Die Rätselhaftigkeit der Fuge

Jürgen Schröders "Einführung in die Philosophie des Geistes" ist zwar grundsolide, kommt aber reichlich spät

Von Ansgar VautRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ansgar Vaut

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Magazin "Gehirn und Geist" veröffentlichten Deutschlands führende Hirnforscher kürzlich ihr so genanntes "Manifest". In diesem Manifest geht es um Zukunft und Ziele der sich rasend schnell entwickelnden Neurowissenschaft. Dabei werden auch Grenzen dieser jungen Disziplin eingeräumt. Diese sollen sich vor allem da auftun, wo es gilt, die Entstehung des menschlichen Bewusstseins aus dem Gehirn zu erklären. Bei allem, was Neurowissenschaft vermag und eines Tages noch leisten wird: Wenn es um subjektive Qualitäten wie etwa die Empfindung für die Schönheit einer Bach-Fuge oder den Duft einer Maracuja geht, müsse die Hirnforschung schweigen, so das Manifest.

Philosophen, die sich traditionell der Frage nach dem Zusammenhang von Gehirn und Bewusstsein angenommen hatten, werden das - sofern sie dieses naturwissenschaftlich-empirisch geprägte Magazin überhaupt zur Hand nehmen - mit Befriedigung gelesen haben. Schließlich haben viele von ihnen das Geist-Gehirn-Problem der ungeheuren Erfolge der Neurowissenschaftler zum Trotz als ein im Kern genuin philosophisches Problem verteidigt.

Eine Einführung in die philosophische Sicht des Geist-Gehirn-Problems hat jetzt der Karlsruher Philosoph Jürgen Schröder mit seiner "Einführung in die Philosophie des Geistes" vorgelegt. Und, bei aller Aktualität des Themas, kommt man doch um die Frage nicht herum: Warum bloß dieses Buch? Nicht, dass am Inhalt viel auszusetzen wäre. Aber es gibt bereits diverse solide Einführungen zum Thema, und Schröder hat, verglichen mit diesen, kaum Neues zu bieten.

Ansgar Beckermanns "Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes" beispielsweise ähnelt Schröders Buch in Aufbau und Inhalt frappierend. Nur ist es drei Jahre früher erschienen. In beiden Büchern gibt es eine kurze Auseinandersetzung mit Descartes' Substanzdualismus, dann werden die wichtigen Theorien des 20. Jahrhunderts - Identitätstheorie, Funktionalismus, Eliminativer Materialismus - verhandelt. Und ebenso wie Beckermann diskutiert auch Schröder die einschlägigen Gedankenexperimente: Frank Jacksons Super-Neurophysiologin Mary, die ihr Leben in einem schwarz-weißen Labor zubringt, bis sie dann zum ersten Mal eine rote Tomate sieht. Thomas Nagels Frage, wie es ist, eine Fledermaus zu sein. Und natürlich John Searles Gedankenexperiment vom Chinesischen Zimmer.

Nicht nur Beckermanns Buch, auch Michael Pauens "Grundprobleme der Philosophie des Geistes" aus dem Jahre 2001 ähneln Schröders Einführung in vielen Punkten sehr. Von diversen Einführungen aus dem angloamerikanischen Raum ganz zu schweigen. (Genannt sei nur Paul Churchlands immer noch sehr lesenswertes "Matter and Consciousness" von 1983.) Da verwundert es einfach, wenn jemand, der die Fachliteratur so gewissenhaft wie Schröder referiert, völlig ignoriert, dass der Platz, auf dem er es sich einrichten will, bereits besetzt ist.

Immerhin, im letzten der insgesamt elf Kapitel seines Buches beweist die "Einführung in die Philosophie des Geistes" Originalität. Dort geht es um das Problem der Willensfreiheit. (Man mag sich fragen, wie dieses Thema seinen Weg in eine Einführung in die Philosophie des Geistes gefunden hat, aber gut.) Schröders Lösung ist originell, weil er sich gar nicht erst auf den Begriff der Kausalität, mit dem Philosophen hier gewöhnlich operieren, einlässt. Das klassische Dilemma beim Problem der Willensfreiheit besteht darin: Wenn die physikalischen Gesetze, welche unser Universum regieren, deterministisch sind, gibt es keinen Platz für Willensfreiheit im Sinne einer spontanen Verursachung. Wir wären wie Kugeln auf einem Billardtisch. Aber auch wenn die Gesetze (etwa auf einer Quantenebene) nicht deterministisch wären, gäbe es keinen Platz für Freiheit. Denn Indeterminiertheit wäre dann bloß gleichbedeutend mit Zufall und Kontingenz.

Philosophen bemühen sich in der Regel, irgendwo zwischen den Polen dieses Dilemmas einen akzeptablen Begriff von Kausalität unterzubringen (Schröder nennt das Agenskausalität). Schröder probiert es dagegen mit einem modifizierten Begriff von Kausalität, der Urheberschaft. Er knüpft dafür an den Begriff des "autobiographischen Selbst" des Hirnforschers Damasio an. Das autobiografische Selbst besteht nicht nur aus unseren aktuellen Wünschen und Überzeugungen, sondern aus der Gesamtheit unserer Urteils- und Gefühlsdispositionen. Hinzu kommt das ideale Selbst. Das "ideale Selbst" entspricht dem Bild davon, wie wir gerne wären (z. B. stets moralisch handelnde Wesen). Frei ist man laut Schröder nicht dann, wenn man eine bestimmte Aktion verursacht hat, sondern: "Man ist umso mehr frei, als man der Urheber einer Entscheidung ist, und man ist umso mehr der Urheber einer Entscheidung, als diese Entscheidung sowohl mit dem (autobiographischen und idealen) Selbst als auch mit den gegenwärtigen Überlegungen zusammenstimmt". Frei bin ich demnach einfach, wenn ich in meinem Überzeugungen etc. mit meiner Handlung übereinstimme, ohne dass ich diese spontan verursacht haben müsste.

Schröders Ansatz ist meines Erachtens deswegen so originell, weil er auf elegante Weise die Frage umgeht, wie Freiheit mit Determiniertheit (bzw. mit Indeterminiertheit) vereinbar sei. Und unabhängig davon, ob man Schröders Auffassung teilt oder nicht: Er zeigt, wie essentiell es ist, sich darüber klar zu werden, was man mit "Freiheit" meint. Neurowissenschaftler erscheinen reichlich voreilig, wenn sie behaupten, es gäbe keinen freien Willen, weil sie dabei häufig von einem intuitiven, vollkommen unreflektierten Freiheitsbegriff ausgehen. Hier liefert Schröder einen originellen, bedenkenswerten Beitrag zur Philosophie der Willensfreiheit. Leider sind es nur 50 Seiten - von insgesamt fast 400.

Titelbild

Jürgen Schröder: Einführung in die Philosophie des Geistes.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
350 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-10: 3518292714

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