Memento mori

Herrad Schenks autobiographischer Leidensbericht

Von Doris BetzlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Doris Betzl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schreiben kann ein Mittel sein, den Tod des Liebsten zu verarbeiten. In Herrad Schenks autobiographischem Roman wird aus der Perspektive der Frau von der letzten gemeinsamen Lebensphase eines reiferen Paares erzählt. Nach langen Jahren getrennten Wohnens entschließen sie sich, ein gemeinsames Heim zu kaufen. Die Wahl fällt auf einen denkmalgeschützten, leicht verfallenen Gutshof auf dem Lande. Ihren gemeinsamen Traum vom Rückzug ins Idyll zu verwirklichen, kostet die beiden jedoch ungeahnte Kraft: Zwei Jahre nach dem Einzug in das neue alte Haus stirbt W., der Lebenspartner der Protagonistin. In der Phase der Trauer, der Verzweiflung und der Suche nach neuem Lebenssinn ist das Haus für die Verlassene schützende Höhle und Gefängnis zugleich.

Herrad Schenk teilt ihre Geschichte in drei große Kapitel: "Das Haus", "Das Glück" und "Der Tod". Sie folgt dem Ablauf von etwa vier Jahren, schiebt jedoch Vorgriffe und Rückblicke ein. Der Tod ist vorherrschendes Thema des Berichts: kontinuierlich zieht sich die Motivik durch den gesamten Roman. Angefangen bei der schwarzen Katze, die um das Haus streicht, über Leben und Tod der Hausvorbesitzer bis hin zum Haushaltsunfall des W. kurz vor seinem Ableben.

Die Erzählung erscheint als poetische Studie über verschiedene Phasen der Trauer durchaus authentisch. Mitunter wirken jedoch die Erinnerungen der Protagonistin an die gemeinsam verbrachten Stunden mit ihrem Lebenspartner dem kitschig.

Wenig überzeugend wirken auch die Todesboten nach altdeutschem Volksglauben: die beschützenden Hausgeister, die im Holunder wohnen. Nachdem W. drei Sträucher gerodet hat, kommt die Erkenntnis: "Der Holunder hat sich nach Kräften gewehrt, wir hätten es merken müssen." Auch snst sind die beiden ehemaligen Stadtbewohner mit den Dorfbräuchen nicht sonderlich vertraut: "Unsere Nachbarschaft war uns bisher zurückhaltend, aber freundlich begegnet, doch an Palmsonntag mußte jemand die Geduld verloren und sich beim Bürgermeister beschwert haben. Dessen Anruf kam völlig überraschend am Montagmorgen, als ich am Schreibtisch vertieft war. Ihm sei zu Ohren gekommen, daß wir auch sonntags auf unserer Baustelle schafften, sagte er recht scharf; im Dorf hielte man aber noch auf den alten Brauch, die Feiertage zu ehren; er bäte uns also, dies in Zukunft zu unterlassen."

Die Requisiten jener Menschen, die vor dem Paar auf dem dreihundert Jahre alten Hof lebten und starben, kommen im Laufe der Renovierungen im und ums Haus zum Vorschein - von Arzneimitteln bis hin zum Grabstein - und sind Anreiz für die Erzählerin, imaginierte Lebenssituationen der ehemaligen Bewohner nachzustellen. Sämtlichen Haustieren werden Lebensgeschichten, Tagesabläufe und Gesinnungen zugeschrieben: "Erdmuthe ist die Chefin, resolut und bodenständig, Bilhildis dagegen ist ein romantisches Huhn. Am Anfang schien mir, sie werde eher Gedichte schreiben als Eier legen". Was zu Beginn amüsant zu lesen ist, erschöpft sich in Wiederholungen. Es entsteht fast der Eindruck, die zurückgezogen lebende Erzählerin schreibe diese Geschichten beinahe trotzig Tieren anstatt Menschen zu.

Titelbild

Herrad Schenk: Das Haus, das Glück und der Tod.
Verlag C.H.Beck, München 1998.
222 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3406441017

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