Ein aufhaltsamer Fall

Christoph Türcke weiß, wo der Fundamentalismus herkommt und wohin er zurückkehrt

Von Fabian KettnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabian Kettner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den Anschlägen auf das World Trade Center vom 11. September 2001, so einer der Topoi der europäischen - und vor allem deutschen - Interpretamente, sei die Gewalt, die von den USA in die Dritte Welt ausgegangen sei, dorthin zurückgekehrt.

Ein Zusammenhang wird konstatiert. Die behauptete Wechselbeziehung ist so allgemein, so abstrakt, dass sie immer irgendwie stimmen und dass man dem, der sie äußert, keinerlei Sympathie für die Anschläge nachweisen kann. Die Konstatierung allerdings wird mit einem Gefühl der Genugtuung verbunden: recht so! Auf die erste Stufe der Konstatierung folgen die Stufen Plausibilisieren (2), Verstehen (3) und entschuldendes Verständnis (4).

Türcke entschuldet nicht. Er nennt die Anschläge "ein ganz gemeines Verbrechen" und bezeichnet jene, die sie verübten, als "diejenigen, die beim Wettstreit der Kräfte auf der Strecke geblieben waren." Der Anschlag sei Ausdruck eines inneren Kampfes gewesen. Die ökonomische wie militärische Gewalt der USA, die über die islamischen Länder kam, habe die Attentäter als Angehörige einer "Siegerreligion" an sich selbst erinnert. In der Gewalt, die von den USA ausgehe, erkenne der militante Islamismus seine eigenen Wunschbilder. Um nun diese "im eigenen Inneren nicht hochkommen zu lassen, stürzten sich die Attentäter in die Twin Towers." Man habe sein Spiegelbild vernichten wollen, das man "nicht ertragen konnte." Das Massaker vom 11.September sei also ein verworrener Weg der Abwehr von Vernichtungs- und Allmachtfantasien gewesen, - nicht deren Realisierung. "Der Weltfundamentalismus stieß mit sich selbst zusammen." Auf den miserablen Weltzustand im allgemeinen beruft man sich nach dem 11. September immer dann, wenn man islamistische Massaker in einer Gemengelage von Gewalt und Extremismus verschwinden lassen und aus ihnen ableiten möchte. Von ihm ist nicht mehr die Rede, wenn man über das spricht, was einen an diesem Weltzustand ganz persönlich und ganz besonders stört.

Der Fundamentalismus, den man dem Islamismus ankreidet, so weiß auch Türcke, habe nicht nur seinen begrifflichen Ursprung in den USA. Er untersucht vier Typen von Fundamentalismen: die religiös-begriffliche Gründung in den USA, die avantgardistische Kunst, den Zionismus und den "Hollywoodismus", die alle um 1910 entstanden seien. Zwei von ihnen sind jüdischer Herkunft, ein weiterer, der unter der Hand vorkommt, der so genannte "weiche Fundamentalismus" des Christentums, ist jüdischer Abstammung. Aber für die Fundamentalismen jüdischen Wesens, die er ungleich negativer schildert als all die anderen und als den Islam, reiche "der Verständnisschlüssel des Christentums" nicht aus.

Da werden also Dimensionen gesprengt. Und hier erreicht Türcke, der in "Erregte Gesellschaft" (C.H. Beck, 2002) ohne jede theoretisch begründete Nötigung sich schon von seinen bisherigen geistigen Vätern Marxismus und Kritische Theorie verabschiedete, ganz neue Gebiete.

Der Zionismus sei nämlich getragen von dem "Wunsch, das jüdische Blut möge sich endlich auf dem ihm einzig angemessenen Boden entfalten." Mit diesem Erdkult, den Türcke wohlgemerkt auf das Jahr 1910 festlegt, sei der Zionismus "eher ein Pionier als ein Ausläufer des neuen Erdkults" gewesen. Damit wird der Zionismus, so kann der Sympathisant vervollständigen, zum Vorläufer der völkischen Bewegung, die sich in Deutschland schon rund fünfzig bis sechzig Jahre früher artikulierte und ab der Reichsgründung 1871 verfestigte. Damit hätte er die Lebensraumpolitik des Nationalsozialismus schon vorweggenommen. Denn dieser "neue Erdkult" habe dazu geführt, dass die Urbevölkerung der Region, die man seinerzeit Palästina nannte, nicht nur "vertrieben" sondern sogar "ausgerottet" worden sei. Und es sei "diese Erdkult-Logik im Zionismus selbst", die heutzutage immer noch die Politik in Israel bestimme, indem beispielsweise "kleine ultrareligiöse Parteien in den Rang von 'Königsmachern' gehoben" würden und über eine mächtige Sperrminorität verfügten.

Bei den Juden tut sich für Türcke immer wieder ein Abgrund auf, und als in der Wolle gefärbter Theologe entlässt er sie nicht aus der Bibel. Zum anderen möchte Türcke auf irgendeine Weise den Judenstaat und die USA, die jeder Antiamerikaner und Antizionist als Agentur des Weltjudentums kennt, zusammenbringen. Also nennt er Hollywood das "Gegenstück" zu Palästina. Die von den Juden dort produzierten Filme, mit denen sie zum "Tanz ums bewegte Bild" einluden, seien ihnen "wie ein brennender Dornbusch" aufgeleuchtet.

Laut Türcke existiere eine besondere Affinität der Juden zum Film. Die vorherrschende Stellung von Amerikanern jüdischer Herkunft leitet er aus sozialen und kulturellen Umständen ab. Weder vertritt er einen rassentheoretischen Antisemitismus, noch fantasiert er eine jüdische Weltverschwörung zusammen. Er versammelt nur die Stereotypen, die man aus jenem ideologischen Fundus kennt. Zudem keult Türcke sprachlich so, dass es jedem Nazi das Herz wärmt. Für einen Juden sei, in Türckes Diktion, "die Region um Los Angeles sein Palästina, Hollywood sein Jerusalem, Beverly Hills sein Zion". Von "Filmjuden" spricht er, weil filmhistorische Literatur dies tue. Auch wenn es so schlagelüstern und verächtlich klingt wie "Judenbengel", soll man ihm aus Wörtern keinen Strick drehen dürfen. So abgesichert kann man sich die kernige, knurrende Sprache derjenigen genehmigen, die wie Türcke wissen, dass Juden in Hollywood eine "Weltmacht ohnegleichen" gründeten. Diese "siegte nicht mit Waffengewalt, aber nachhaltiger als es Militärs je könnten: indem sie mentale Standards produzierte, die zu Schemata der allgemeinen menschlichen Wahrnehmung und Mitteilung aufstiegen." Diese Schemata seien "gleichsam ins Grundwasser der menschlichen Kommunikation eingedrungen."

Nun ist es vergiftet. Wer mag noch die Brunnen nutzen, die zu ihm führen? Schöner hat noch niemand Habermas' "systemisch verzerrte Kommunikation" unter Zuhilfenahme von Formeln aus Adornos und Horkheimers "Kulturindustrie"-Kapitel aus der "Dialektik der Aufklärung" ins Antisemitische übertragen.

Wieso zu Klampen ein solches Buch verlegt, ist fraglich. Ein Lektorat scheint es nicht zu geben, sonst wären Türckes Flüchtigkeitsfehler, wie der, einmal George Orwell, dann Aldous Huxley zum Autor von "Animal Farm" zu machen, getilgt worden. An fast allen Büchern und Aufsätzen der Nachfolger und Nachlassverwalter, der Werkrekonstrukteure und Aspektsachbearbeiter der Kritischen Theorie, die sich um den zu Klampen Verlag sammeln, fällt eines auf: dass man einen Bogen um ein Herzstück der Kritischen Theorie macht, die Theorie des Antisemitismus. Bei Christoph Türcke ist nun plausibel, wieso. Verstehen kann man es nicht, entschuldigen schon gar nicht.

Titelbild

Christoph Türcke: Fundamentalismus - maskierter Nihilismus.
zu Klampen Verlag, Springe 2003.
155 Seiten, 12,80 EUR.
ISBN-10: 3934920314

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