Mir ist, als ob mich das Meer ruft

Ein wunderbarer Text-/Bildband über Meer-Frauen

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwischen Frauen und dem Meer scheint es seit jeher eine besondere Beziehung zu geben. Doch nicht nur in der Kunst, sondern auch und vor allem in der realen Welt gab und gibt es Frauen, die sich dem Meer so intensiv verbunden fühlen, dass sie beruflich, privat oder künstlerisch damit zu tun haben. "Frauen und das Meer", ein opulenter Bild- und Textband, zusammengestellt von der Journalistin Florence Hervé und der Fotografin Katharina Meyer, stellt diese Meer-Frauen vor. Herausgekommen ist dabei ein wunderschönes Buch, das durch seine Texte und Fotos, durch hervorragende Qualität und künstlerische Gestaltung besticht, eine Qualität, für die der Gerstenberg Verlag bekannt ist.

Die beiden Herausgeberinnen stellen 18 Frauen vor, die in vielfältiger und immer höchst individueller Weise mit dem Meer verbunden sind. Sie kommen aus europäischen Ländern, sind zwischen 25 und 92 Jahre alt, wohnen am Meer, arbeiten dort, verbringen dort die Sommerzeit, lassen sich inspirieren, schöpfen Kraft und Lebensmut aus dem Blick über die blaue Landschaft, kämpfen für den Erhalt bedrohter Natur oder zeigen durch ihre Musik die Schönheit der Landschaft an der Küste. Einige der porträtierten Frauen sollen hier kurz vorgestellt werden.

Die deutsche Kapitänin Claudia Belis, die als Fischerin angefangen hat, berichtet von ihrer Arbeit auf dem eigenen Schiff, die Reederin Petra Heinrich - nach mehreren Ausbildungen hat sie den Familienbetrieb, eine Rümoreederei, übernommen - erzählt begeistert von ihrem neuen Containerfrachter und wie sehr sie es liebt, auf dem Wasser unterwegs zu sein, die Krabbenpuhlerin Karin Kolster skizziert den technischen Wandel in ihrem Berufsfeld und kann sich ihr Leben ohne den Bezug zum Meer nicht vorstellen.

Rita di Loreto, Leuchtturmwärterin in Italien, lässt ihre Jahre im Dienst der Marine und die Arbeit auf dem Leuchtturm vorbeiziehen, die Physiotherapeutin Anette Moritz, Leiterin des Thalassozentrums auf Juist, berichtet von ihrem beruflichen Weg, der sie zum Wasser als Heilkraft geführt hat. Auch die dänische Meeresbiologin Susanne Baden liebt die Kraft des Meeres und setzt sich auf politischer Ebene für den Erhalt der Meere ein. Ihre deutsche Mitstreiterin Cathrin Münster, Projektleiterin Ostsee in der deutschen Sektion des WWF, versteht sich als Mittlerin zwischen den Nutznießern und den Schützern dieses Lebensraumes.

Es scheint, als ob sie alle den Ort gefunden haben, an den sie gehören. Dieser Ort ist das Meer, seine Weite, seine Ruhe, seine Gefährlichkeit, seine Unberechenbarkeit, die vor allem auf dem offenen Meer deutlich zu spüren ist.

Das Kapitel über Künstlerinnen offenbart andere, nicht mit dem ersten Blick zu erkundende Bezüge. Die durch ihren Roman "Salz auf unserer Haut" bekannte französische Feministin Benoîte Groult z. B. sagt, dass sie sehr gern fischen gehe, aber vor allem die Ebbe liebe, das Meer als solches dagegen nicht so sehr. Sabine Curio wiederum, eine Malerin, die auf Usedom in selbst gewählter Einsamkeit mit 14 Katzen lebt, sagt: "Hier am Wasser habe ich nie Angst." Ihre Bilder zeigen die Umgebung, das ständig wechselnde Licht, die Farben, die Nuancen, die nur dann sichtbar werden, wenn frau still sitzt und sich auf das Meer einlässt. Dieses intensive Einlassen erproben auch die französischen Harfenistinnen Kristen Noguès und Gwenaël Kerléo, die beide im Finistère leben und arbeiten. Sie spielen auf bretonischen Harfen und widmen sich keltischen und selbst komponierten Liedern, ihre Inspiration holen sie sich vom Meer, denn "Meer und Musik sind sich so ähnlich".

Auch die in Kiel lebende Opernregisseurin Kirsten Harms liebt das Meer, es gibt ihr Kraft und Ruhe. Ihre Faszination versucht sie künstlerisch umzusetzen, indem sie die Mythen rund um das Meer auf die Bühne bringt.

Anders Ioanna Karystiani, eine griechische Schriftstellerin, die 1989 auf die Insel Andros kam und sofort fasziniert war von der Inselwelt, die sich ihr erschloss. Die Geschichten der Menschen, die mit dem Meer leben müssen und auf eine elementare Weise mit der Natur verbunden sind, wurden von ihr aufgeschrieben, sie forscht ihnen bis heute nach.

Bunt hingegen geht es einmal im Jahr auf Sylt und Hiddensee zu. Die Palucca Schule Dresden führt die von der Namensgeberin Gret Palucca veranstalteten Tanzwochen durch, die Studierenden der Tanzhochschule tanzen unter Anleitung ihrer Choreografin und Prorektorin Hanne Wandtke in knalligen Anzügen über den Strand. "Aus dem Augenblick schöpfen, darin liegt der künstlerische Sinn", der sich intensiv mit der Meereslandschaft verbindet.

Das letzte Kapitel schließlich stellt die Rebellinnen des Meeres vor. Moderne Piratinnen, die das Abenteuer auf dem Wasser suchen, wie beispielsweise Peggy Bouchet, die als erste Französin in einem Ruderboot den Atlantik überquerte, in 49 Tagen ganz allein auf See. "Das Meer, das ist alles", sagt sie. Ähnlich ergeht es der deutschen Weltklassesurferin Amelie Lux. Mit ihren 25 Jahren ist sie die jüngste Meerliebhaberin im Buch. Von klein auf fühlt sie sich geborgen, wenn sie schwimmt, segelt oder später surft. Ihre Leidenschaft führt zur Teilnahme an den olympischen Spielen in Athen. Auch Ines Jochmann, Skipperin auf der Ostsee, teilt diese Leidenschaft. Sie gründete, nachdem sie erste Segelluft auf den niederländischen Kanälen geschnuppert hatte, den Sozialpädagogischen Verein für Frauen und Mädchen und führt seit 1993 auf dem eigenen Boot Segeltörns durch, eine nicht immer leichte Arbeit, wie sie erzählt.

Marie-Jo Chombart de Lauwe, Widerstandskämpferin und KZ-Überlebende, ist dem Meer seit ihrer Kindheit verbunden, die Sommer verbrachte sie in Bréhat in der Bretagne. Auch heute noch, mit über 90 Jahren, zieht es sie im Sommer an diesen Ort, mit dem sie so viele Erlebnisse verbindet. Eine weitere Kämpferin für eine gerechtere Welt begegnet der Leserin in der Österreicherin Erni Friholt, die die Liebe in die schwedischen Schären geführt hat. Hier betreibt sie nach Jahren freiwilliger Hilfsarbeit in Bangladesh ein alternatives Café und setzt sich unermüdlich für eine frauen- und umweltfreundliche Gesellschaft ein. Das Café liegt direkt am Wasser und ermöglicht einen weiten Blick darauf .

Die z. T. großformatigen Fotos vermitteln einen atmosphärischen Eindruck der jeweiligen Landschaft, der so verschiedenen Farben des Meeres, der im Buch vorgestellten Frauen und ihres Lebens- und/oder Arbeitsraumes am Meer. Sie begleiten die Texte über die Meer-Frauen sehr anschaulich. Die Frauen finden an den Küsten, in direkter Nähe zum Wasser, einen Ort, der ihnen innere Heimat geworden ist, sei es seit früher Kindheit oder in späteren Jahren, sie alle verbindet die Leidenschaft, die Faszination für eine Landschaft, die so wenig zu fassen ist, weil sie so flüchtig erscheint. Das Buch fängt all diese Aspekte auf wundervolle Weise ein, eine absolut lohnenswerte Entdeckungsreise.

Titelbild

Florence Hervé: Frauen und das Meer.
Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2004.
192 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3806729131

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