Spätbürgerliche Wonnen

Sybil Gräfin Schönfeldt schaut den Buddenbrooks in die Kochtöpfe

Von Alexis EideneierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexis Eideneier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Anforderungen, die das Thema "Tafelfreuden bei den Buddenbrooks" an die Forschung stellt, sind keineswegs gering - bedarf es doch umfassender Kenntnisse in Literatur, Geschichte und Gastronomie, um kompetent darüber Auskunft zu geben. Man muss nicht nur ein gründlicher Leser von Thomas Manns Roman sein, sondern auch über die Lebensart der Lübecker Patrizier im ausgehenden 19. Jahrhundert Bescheid wissen und nicht zuletzt am eigenen Herd nachvollziehen können, was dienstbare Mamsells vor über 100 Jahren aufzutischen pflegten.

Wie gut, dass es eine Autorin gibt, die all diese Gebiete souverän beherrscht und obendrein auf interessante Art zu vermitteln weiß. Die Hamburger Publizistin Sybil Gräfin Schönfeldt, gefeierte ZEIT-Kolumnistin, Kinderbuchautorin und Grande Dame der deutschen Etikette-Ratgeber, verblüffte mit ihrem vielseitigen Talent schon vor über zehn Jahren. Der damals erschienene Band "Bei Thomas Mann zu Tisch" liegt jetzt in einer überarbeiteten Neuausgabe vor.

Auch in neuer Aufmachung beschreibt dieses Buch nicht nur die Muße und den Verfall des Großbürgertums. Um den Leser mit den Vorbildern der Romanfiguren vertraut zu machen, steht am Anfang eine umfassende fotografische Genealogie der Familie Mann. Kenntnisreich rekapituliert Gräfin Schönfeldt die beschriebenen Feste, berichtet über Tafelsitten und Gebräuche (etwa warum es dermaleinst in Lübeck nur Diners, aber nie Soupers gab), erläutert den Unterschied zwischen altenglischem, französischem und russischem Service und verrät sogar, was ein typisches Diner bei den Buddenbrooks kostete.

Die Glorie des Merkantilismus war dahin, die Zukunft ungewiss: Illustriert durch zahlreiche historische Ansichten gewährt diese sorgfältig recherchierte Neuauflage profunde Einblicke in die Geschichte der Hansestadt. Vom Kaufmannsstolz hinter Backsteinfassaden bis zur Sommerfrische beim Kurkonzert in Travemünde erweist sich die Autorin als kundige Fremdenführerin durch eine untergegangene Welt. Etwas deplatziert wirkt allein die Titel-Illustration, eine lichte Gartenszene von Monet - trotz der Zeitgleichheit scheinen französischer Impressionismus und norddeutsches Großbürgertum beinahe unvereinbar.

Macht man Sinnlichkeit zum Vehikel der Erinnerung, so lässt sich die dekadente Umbruchzeit des alten Lübeck mittels der hier vorgeschlagenen Rezepte eindrucksvoll heraufbeschwören. Ob bei ziegelrotem Schinken, Bratwurst mit Pfefferkuchensauce, Marzipan oder dem berühmten Franzbrot: Im Reigen der verschiedenen Mahlzeiten vom Frühstück über die Teestunde bis zum Diner zeigt sich, dass die damaligen Grundregeln der Küche heute noch unvermindert gelten. Die 50 mit der Silbermedaille der Gastronomischen Akademie Deutschlands ausgezeichneten Rezepte wurden mit Hilfe alter Kochbücher rekonstruiert und lassen sich leicht nachkochen.

Allerdings haben Archive in Berlin und Zürich bereits ein Jahr nach Erscheinen der Erstausgabe bislang unbekannte, in zwei handgeschriebenen Sammlungen erhaltene Originalrezepte der Familie Mann zur Veröffentlichung freigegeben. Diese Anleitungen sind im vorliegenden Band auch nach der Überarbeitung nicht enthalten. Wer daher auf Authentizität Wert legt, greife zusätzlich zu dem vergleichsweise schmucklosen Büchlein "Die Küche der Buddenbrooks. Der Verfall einer Familie im Spiegel ihrer Eßgewohnheiten" von Isolde Richter.

Titelbild

Sybil Gräfin Schönfeldt: Feine Leute kommen spät... oder Bei Thomas Mann zu Tisch Tafelfreuden im Lübecker Buddenbrookhaus.
Arche Verlag, Hamburg 2004.
144 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-10: 3716023221

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