Der milde Blick des Brudermörders

Umberto Sabas Prosaband "Der Dichter, der Hund und das Huhn"

Von Doris KleinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Doris Klein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Würdigung seiner Arbeit hinkte Umberto Saba stets hinterher und folgerichtig erscheint dieser Prosaband in drei Kapiteln - "Erinnerungen" - "Geschichten, Abkürzungen" und "Kurze Geschichten" - mehr als 42 Jahre nach seinem Tod. Einem größeren Publikum ist er in Deutschland kaum wirklich bekannt geworden; nur spärlich und in großen Abständen ist seine Lyrik übersetzt. "Ernesto", sein einziger Roman, wurde vor einigen Jahren ins Deutsche übertragen.

Die Erzählungen und Aphorismen des eben in deutsch erschienenen Erzählbandes "Der Dichter, der Hund und das Huhn" sind dem 1964 in Italien erschienenen Band "Prose", entnommen; die meisten stammen aus der Zeit zwischen 1910 und 1912, wenige sind nach 1945 verfaßt. Seine "Abkürzungen" sind zwar äußerlich kurz, im Gegensatz zur Definition jedoch haben sie einen langen Weg und viel Zeit gebraucht, so knapp zu werden. Eingebettet zwischen "Erinnerungen" - "Geschichten" und "Kurze Geschichten" sind sie wie die Engstelle einer Eieruhr, an der alles sich verdichtet auf Haaresbreite und durch die nur noch ausgewählt schmale Sätze passen. Kein Wort zuviel rieselt durch dieses Erzähl-Öhr.

Wer sich aufmacht, diesen Gedanken-Schnipseln um den Segen von Schreibmaschinen, über den Zufall, den Kriminalroman und den Italiener als Brudermörder zu folgen, begibt sich auf eine Reise jenseits des Zeitgeistes. Nicht die Objekte der Betrachtung sind ungewöhnlich; vielmehr scheint alles auf den Kopf gestellt, neu betrachtet aus einem verändertem Blickwinkel. Dieser ist überraschend subjektiv und provozierend - frei, wie man ihn sonst nur von Kindern kennt.

Immer wieder umkreisen Sabas Erzählungen das Vorkriegsitalien, seine Geburtsstadt Triest und dessen verschwundenes jüdisches Leben. Es ist nicht Wehmut, die aus seinen Texten spricht, sondern die unsentimentale Erkenntnis des für immer Verlorenen. "Welche Freude hätte mir früher diese kleine Geschichte bereitet! Was für ein günstiges Vorzeichen hätte ich daraus abgeleitet für mich und meinen Freund! Aber heute... Aber nach Majdanek..."

Saba lamentiert nicht, noch hadert oder urteilt er; er sucht nach Erklärungen für das Unerklärliche. Und was auf den ersten Blick zynisch oder banal zu wirken droht, bleibt einem wegen der Profanität der Erklärung leicht im Halse stecken. "Diejenigen - und es sind viele -, die heute noch glauben, Kriege würden aus wirtschaftlichen Gründen ausbrechen, verhalten sich wie jemand, der behauptet, die Deutschen hätten sechseinhalb Millionen Juden vergast, um Dünger aus ihnen zu machen. Sie haben sie aus anderen Gründen vergast (aus irgendwelchen obskuren physischen Gründen, die mit Stammtischgeschwätz zu tun haben); nachdem sie einmal umgebracht waren, haben die Deutschen - und warum auch nicht?- die Leichen zum Nutzen des (neuen) auserwählten Volkes verwertet."

Mehr Lehrfabeln und Märchen als Erzählungen sind Sabas "Kurze Geschichten"; Begegnungen mit Schriftstellern, Freunden und Gastwirtstöchtern, die gelegentlich mit dem beruhigenden Hinweis beginnen, daß dem nun Folgenden keinerlei analytischer Ansatz innewohne. Saba ist ein klirrend scharfer Beobachter, der mit nichts, nicht einmal mit der eigenen Betroffenheit, die Sicht verstellt auf das, was ist. Ein Richter ist er nicht. Mit offener Neugier beschreibt er einen englischen General, der in den ersten Tagen der alliierten Besetzung offenbar sturzbetrunken, aber "aufrecht wie das englische Empire" durch Florenz wankt, ebenso einen florentinischen Händler, der, nicht wissend, daß man der Türkei den Krieg erklärt hatte, wie gewöhnlich in türkischer Verkleidung seine Teppiche, Pfeifen und Krimskrams anbietet, diesmal aber vom Plebs durch Florenz gejagt wird: "Sie haben soeben ein Beispiel dafür gehört, würde die Radiosprecherin sagen, wie die Rassenkampagne ihren Anfang nahm".

In einem Leben Aufgelesenes und - nur scheinbar achtlos - wieder Hingeworfenes, seiner Zeit weit voraus, klug und eigensinnig, legt Saba eine Spur durch ein halbes Jahrhundert, der zu folgen amüsante wie moderne Einsichten verspricht.

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Umberto Saba: Der Dichter, der Hund und das Huhn. Aus dem Italienischen von Anna Leube.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 1999.
164 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3552049223

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