist. Der 10. Jahrestag der Vereinigung mit Westdeutschland wird zum Triumphmarsch für die sozialistischen Führer der ehemaligen DDR.

Dieses Schreckensszenario ist das Thema des Romans "Die Mauer steht am Rhein" von Christian von Ditfurth. Ditfurth spielt in seinem "Was wäre, wenn?"-Szenario, mediengerecht zum 10. Jahrestag des Mauerfalls, mit der Frage, wie die bundesdeutsche Realität heute aussehen würde, wenn die Mauer nicht zugunsten der BRD, sondern der DDR gefallen wäre. Erzählinstanz in seinem Roman ist ein ehemaliger Redakteur der "Rheinischen Post". Aus dem selbstgewählten Exil in der Schweiz, in die er kurz vor der endgültigen Schließung aller Grenzen der Republik durch die sozialistische Regierung fliehen konnte, erzählt der Redakteur retrospektiv den Weg der ehemaligen Bundesrepublik zum Sklavenstaat unter DDR-Führung.

Die im Buch geschilderten Sachverhalte und politischen Abläufe können über weite Strecken überzeugen; fast alle bekannte Politgrößen aus der Zeit des Umbruchs tauchen im Text auf, historische Realität wird fließend mit Fiktion vermischt. Teilweise geht diese Vermengung so weit, daß sich beim Leser, der sich zu Anfang des Textes noch über die wahren Zusammenhänge sicher schien, Verwirrung einstellt; Verwirrung darüber, wo die historisch korrekte Realität aufhört und die Fiktion einsetzt. Der Autor hat damit sein Ziel erreicht: die verzerrte Realität: es hätte ja auch anders ablaufen können.

Fragwürdig sind nicht die im Roman geschilderten Kausalketten, sondern die Reaktionen der Westmächte wie den USA auf das plötzlich aufbrausende Machtgefühl der Sowjetunion. So erinnern sich die USA aus Angst vor einer atomaren, sowjetischen Bedrohung nach Jahren der friedlichen Zusammenarbeit blitzschnell wieder an den Versailler Vertrag und die Greueltaten der Deutschen in den beiden Weltkriegen. Und sie befinden ebenso schnell, daß Westdeutschland durch die sozialistische Vereinigung mit der DDR seine Schuld endlich abtragen könne. Dieser leider vom Autor nicht genügend argumentativ gestützte, schnelle Richtungswechsel wirkt ähnlich unglaubwürdig wie das waldbrandartige Aufflammen antideutscher Stimmungen in Ländern wie Frankreich oder England. Diese Passage des Buches, die sozusagen die Grundkonstellation für den weiteren Verlauf der Handlung festlegt, ist gleichzeitig seine schwächste: kaum erklärt, mit Argumenten versehen oder tiefergehend erläutert. Somit bleibt die Ausgangsbasis des Buchs zu schwach, um den nachfolgenden Handlungsverlauf zu tragen.

"Die Mauer steht am Rhein" ist trotz dieser Mängel lesenswert: interessant für Historiker und natürlich für Leser mit politischen Aversionen. Denn eines darf bei all den geschilderten Unstimmigkeiten und logischen Brüchen des Textes nicht vergessen werden: der vorliegende Roman ist Fiktion, und als solche nicht auf historisch und politisch korrekte Verhaltenswahrscheinlichkeiten angewiesen. Läßt man dieses nämlich einmal außer acht und sich auf das geschilderte Szenario ein, dann wird man mitgerissen von dem Sog der Ereignisse und ertappt sich selbst mehrere Male bei der Fortführung des Gedankenspiels in private und gesellschaftliche Sphären.

Die teilweise auftretenden Unwahrscheinlichkeiten des Textes wirken auch nur aus unserer retrospektiven Kenntnis der wahren Historie unwahrscheinlich - selbstverständlich hätten die Westmächte nach unserem heutigen Kenntnisstand Deutschland in der Realität nicht für einen Schulterschluß mit der Sowjetunion geopfert - oder vielleicht doch? Denn wie heißt es im Klappentext des Buches so treffend: Die Realität ist immer nur eine Möglichkeit der Geschichte.

Titelbild

Christian von Ditfurth: Die Mauer steht am Rhein. Deutschland nach dem Sieg des Sozialismus.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999.
258 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3462028448

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