Hai contra Wittgenstein

Heinrich Steinfests rätselhafter Krimi "Nervöse Fische"

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer im vergangenen Herbst tief beeindruckt und höchst entzückt war von Heinrich Steinfests Roman "Ein sturer Hund" (vgl. literaturkritik 03/2004), für den der Autor völlig zu Recht beim Deutschen Krimipreis ausgezeichnet wurde, der wollte mehr lesen - wenn möglich in Form einer beginnenden Serie. Und diese wäre dann verbunden mit Markus Cheng, dem einarmigen Privatdetektiv aus Österreich mit chinesischen Flecken in der Biografie, dessen Wirken von Stuttgart ausgeht. Nun, ein neuer Steinfest-Krimi liegt vor (Jubel), und sein Protagonist heißt Richard Lukastik. Nicht enttäuscht sein, bitte, denn auch diese Hauptfigur - er steht wieder auf der Seite der Guten - hat Schrullen und Eigenarten und ist ebenso einprägsam wie sein Stuttgarter Pendant.

Lukastik ist Wiener Chefinspektor und er steht vor einem vertrackten Fall. In "Nervöse Fische", so der nicht sonderlich starke Titel des neuen Buches (und auch das Cover hat nicht die Klasse des "Sturer Hund"-Umschlagbildes), wird ein Mann in einem Swimmingpool, der zu einer Wohnung im 28. Stockwerk eines Wiener Hochhauses gehört, tot aufgefunden. Der Mann wurde, das belegen Aussagen eines eilig herbeigerufenen Experten, von einem großen Hai angefallen, ja zerfetzt. Ob er letztlich an den Verblutungen gestorben oder ertrunken ist, bleibt dabei zweitrangig. Wie kommt ein so großer Hai in den 28. Stock eines Gebäudes in einem Land, in dem Haifische ohnedies eine absolute Rarität darstellen? Ein Rätsel, so scheint es. Doch nicht für Lukastik, denn der strenge Wittgensteinianer, der immer seine Suhrkamp-Ausgabe des "Tractatus logico-philosophicus" in der Tasche hat, wie andere Leute ihr Handy, hält sich an eine zentrale Aussage des großen Philosophen, wonach es keine Rätsel gibt. Und so beginnt ein Polizeiroman, der ganz klassisch alle Wege und Umwege der Ermittelnden auf- und nachzeichnet.

Lukastik schickt zwei seiner Leute, einer davon ist sein direkter Untergebener, Peter Jordan, nach Zwettl, wohin die Spur des im Pool gefundenen Hörgerätes führt, handelt es sich dabei doch um eine Spezialanfertigung des amerikanischen Anbieters "Heaven of Hearing". In Zwettl verliert sich dann die Spur der Ermittler, weswegen Lukastik ebenfalls dorthin reisen muss. Nicht im Ort direkt, sondern an der Tankstelle mit angeschlossener Mini-Mall - das ganze Ensemble trägt den schönen Namen "Rolands Teich" - trifft er auf Leute, die ihn weiterbringen können, unter anderem auf den genialisch veranlagten Friseur Sternbach. Von ihm geht es weiter zu Oborin, der einmal ein halb berühmter Sportler war, dann zum manischen Grafologen umschulte und nun das Todes- oder Mordopfer ist. Lukastik, den Wittgenstein immer im Anschlag, macht Fehler, bügelt diese wieder aus, findet seine verschleppten Kollegen, setzt sich über die Anweisungen seines Chefs hinweg und lässt sich auf eine gefährliche Spur ein. Bevor Hairstylist Sternbach sich verabschiedet, gibt er dem Inspektor noch einen Tipp, der diesen zurück nach Wien, genauer in das Haus mit dem Haiopfer führt. Und noch einmal wird es sehr, sehr eng für Richard Lukastik und noch einmal ist ihm sein "Tractatus" ein treuer Gefährte. Kollege Jordan kann sich revanchieren und das Rätsel, das keines war, ist gelöst.

Es ist verblüffend, was Heinrich Steinfest, ein Jahr nach dem oben genannten Roman, erneut vollbracht hat. "Nervöse Fische" ist ein Buch voller Anspielungen, die Figuren sind wieder deutlich gezeichnet und präzise charakterisiert, die Orte und Gebäude akribisch und beinahe architekturkritisch beschrieben und all das ist in eine sehr lebendige, abwechslungsreiche, weil klischeefreie Handlung einbezogen, die mit erheblicher Spannung aufwarten kann und somit der Gattung Kriminalroman spielend gerecht wird. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass Heinrich Steinfest dieses Genre erweitert hat, denn er verlässt die konventionellen Bahnen und führt neue, bisher nicht verwendete Aspekte wie Architektur und Philosophie ein.

Titelbild

Heinrich Steinfest: Nervöse Fische. Kriminalroman.
Piper Verlag, München 2004.
317 Seiten, 8,90 EUR.
ISBN-10: 3492242804

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