Mediendenken

Ein Panoptikum gegenwärtigen Denkens im Spiegel der Medien und ihrer Theorien

Von Oliver JahrausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Jahraus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Eine philosophische Einführung" - so heißt der vorliegende Band im Untertitel, ganz unschuldig, bescheiden und fast ein bisschen irreführend, so als ginge es darum, einen besonderen philosophischen und eben keinen kommunikationswissenschaftlichen, sozialwissenschaftlichen, psychologischen, geisteswissenschaftlichen oder sonst irgendwie positionierten Blick auf Medientheorien zu werfen, oder als ginge es nur darum, darauf zu achten, was Philosophen zu Medien gesagt und in die systematische Form einer Medientheorie gebracht haben. Aber in diesem Untertitel steckt eigentlich viel mehr - vor allem nämlich das Programm eines äußerst gelungenen Sammelbandes, der seine Kontur durch eine Vielzahl von bemerkenswerten konzeptionellen Entscheidungen und Zielsetzungen gewinnt, die alle irgendwie im Begriff des Philosophischen eingeschlossen sind.

Unter diesem Titel und Untertitel also versammelt der Band elf Beiträge, die eines gemeinsam haben: Als Überschriften tragen sie schlichtweg den Namen eines Medientheoretikers, wobei der Name für eine prominente, avancierte und markante medientheoretische Position steht. Alle diese Medientheorien stammen aus dem 20. Jahrhundert (was nicht selbstverständlich ist) und haben im gegenwärtigen Theoriediskurs über Medien nichts an Aktualität eingebüßt. So werden behandelt: Marshall McLuhan, Derrick de Kerckhove, Niklas Luhmann, Jean Baudrillard, Paul Virilio, Vilém Flusser, Friedrich Kittler, Hartmut Winkler, Martin Seel, Mike Sandbothe und Lev Manovich.

Zugegeben, die Reihe ist nicht ganz homogen, was Prominenz und Bekanntheitsgrad der behandelten Autoren angeht. Doch auch dieser Umstand ist wiederum symptomatisch für die gegenwärtige Theoriediskussion in Sachen Medien und unterstreicht noch die Notwendigkeit eines an Personen und ihren Positionen orientierten Überblicks. So stellt sich die Frage, warum bestimmte Positionen bzw. die Personen, die sie vertreten, einen prominenten Platz erringen konnten und welche Faktoren, die nicht durch die Sache selbst begründet sind, solche Entwicklungen befördern. Der Band geht diesem Problem der Medienwirksamkeit von Medientheorien indessen nicht nach. Und so bleiben auch einige Fragen bezüglich der Auswahl offen. Warum beispielsweise hat man Norbert Bolz oder Jochen Hörisch ausgelassen? Natürlich könnte man viele andere Namen nennen und mit dem Hinweis auf die Grenzen einer solchen Darstellung auch wieder abweisen, aber gerade diese Theoretiker hätten die Reihe und somit das dargestellte Spektrum auch in philosophischer Perspektive, im Blick auch auf eine produktive Verwertung und Weiterführung von Philosophie durch Medientheorie, sinnvoll ergänzen können.

Dennoch, die Orientierung an Personen allein ist bemerkenswert, denn andere Entscheidungen wären zumindest denkbar gewesen. Vielleicht ist es heutzutage nicht (mehr) möglich, Medientheorie als einen theoretisch fundierten Oberbegriff einer Medienwissenschaft zu verstehen, den man systematisch in seinen Einzelkomponenten hätte darstellen können. Aber immerhin hätte man einen solchen Band, der das Ziel hat, über Medientheorien aufzuklären, auch problemorientiert aufziehen können. Das haben die Herausgeber nicht getan, und die Gründe hierfür werden sehr schnell deutlich, liest man die Artikel in der vorgegebenen Reihenfolge.

Im Ansatz haben die Herausgeber versucht, solche Problemorientierungen auch unterhalb der philosophischen Ausrichtung des Bandes nachzuzeichnen, indem verschiedene Denker hintereinander dargestellt werden, die z. B. das Verhältnis von Medien und Kultur (McLuhan und de Kerckhove, die ohnehin beide zur Toronto School gehören; Kerchove ist dort Nachfolger McLuhans geworden), das Verhältnis von Medien und Kultur (Luhmann und Baudrillard, beides Soziologen, die vielleicht so unterschiedlich gar nicht sind), das Verhältnis von Medien und Wahrnehmung (Virilio und Flusser), das Verhältnis von Medien und Philosophien im engeren (philosophischen) Sinn behandelt haben (Seel und Sandbothe). In der Einleitung werden eine Reihe solcher Verknüpfungen angesprochen. Und gerade in der fortlaufenden Lektüre, die der Band keineswegs erzwingt, werden gleichermaßen thematische Entwicklungslinien deutlich. Auf eher indirekte Weise macht der Band deutlich, dass die Positionen einzelner Denker (eigentümlicherweise wird keine Frau behandelt, und es fällt auch schwer, eine Medientheoretikerin von der Bedeutung der behandelten Theoretiker auf Anhieb zu nennen) strukturbildend für das Feld der Medientheorie sind. Das unterstreicht aber nur, wie schwierig es ist, eine systematische Medientheorie auszumachen. Und das wiederum hebt den philosophischen Charakter der medientheoretischen Positionen hervor.

Die Orientierung an Personen hat aber auch eine unterschwellige Stoßrichtung, die man zunächst negativ als Abgrenzung zu verstehen hat. Es geht eben nicht um empirische Medientheorien. Positiv gewendet, impliziert dies eine von vornherein philosophische Auffassung von Medium und Medientheorie. Medien werden von den Herausgebern "als konstitutive Faktoren von Selbst, Gesellschaft und Kultur überhaupt" begriffen. 'Medium' wird also als "Grundbegriff" verstanden, und auf dieser Grundvoraussetzung, die mit dieser Bestimmung vorgegeben ist, beruht die Auswahl der Positionen und ihre Darstellung im vorliegenden Buch.

Diese Gesamtorientierung sieht sich selbst zwischen den beiden Polen einer "Marginalisierung der Medien", wie man sie in den traditionellen Geisteswissenschaften beobachten konnte (oder noch kann), einerseits und einem radikalen "Medienapriorismus", wie man ihn dort beobachten kann, wo die traditionelle Geisteswissenschaft radikal in Frage gestellt wird (Kittler), andererseits. Auf der einen Seite wird die konstitutive Funktion für Welt und (ihre) Wahrnehmung verkannt oder bestritten, auf der anderen Seite prominent hervorgehoben. Doch nur wenig später heißt es in der Einleitung: "Was wir unter philosophisch orientiertem 'Mediendenken' verstehen [,] ist nicht die Arbeit an neuartigen Problemen, sondern die Arbeit an alten Problemen mit neuen Begriffen." Das heißt doch aber nichts anderes, als dass die angestrebte Zwischenposition keineswegs genau in der Mitte zwischen den beiden Polen liegt. Denn wenn es um alte philosophische Probleme geht, so bedeutet das, dass der Medienbegriff als Grundbegriff andere Fundierungsbegriffe beerbt, um mit einer neuartigen Fundierung (auch) alte Probleme neu überdenken zu können, also doch eine Form von Medienapriorismus. Dagegen ist auch im Prinzip nichts einzuwenden. Liest man die Beiträge durch, selbst zu denjenigen Autoren, die sich kritisch mit dem Medienbegriff auseinander setzen, wie Baudrillard, dann erkennt man sehr schnell, dass der Medienbegriff umso interessanter wird, je stärker er mit solchen das Selbst, die Gesellschaft oder die Welt konstituierenden Funktionen versehen wird.

Und damit wird auch sichtbar, worauf der Untertitel eigentlich abhebt. Was der Band vorführt, ist nicht so sehr eine spezielle Form, über Medien nachzudenken, sondern im Gegenteil: Das Philosophische bedeutet keine Spezialisierung und keine Einschränkung, sondern vielmehr eine Ausweitung, die mit dieser konstituierenden Funktion eines entsprechend verstandenen Medienbegriffs einhergeht. Der Band zeigt daher - wenn man es vollmundig ausdrücken will - nicht weniger als ein Spektrum des gegenwärtigen Denkens mitsamt seinen Wurzeln in der Medientheorie seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, aber auch - indirekt über philosophische Traditionszusammenhänge - der westlichen Philosophie seit dem Idealismus. Das ist es, was der Band eigentlich zeigt und was seine Leser beeindrucken kann: Er macht deutlich, wie das Nachdenken über Medien kein Nachdenken über ein Spezialphänomen ist, sondern ein grundsätzliches Nachdenken über Selbst, Gesellschaft und Welt, kurz: Philosophie. Der Band zeigt auf sehr beeindruckende Weise, wie Mediendenken und Philosophie konvergieren und deckungsgleich werden. An diesem Konvergenzpunkt, dem unterschiedliche Positionen unterschiedlich nahe kommen, verlieren sowohl der Gegenstand der Medien wie auch die philosophische Vorgehensweise ihren speziellen Charakter und gewinnen eine grundsätzliche Dimension.

Dieser Umstand wird in jedem einzelnen Beitrag aufs Neue demonstriert, indem die Verfasser zwar zunächst das konkrete medientheoretische Problem des behandelten Denkers fokussieren, dann aber diese Medientheorie immer auch auf nachvollziehbare und durchweg sehr luzide Weise in den Gesamtkontext der jeweiligen Theorie einordnen. So kann man durchaus etwas über Luhmanns Systemtheorie oder Baudrillards Idee der Simulation erfahren, wenn man die entsprechenden Beiträge liest. Und damit wird demonstriert, dass das Mediendenken der behandelten Autoren, aber auch das Mediendenken generell, integraler und zentraler Bestandteil dessen ist, was heutzutage überhaupt Denken heißt und heißen kann.

Titelbild

Alice Lagaay / David Lauer (Hg.): Medientheorien. Eine philosophische Einführung.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
323 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3593375176

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