"Und bitte, seien Sie mir nicht böse, dass ich in diesem Punkt dringlich werde"

Der Suhrkamp Verlag präsentiert Siegfried Unselds "Briefe an Autoren"

Von Roman KernRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roman Kern

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dringlich werden konnte er, so mancher Autor wusste ein Lied davon zu singen. Doch sein Drängen suchte immer die Zusammenarbeit mit dem, den er da bewegen wollte. Sein Drängen - so unangenehm es manchmal gewesen sein muss - suchte mit Leidenschaft nach neuen Ergebnissen; es forderte vom Autor beständig, das Meiste aus seiner Zeit zu machen. Dass dies niemals aus bloßer Profitgier geschah, sondern aus einer Art verlegerischer Besessenheit heraus, das wurde jedem klar, der einen Brief von ihm erhielt.

Der da schrieb, war - wie er selbst einmal sagte - "mit Haut und Haar, mit meinem ganzen Blutkreislauf" seinem Beruf verschrieben - einer der wenigen Fälle, in denen von Beginn an die Stringenz einer erkannten und gelebten Berufung wirkte. Er durfte andere fordern, da er sich selbst in beispielloser Weise einsetzte. Sein Arbeitspensum war enorm: Selbst wenn er eine seiner Kuren antrat, schleppte er einen Berg von Manuskripten und Büchern mit. Er war faktisch niemals ,außer Dienst', er tauschte lediglich den heimischen Schreibtisch gegen einen Kursessel.

80 Jahre alt geworden wäre er im vergangenen Jahr, und so ist es stimmig, dass der Verlag, den Siegfried Unseld über 50 Jahre lang führte, ihm in mehrfacher Hinsicht ein Denkmal setzt: Zu seinem 80. Geburtstag wurde im Frankfurter Holzhausenschlösschen eine Ausstellung eröffnet, und zur gleichen Zeit legte der Suhrkamp Verlag einen Band ausgewählter Briefe vor, die Unseld im Laufe seiner Tätigkeit an verschiedene Autoren geschrieben hat.

Der Titel des Buches macht deutlich, wie sehr man sich im Haus seiner Verdienste bewusst ist: 1963 nämlich hatte Siegfried Unseld ein Buch desselben Titels herausgegeben. Der hundertste Band der Bibliothek Suhrkamp präsentierte damals ausgewählte Briefe des Verlagsgründers Peter Suhrkamp; der Band 1384 derselben Reihe wird nun, 41 Jahre später, vom Namen seines ehemaligen Praktikanten geziert.

Die vorliegende Sammlung von 88 Briefen ist ein beeindruckendes Zeugnis von der Leidenschaft des Steuermanns Siegfried Unseld in diesem "Verlagsschiff", wie er es selbst einmal Hans Magnus Enzensberger gegenüber formulierte. Das Material ist chronologisch geordnet und erhebt, wie das Nachwort des Herausgebers Rainer Weiss betont, keinen Anspruch auf Repräsentativität - angesichts des Umstandes, dass Siegfried Unseld im Laufe seines Wirkens Zehntausende von Briefen verfasst hat, kann man das nun veröffentlichte Material nur als den Versuch betrachten, den gesamten Briefkorpus schlaglichtartig zu beleuchten.

In manchen der Briefe wird das sorgfältige, strategisch planende Vorgehen des Verlegers deutlich, zum Beispiel als er Nelly Sachs von seinem Entschluss berichtet, eines ihrer Stücke im "Spectaculum" zu veröffentlichen. Durch die Gegenüberstellung von ihrem Gedicht "Eli" und Max Frischs "Andorra" sollte die Aufmerksamkeit auf ihren Gedichtband "Zeichen im Sand" gelenkt werden: Die jährlich erscheinende Anthologie hatte eine Auflage von 40.000 Exemplaren und war insofern bestens geeignet, Werbung für das Werk von Nelly Sachs zu machen.

Überhaupt war ihm wohlbewusst, wie sehr das Verlegergeschäft von der Aufmerksamkeit des Kulturbetriebs abhängig war - Hemmungen, das Mittel der Werbung gezielt einzusetzen, kannte Unseld nicht. Es war jedoch immer eine Art von Werbung, die ihresgleichen suchte: Sie war immer originell und scheute sich nie, mit dem Produkt selbst zu werben. So wie etwa Anfang des Jahres 1970, als Unseld seinen Freund und Autoren Uwe Johnson bat, die Eindrücke seiner Lesereise durch die Bundesrepublik zusammenzufassen - als Werbung für die "Jahrestage". So entstand eine höchst bemerkenswerte Collage von Presseäußerungen über das Buch, in der Johnson der versammelten Journalisten- und Kritikerzunft frech die eine oder andere Aussage unterschob, um die teilweise sehr formelhaft anmutenden Kritikerstatements, die fast immer dreist die Deutungshoheit über die besprochenen Werke beanspruchten, mit ironischen Zwischenfragen zu konfrontieren.

Peter Suhrkamp hatte sie nicht gemocht, die Werbung. Das kann man auch daran ablesen, welche Arbeitsgebiete er dem jungen Unseld 1951 übergab: "Vertrieb, Werbung, Herstellung und gelegentlich Lektorat". Offensichtlich war hier mit dem Vertrieb und der Werbung ein ungeliebter Anteil des Verlegerberufs gerne abgegeben worden. Dass jedoch von Beginn an auch der für Peter Suhrkamp sehr wichtige Bereich "Herstellung" und - zumindest gelegentlich - auch die Königsdisziplin "Lektorat" Teil seiner Aufgaben waren, sagt viel über das Vertrauen aus, das der junge Praktikant genoss. Im ersten Brief des Bandes an Hermann Hesse erfahren wir: "Er selbst hatte mir unter vier Augen erklärt, dass ich den Verlag mit einer aussichtsreichen Chance betrete, wisse er doch nicht, wem er, selbst alt und krank, den Verlag einmal anvertrauen sollte."

Von Beginn an hatte Unseld den Verlag auch als eine Plattform für Erziehung begriffen und stand hier in der Tradition seines Lehrers Peter Suhrkamp. Das hieß auch, dass man in wesentlichen Fragen der Zeitgeschichte kein unvorsichtiges oder gar fahrlässiges Verhalten an den Tag legen durfte. Als im Jahr 1971 "Gehen" von Thomas Bernhard vorbereitet wurde, störte sich Siegfried Unseld an einer Formulierung, in der eine Figur davon sprach, für kopfloses Kindermachen sei die Höchststrafe zu verhängen und zugleich unmissverständlich klarstellte, dass hier die Todesstrafe gemeint war. Der Standpunkt des Verlegers war deutlich: "Das ist nun ein Punkt, gegen den ich persönlich ganz grundsätzlich bin", "Ich möchte Sie sehr bitten, diese Stelle nochmal in aller Konsequenz zu bedenken".

"Im Verlagswasser kann man halt nichts anderes als schwimmen", schrieb er im April 1972 an Erica Pedretti. Dabei hatte er eigentlich eine seiner Fastenkuren im Hinterkopf, doch manch böse Zunge hätte ihm angesichts dieses Zitats damals vielleicht gerne vorgeworfen, dieses Wort passe auf einen aalglatten Verleger wie ihn. Heute wagt das keiner mehr, und überhaupt wäre der Vorwurf angesichts der vielen Momente, in denen er unbequeme Positionen vertrat, niemals berechtigt gewesen. Der ,Verlagspatriarch' war fast immer auch ein umstrittener Herrscher im Kräftefeld zwischen Ökonomie, Intellektualismus und Kultur gewesen. Anfang November 1979 wunderte er sich in einem Brief an Norbert Elias: "Es ist ja doch merkwürdig in unserer Zeitungslandschaft, daß ein Mann den Suhrkamp Verlag aus freien Stücken verläßt, und es rauscht im Blätterwald; zugleich kündigt die AEG an, daß 13.000 Arbeiter entlassen werden müssen, und niemand regt sich auf." Zuvor war Günter Busch zur Europäischen Verlagsanstalt gewechselt; nicht ohne Bedauern verließ er damals den Arbeitsplatz, an dem er 16 Jahre lang als Redakteur gewirkt hatte.

Ab Januar 1982 gerät der Band für den aufmerksamen Beobachter unter anderem auch zu einer Art verdeckt erzählter Liebesgeschichte. In einem Brief an Peter Becker ist die Rede von einer neuen Autorin: "Josef stirbt" von Ulla Berkévicz erschien Ende August 1982. Es folgten weitere Veröffentlichungen der ehemaligen Schauspielerin, und wie man weiß, haben sich im Verlauf der geschäftlichen Verhandlungen auch private Kontakte ergeben. Ein kurzer Brief an Ulla Berkévicz im September 1986 dokumentiert das veränderte Verhältnis mit einem selbstverständlichen "Dein Siegfried", und kaum vier Jahre später spricht ein Brief an Siegrid Damm von der bevorstehenden Hochzeit am nächsten Tag. Hier begann zweifelsohne ein neuer Lebensabschnitt.

An Theodor W. Adorno schrieb er einmal: "Die Treue, die Sie Suhrkamp gegenüber empfinden, wird auch die Treue des Verlags zu Ihnen sein." Zu diesem Zeitpunkt war der 34-Jährige gerade Verleger geworden und dankte Adorno so für seine Rede zu Peter Suhrkamps Tod. Ihm war klar, dass sowohl ihm als auch dem Verlag eine neue Lebensphase bevorstand. Dabei gleichzeitig eine gewisse Kontinuität zu wahren und für Verlässlichkeit zu sorgen, war Unseld jedoch äußerst wichtig. So hört man dazu im Nachwort von Rainer Weiss: "Auf Siegfried Unseld konnte man sich verlassen, und die Autoren verließen sich auf ihn. Nicht selten warf er sich für sie in die Bresche".

Gerade vor dem Hintergrund dieser Worte wiegen die jüngsten Entwicklungen im Hause Suhrkamp umso schwerer: Dass Martin Walser unter öffentlichem Protest mit zwei Büchern zur Konkurrenz gegangen ist, mag mancher für die Geltungssüchtigkeit eines eitlen Mannes halten, doch hatte er seine Verletzung unmissverständlich deutlich gemacht. Als er wegen seines Buches "Tod eines Kritikers" von der Presse heftig angegriffen wurde, hatte er den gewohnten Rückhalt vermisst: "Siegfried Unseld wäre nicht in die Knie gegangen". Hier wird der Bruch der Kontinuität offensichtlich, und der Eindruck der verletzten Eitelkeit relativiert sich, wenn man weiß, dass einige langjährige Autoren mittlerweile von ihren einflussreichen Positionen im Verlag Abstand nahmen.

"Unselds Briefe an die Autoren" sind eine wahre Fundgrube: Sie bieten eine Fülle an Anekdoten und Hintergründen zum deutschen Literaturbetrieb der Jahre 1951-2001. Die durch den Titel hergestellte Bindung an Peter Suhrkamp ehrt den Verleger Siegfried Unseld, und auch der Bezug auf die Geburtstage setzt ein deutliches Zeichen der Parallelität: War der Band mit Suhrkamps Briefen zu dessen 60. Geburtstag herausgegeben worden, so bekommen wir Unselds Briefe nun zu seinem 80. - ein schönes Geburtstagsgeschenk, über das sich der Verleger sicher gefreut hätte.

In einem Punkt jedoch melden sich Zweifel zu Wort: Unseld hatte die Briefe seines Vorgängers selbst ediert - für die vorliegende Publikation zeichnet Rainer Weiss als Herausgeber verantwortlich. War es Absicht, dass Ulla Berkévicz als Siegfried Unselds de facto Nachfolgerin den Band zu ihrem Lebensgefährten und Vorgänger nicht selbst herausbrachte? War es gar Scheu oder, wie mancher unken mag, vielleicht eher weise Voraussicht? In jedem Fall stellt sich die Frage angesichts der bewusst erscheinenden Entscheidung über die Herausgabe noch deutlicher: Werden wir jemals einen Band desselben Titels unter dem Namen Ulla Berkévicz sehen?

Titelbild

Siegfried Unseld: Briefe an die Autoren.
Herausgegeben von Rainer Weiss.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
183 Seiten, 12,80 EUR.
ISBN-10: 3518223844

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