Glaubhaft ist, was geglaubt wird

Gabriele Klein und Malte Friedrich widmen sich Hip Hop als performativer Kultur

Von Daniel EschkötterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Eschkötter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was erfolgreich ist, verdient es, analysiert und beschrieben zu werden. So oder ähnlich könnte ein Leitsatz vieler kultur- und sozialwissenschaftlicher Arbeiten lauten. Dass es sich bei Hip Hop um eine erfolgreiche Musikrichtung und / oder Kultur handelt, ist evident: Verkaufszahlen von Tonträgern und die Präsenz einschlägiger Mode und Gesten in Medien und Stadtbild könnten als Indikatoren gelten. Es lag also nahe, das (Selbst-)Verständnis von Hip Hop als Zusammenspiel von Musik, Mode und anderen kulturellen Praktiken zu befragen und den Rappern, Sprayern, Breakern und DJs mit kulturwissenschaftlichem Vokabular auf die oft metonymisch einstehenden Kapuzenpullover und Daunenjacken zu rücken. Kamen die ersten wegbereitenden Arbeiten noch von oftmals enthusiastischen Musikkritikern wie Nelson George und David Toop, so hielt in den USA Hip Hop mit der zunehmenden akademischen Präsenz der 'Cultural Studies' sowie der 'Black Studies' und 'Afro-American Studies' verstärkt Einzug in die entsprechenden Institute. In den letzten zehn Jahren mangelte es auch in Deutschland nicht an Versuchen, Hip Hop als würdigen Forschungsgegenstand an den Universitäten sowie in Zeitschriften und Feuilletons zu etablieren, doch musste man bislang das Fehlen einer bündelnden kulturwissenschaftlichen Studie konstatieren. Innerhalb eines von der DFG geförderten Forschungsschwerpunktes mit dem Titel "Theatralität. Theater als kulturelles Modell in den Kulturwissenschaften" haben die Hamburger Sozialwissenschaftler Gabriele Klein und Malte Friedrich sich bemüht, diese Lücke zu schließen und Hip Hop als Kulturphänomen in seiner ganzen Bandbreite zu untersuchen.

Mit dem vorliegenden Buch präsentieren sie nun ihre Analysen und Ergebnisse - und dieses bereits in der kurzen Einleitung. Dort formulieren die beiden Autoren die Kernthese ihrer Studie: Im global-medialen Spannungsfeld von Wirklichkeit und Künstlichkeit finden sie in der Hip Hop-Kultur auf die Titelfrage "Is this real?" die Antwort: "Real ist das, was glaubhaft in Szene gesetzt wird". Hip Hop wird in den Blick genommen als "glokale", hybride, theatral-performative Kultur und als Kultur der Produzenten ins Feld geführt gegen "jene monolithisch wirkenden kulturkritischen Thesen, die eine alleinige Vereinnahmung der Konsumenten durch Kulturindustrien unterstellen". Die Stoßrichtung ist klar und erinnert hier an einige unter dem Schlagwort 'Cultural Studies' publizierte Arbeiten, deren Invektiven gegen eine missverstandene kritische Theorie (Frankfurter Provenienz) oft einhergehen mit sich kritisch gerierenden Umarmungen populärer Kulturphänomene. Auch wenn die Wendung der in Hip Hop-Kreisen abundant verwendeten Phrase "Keep it real!" zur Frage anderes vermuten lassen könnte, unterschlagen die Autoren nicht, dass sich Hip Hop ihrem kulturwissenschaftlichen Wertekanon keineswegs fügt, sondern eben auch wertkonservativ, mythopoetisch, leistungs- und wettbewerbsorientiert sowie männlich-heterosexuell dominiert funktioniert. Mit der Konzentration auf die performativen Aspekte des Hip Hop treten diese eher inhaltlichen (oder programmatischen) Komponenten jedoch in den Hintergrund der Darstellung, obgleich gerade eine Engführung mit dem theoretischen Register der Kulturindustrie hier wohl erhellend gewesen wäre und viele Charakteristika der Hip Hop-Kultur besser zu erfassen erlaubt hätte.

Zumindest um die Aufzählung solcher Charakteristika bemüht sich das der Einleitung folgende Kapitel, welches im Rahmen einer historischen Phänomenbeschreibung auf wenigen Seiten wesentliche Entwicklungsstufen, Elemente, Begriffe und Namen des Hip Hop zusammenzustellen sucht. Auch wenn die Autoren ihre sachlich zumeist akkuraten Darstellungen mit Szenevokabular und Namen (wie bei vielen vergleichbaren Publikationen nimmt die Fehlerdichte hier zu) mitunter überfrachten und die analytischen Einschübe darin unterzugehen drohen, so gelingt doch der Versuch, Beschreibungen von gelegentlich fast launig-liebevollem Charakter, distanzierte Analysen und Paraphrasierungen nebeneinander zu stellen. Der Leser erhält so einen durchaus informierten und informativen Grundriss des Phänomens; an eine wissenschaftliche Untersuchung sollten allerdings andere Ansprüche gestellt werden können, denn das Komprimierungsverfahren und die anscheinend gebotene Kürze lassen es nicht zu, dass der Text hier mehr oder anderes bietet als etwa Zeitschriftendossiers zum selben Thema.

Um den wissenschaftlichen Gehalt bemühen sich die Autoren dann auch verstärkt im Hauptteil des Buches. Entlang der Begriffspaare Ethnizität und Authentizität, Globalisierung und Lokalisierung, Wirklichkeit und Bild resp. Bild und Erfahrung, Theatralität und Realität sowie Ritualität und Alltäglichkeit skizzieren sie im Verlauf ihrer Studie vornehmlich kulturwissenschaftliche Debatten aus den letzten zwei Jahrzehnten und setzen sie in Beziehung zu ihrem erklärten Forschungsgegenstand, wobei sie diesen über Zusammenfassungen und Positionierungen der gängigen wissenschaftlichen Beschäftigungen mit Hip Hop, eine Untersuchung des medialen Diskurses über Hip Hop aus Deutschland, Videoanalysen und "Stimmen aus der HipHop-Szene" fokussieren. Klein und Friedrich folgen in ihren Einschätzungen durchweg einem kulturwissenschaftlichen Konsens der Ablehnung essenzialistischer Positionen, welche sie sowohl in der Forschung zu Hip Hop als auch in der Szene selbst ausmachen. Stattdessen entdecken sie auch im essenzialistischen Diskurs immer wieder das Moment der Konstruktion und versuchen zu zeigen, wie Authentizität und "Realness" über lokale Neukontextualisierungen und -aktualisierungen produziert und "lebensweltlich verankert" werden.

In leichten Variationen halten Klein und Friedrich diese These für alle untersuchten Spannungsfelder bereit. Skepsis ist dabei aber wohl geboten, denn es stellt sich die Frage, ob die Autoren hier nicht kulturwissenschaftliche Mythenbildung betreiben und eine szeneimmanente Stilisierung und Konservierungsströmung - eine Unterscheidung zwischen dem wahren und dem falschen / kommerziellen Hip Hop - mit ihren Mitteln unterfüttern. Indem sie den Aspekt der Rezeption (als Aneignung, nicht als Konsum) betonen und einer vermeintlich produktionsfixierten Kulturindustriethese gegenüber stellen, entsteht ein Bild von Hip Hop, das durch dessen Entwicklung und Ausdifferenzierung schon längst überholt und selbst monolithisch ist. Wenn Hip Hop eine hybride Kultur ist, so verweist diese Hybridität insbesondere auch auf Spannungen zwischen und Transformationen innerhalb der "Säulen" Graffiti, Rap, Breakdance / B-Boying und DJing, von denen man wohl zu Recht annehmen darf, dass es sich bei ihnen nicht einfach um "reine" kulturelle Praktiken handelt, die sich dem Konsum und der Kommerzialisierung widersetzen. Auch wenn Klein und Friedrich dies wohl kaum reklamieren würden, ihre Studie ist dennoch auf eine solche Konstruktion angewiesen - um die Konstruktion der Unterscheidung 'real / fake' untersuchen zu können, müssen sie die Unterscheidung erst einmal selbst einführen.

Performative Selbstbestätigungen dieser Art durchziehen die Arbeit: "Die Realworld des HipHop ist eine theatrale Wirklichkeit, in der sich die Differenz zwischen Sein und Schein im Akt der Inszenierung von Authentizität performativ bestätigt". Auch diese Kernthese bestätigt sich selbst performativ und will schließlich nichts anderes besagen als "Glaubhaft ist, was geglaubt wird". Die Einsicht der Autoren, im Hip Hop komme es auf die Glaubhaftigkeit der Inszenierung an, ist nicht von der Hand zu weisen, aber über die Mechanismen dieses Inszenierens ist damit noch nichts gesagt. Je näher die Autoren diesem in der Einleitung formulierten und im Verlauf oft wiederholten analytischen Nukleus kommen, desto weiter entfernen sie sich von ihrem Gegenstand, denn die so häufig beschworene Hybridität scheint in Studien wie dieser aus der Darstellungsform entweder hervorzugehen oder sie nachhaltig zu durchdringen. Neben den schon angeführten Perspektivwechseln zwischen den Diskursen fallen dabei die Montagen theoretischer Versatzstücke unangenehm auf. So werden Bourdieus Feldtheorie, Butlers Performativitätsbegriff und anderes aus dem kulturwissenschaftlichen Werkzeugkasten referiert und ausprobiert. Über Hip Hop allerdings haben Klein und Friedrich dann mitunter einfach zu wenig zu sagen: Nur selten werden ihre Beschreibungen präzise und spezifisch genug, um die eingeforderten Differenzen zu anderen kulturellen Praktiken oder ein charakteristisches Ensemble von Hip Hop deutlich zu umreißen. Zumeist verbleiben die Autoren damit in einer wissenschaftlichen Strömung, die zum Gemeinplatz zu erstarren droht. Was hier über Hip Hop zu Papier gebracht wurde, hat man so bereits für andere "Subkulturen" reklamiert. Das empirisch gesammelte Material wird zudem kaum zum Sprechen gebracht oder steht in seiner Schlichtheit häufig quer zum angelegten Maßstab.

Ohne Zweifel liefern Klein und Friedrich hellsichtige Analyseansätze und Beschreibungsfragmente, aber sie vertrauen ihrem Gegenstand nicht ausreichend, um immanente Kritik exemplarischen Charakters an ihm zu exerzieren. Müsste sich die Untersuchung einer Kultur, die sich immer in Akten vollzieht, nicht gerade die Beschreibung und Analyse dieser Akte zur Aufgabe machen? Wenn die Autoren mit ihrem Schlagwort performative Kultur tatsächlich einen Kern treffen, so zeigt sich dies vielleicht in der Widerständigkeit oder manchmal schlicht Unverwertbarkeit des Materials. Das Projekt Kleins und Friedrichs wird torpediert von ihren eigenen theoretischen Voraussetzungen: Eine sich immer nur in Akten vollziehende Kultur widersteht nach theoretischem Ermessen der schriftlichen Fixierung vielleicht konstitutiv - das Schlagwort performativ bezeichnet schließlich zumeist auch eine solche Transgression oder Unterwanderung.

So empfiehlt sich "Is this real?" durchaus als Weggefährte durch das Dickicht kulturwissenschaftlicher Fragestellungen und Debatten. Wer sich aber kritische Analysen und geistreiche Anmerkungen zu einem Kulturphänomen erhofft, wird dieses Buch wohl enttäuscht wieder aus der Hand legen und weiterhin darauf warten, dass man ihn eines Besseren belehre in seiner Mutmaßung, über Hip Hop gebe es kaum Überraschendes zu sagen.

Titelbild

Gabriele Klein / Malte Friedrich: Is this real? Die Kultur des HipHop.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
224 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3518123157

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