Nicht nur Gemütlichkeit

Repräsentative Auswahl der Werke Gleims

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Goethe beurteilte Gleim in "Dichtung und Wahrheit" vor allem als Förderer "junger Leute im literarischen Tun und Treiben", mit den eigenen Werken müsse er sich allerdings in die zweite Reihe eingliedern. Gleim, der von 1719 bis 1803 lebte (200. Todestag am 18. Februar 2003), war für die Goethe-Generation eine Vaterfigur des literarischen Lebens. Vor allem seine umfangreiche Korrespondenz, die später zu Teilen in Goethes Autographensammlung einging, festigt das Bild eines erfolgreichen Literaturvermittlers, dem mit den eigenen Werken ein eher kurzlebiger Erfolg beschieden war. So gilt seine reimlose anakreontische Dichtung als schulbildend und hat noch Goethes "West-östlichen Diwan" beeinflusst - seine Werke sind heute aber kaum noch greifbar (1969 erschien bei Reclam eine nur noch antiquarisch zu habende Auswahlausgabe der Lyrik).

Dem will nun die vorzügliche Edition des Wallstein Verlages abhelfen. Freilich: Eine kritische Werkausgabe war nicht geplant. So hat Walter Hettche (u. a. Herausgeber der Werke und Briefe Christoph Heinrich Höltys) eine repräsentative Auswahl getroffen und das Buch zweigeteilt: zum einen eine repräsentative Auswahl der im Druck überlieferten Texte (neben Lyrik und Romanzen auch Fabeln und Nachdichtungen). Zum anderen galt es, eine Auswahl aus der reichen Korrespondenz zu treffen. Hettche hat sich für die Publikation des Briefwechsels mit Gottfried August Bürger (1747-1794) entschieden - angesichts der Fülle von Briefen Gleims eine notwendige Einschränkung, die den Vorteil hat, das Verhältnis eines "Literaturpapstes" zu einem "Neuling" zu beleuchten. Sinnvoll ist die Konzentration auf Bürger auch deshalb, weil es 1789 aufgrund der Publikation seiner zugleich volkstümlichen, sozialkritischen und erotisch gefärbten Gedichte zum Bruch mit Gleim kam ("An Bürger" (1790) kann wohl als eines der persönlichsten Gedichte Gleims gelten, das zugleich Goethes Wort vom "gemütlichen Menschenverstand" Gleims Lügen straft).

Die ebenso zuverlässige wie detailreiche Kommentierung lässt kaum Wünsche offen und schließt eine empfindliche Lücke der Quellentexte zur deutschen Frühaufklärung. Vor allem der Abdruck der im jeweiligen Zusammenhang relevanten Briefe und Rezensionen im Kommentarteil lässt erahnen, welche Stellung Gleim im Literaturbetrieb der Frühaufklärung innegehabt haben muss.

Ein Lob auch an den Verlag, der sich bereits durch die Publikation der Werke Höltys ausgezeichnet hat: auch diese 700-seitige Studienausgabe wird ihrem Namen gerecht - sowohl hinsichtlich der Ausstattung, des Gebrauchswertes als auch des Preises.

Titelbild

Johann Ludwig Wilhelm Gleim: Ausgewählte Werke. Schriften des Gleimhauses Halberstadt, 1.
Herausgegeben von Walter Hettche.
Wallstein Verlag, Göttingen 2003.
768 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-10: 3892444986

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