Die Intransigente

Julijana Ranc entreißt das Leben Alexandra Ramm-Pfemferts dem Vergessen

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ihre ältere Schwester Nadja schrieb über sie: "In ihr war etwas von einer geborenen Anarchistin. Sie verabscheute jede Autorität, ob es der Lehrer, die älteren Geschwister oder der liebe Gott sei. [...] wenn sie später, in einem europäischen Kulturzentrum lebend, den linksten Flügel jeder politischen, literarischen oder künstlerischen Bewegung bevorzugte, so war es nichts Auffälliges: es war ihrer Natur adäquat. Das Intransigente, das Extreme, das sich nicht einem Gesetz Unterwerfen zog sie an." Für den expressionistischen Maler Karl Jakob Hirsch war sie "eine energische russische Frau [...], die aus ihrer revolutionären Gesinnung keinen Hehl machte. Ihrem Einfluss war es zu verdanken, dass ihr schüchterner Ehemann so etwas wie ein heroischer Kämpfer für Recht und Freiheit wurde." Für Else Lasker-Schüler dagegen war sie schlicht "das niederträchtigste Weib, das die Welt gesehen hat", wie sie Karl Kraus anvertraute.

Die Rede ist von Alexandra Ramm-Pfemfert, der Ehefrau Franz Pfemferts. Bislang war über sie wenig mehr als ihre Lebensdaten bekannt. Dass sie ihren Mann bei der Arbeit an seiner Zeitschrift "Die Aktion" unterstützte, gelegentlich Artikel beisteuerte und die legendären "Revolutionsbälle der Aktion" organisierte, in den 1920ern auch die "Aktions"-Buchhandlung in der Berliner Kaiserallee führte und dort für avantgardistische Künstler Ausstellungen veranstaltete, wurde in der einschlägigen Forschung respektvoll vermerkt, qualifizierte sie aber offenbar nicht für eine eigenständige Darstellung. Die Hamburger Kulturwissenschaftlerin Julijana Ranc hat jetzt den Versuch unternommen, Alexandra Ramm-Pfemferts faszinierendes Leben und Wirken dem Vergessen zu entreißen. Die Schwierigkeit von Rancs Arbeit, die 2002 als Dissertation an der TU Darmstadt eingereicht wurde, liegt in einer desolaten Materiallage. So wurde etwa das gesamte Redaktionsarchiv der "Aktion" 1933, nach der überstürzten Flucht des Ehepaares nach Karlsbad, von den Nazis vernichtet. Völlig im Dunkeln lagen bislang Kindheit und Jugend der 1883 im russischen Starodub, einem so genannten Ansiedlungsrayon für Juden, aufwachsenden Alexandra Ramm, die 1901 ins wilhelminische Deutschland kam und dort schnell Zugang zur Berliner Boheme fand. Als "Schwestern Ramm" wurden sie und ihre Schwester Maria, die die Ehefrau Carl Einsteins wurde, im "Café des Westens" berühmt-berüchtigt.

Bei ihren Recherchen gelang es Ranc, noch lebende Verwandte der in alle Welt verstreuten jüdischen Familie aufzuspüren, ebenso amtliche Dokumente sowie mehrere hundert Briefe aus der Zeit nach 1927. Die Dokumentation dieser Briefe und Artikel sowie umfangreiches Bildmaterial machen den größten Teil des 570 Seiten starken Bandes aus, die eigentliche biografische Darstellung umfasst keine 200 Seiten. Als wichtiger Fund erwiesen sich die unveröffentlichten Erinnerungen von Alexandras Schwester Nadja, auf die sich Ranc bei der Rekonstruktion der Jugendjahre Alexandras stützt, in der plausiblen Annahme, dass das, was die ältere Schwester von ihrer Kindheit berichtet, sich grosso modo auf Alexandra übertragen lässt.

Wenig Neues bringt die Biografin in ihrer Schilderung der frühen, vom Engagement für die expressionistische Künstlergeneration geprägten Jahre. Umso bedeutender ist jedoch Rancs ausführliche Darstellung der Beziehung Alexandras zu Leo Trotzkij. Für den S. Fischer Verlag übertrug sie zahlreiche literarische und historische Werke aus dem Russischen, darunter nach 1929 auch die wichtigsten Arbeiten des damals im türkischen Exil lebenden Trotzkij. Aus dieser Zusammenarbeit entwickelte sich eine langjährige Freundschaft, die sich in einer zeitweilig extensiven Korrespondenz manifestierte.

Alexandra Ramm-Pfemferts Engagement für den von Stalin verfemten Kommunisten in den Jahren zwischen 1929 und 1933 ging allerdings weit über die Übersetzung seiner Schriften hinaus, wie Ranc nachweist. Tatsächlich hatte sie an den in dieser Zeit entstandenen Schriften Trotzkijs, darunter vor allem seine Autobiografie "Mein Leben" (1930) und die dreibändige "Geschichte der russischen Revolution" (1931-33), großen Anteil. Für Trotzkij, der von Informationen über das politische Weltgeschehen weitgehend abgeschnitten war, war Alexandra so etwas wie eine Assistentin und (Literatur-)Agentin. Dass Trotzkij, der von Verrätern und Spionen umgeben war, ihr so sehr vertraute, ist umso bemerkenswerter, als sich die beiden niemals persönlich begegnet sind. Alexandra versorgte ihn mit Literatur, Zeitungen, Zeitschriften und Forschungsmaterial, verwaltete einen Teil seines Autorenhonorars und lieferte ihm kontinuierlich Stimmungsberichte über die sich zuspitzende politische Lage in Berlin; sie berichtete ihm detailliert von den Demonstrationen und dem wachsenden Erfolg der Nazis. Ihre Berliner Adresse nutzte sie als Deckadresse für die heimlichen Kontakte zwischen Trotzkij und seinen ebenfalls verbannten politischen Freunden und sorgte für die Verbreitung seiner Artikel.

Wie Ranc jedoch betont, war Alexandra Ramm-Pfemfert bei all ihrem Engagement für Trotzkij und ihrer Verbundenheit für den Linksradikalismus ebenso wenig wie ihr Mann eine bedingungslose Anhängern noch überhaupt eine "Trotzkistin" im engeren Sinn. Was beide an Trotzkij schätzten, war zunächst seine Kritik an Stalin, darüber hinaus war es für beide seit jeher selbstverständlich, sich mit Opfern und Verfolgten staatlicher Willkür zu solidarisieren. Was umgekehrt Trotzkij an ihr schätzte, dürfte auch der Grund für das Vertrauen gewesen sein, das er ihr entgegenbrachte, nämlich eben jene "Intransigenz" Alexandras, von der ihre Schwester Nadja sprach. Ranc beschreibt diese Wesenseigenschaft, die ebenso Franz Pfemfert auszeichnete, als "ethischen Rigorismus, der seinen Ursprung in der radikalen Infragestellung konventioneller Normen und Werte hatte [...]. Als [...] 'anständig' galten sowohl für Alexandra als auch für Franz Pfemfert kompromißlose Aufrichtigkeit, intellektuelle Unbestechlichkeit und der Mut, seine Position öffentlich kundzutun, sei es in künstlerischer oder politischer Hinsicht."

Wie schwierig es ist, mit einer solch kompromisslosen Haltung zu überleben, zeigte sich gerade in den Jahren nach 1933, die Ranc sehr bewegend schildert: Nach den Versuchen, zunächst in Karlsbad, dann in Paris sich mit Hilfe eines Fotoateliers über Wasser zu halten, retteten sich die beiden 1939 (u. a. mit Hilfe Albert Einsteins) mit viel Glück zuerst nach New York, dann nach Mexiko, wo beide einsame, verbitterte Jahre verlebten. Nach Franz Pfemferts Tod 1954 kehrte Alexandra nach Deutschland zurück und verbrachte ihre letzten Lebensjahre, voller Befremden über die Wiederaufbau- und Wirtschaftswundermentalität und den kollektiven Drang, "modern" sein zu wollen, in West-Berlin, wo sie 1963 starb. Dass in dieser Zeit auch das Wirken ihres Mannes für den Expressionismus wiederentdeckt wurde, dürfte zumindest ein kleiner Trost gewesen sein.

Titelbild

Julijana Ranc: Alexandra Ramm-Pfemfert. Ein Gegenleben.
Edition Nautilus, Hamburg 2004.
576 Seiten, 44,00 EUR.
ISBN-10: 3894014466

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