Die ungeschriebenen Gesetze von Schimpf und Schande

Zwei Bände zu spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Streitkulturen

Von Anita TraningerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anita Traninger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gewaltsamer Konfliktaustrag hat in den letzten beiden Dekaden eine beachtliche Karriere als Forschungsgegenstand gemacht. Erst in jüngster Zeit wird Gewaltanwendung in Alltagskonflikten nicht mehr als Gegenteil von Ordnung und Kultur verstanden, sondern es wird nach den zugrunde liegenden Mustern gesucht, die Gewalt, Kriminalität oder Konflikte als codierte, regelhafte und damit als kulturelle Phänomene les- und deutbar machen.

Der von Magnus Eriksson und Barbara Krug-Richter herausgegebene Band will über diese Befunde freilich hinausgehen und historische Gewalthandlungen in ein übergreifendes Modell von "Streitkulturen" einordnen, das als Gefüge von verbalen, symbolischen und eben auch physischen Handlungsoptionen beschrieben wird. In diesem Sinne ist eine wesentliche Einschätzung der Herausgeber, dass frühneuzeitliche Agrargesellschaften von einem hohen Maß "an Konflikthaftigkeit, aber auch an Konfliktfähigkeit" gekennzeichnet waren. Das "breite Spektrum informeller, aber auch formalisierter und ritualisierter vor- und außergerichtlicher Konfliktbewältigungsstrategien", das es zu untersuchen gilt, stand oftmals in Opposition zu obrigkeitlichen Vorgaben, bezog diese aber genauso oft symbiotisch mit ein.

Zugänglich sind diese Phänomene nur vermittels Gerichtsakten und sonstiger obrigkeitlicher Aktenbestände, doch zur "Streitkultur" im Sinne der umfassenden Definition des Begriffs gehören natürlich auch Art und Anlass der Einschaltung von Gerichten. Dementsprechend ist eine Reihe von Beiträgen des Bandes mit der Interaktion zwischen Untertan und Obrigkeit, zwischen Klagsparteien und Gerichten befasst. Andrea Griesebner untersucht die Differenz zwischen Strafnormen und Strafpraxis in Fällen physischer und sexueller Gewaltverbrechen, insofern diese im Erzherzogtum Österreich unter der Enns im 18. Jahrhundert als Malefizverbrechen geahndet wurden. Wie im 17. und 18. Jahrhundert ganz gezielt Gerichte zur Durchsetzung eigener Interessen angerufen wurden, belegen Magnus Eriksson am Beispiel der Insel Ummanz bei Rügen und André Holenstein am Beispiel der Markgrafschaft Baden. Eine neue Lesart des Verhältnisses zwischen Untertanen und den Instanzen und Behörden der staatlichen Obrigkeit schlägt Holenstein insofern vor, als er die Praktiken des "Klagens", des "Anzeigens" und des "Supplizierens" als gleichsam alltägliche, selbstverständlich genutzte Interaktionsformen zwischen lokalen Gesellschaften und Behörden ansetzt. Der Einschränkung "korporativ-kommunaler Handlungs- und Entscheidungsspielräume und de[m] Verlust an korporativer Autonomie" im Verlauf der Frühen Neuzeit korrespondiere das Entstehen neuer, institutionalisierter Handlungsmöglichkeiten.

Michaela Hohkamp und Christiane Kohser-Spohn stellen in ihrem Gemeinschaftsbeitrag die Frage, wie eine Denunziation beschaffen sein musste, um zum Erfolg zu führen. Die damit verbundene "Anonymisierung des Konflikts", so der Titel ihres Beitrags, untersuchen sie am Beispiel Straßburgs während der Französischen Revolution und einer ländlichen Herrschaft rechts des Rheins in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Auf die Durchsetzung des obrigkeitlichen Gewaltmonopols im 19. Jahrhundert fokussieren schließlich die Beiträge von Walter Rummel zur "zunehmenden Unterdrückung ländlicher Eigenwilligkeit durch den Staat am Beispiel der preußischen Rheinprovinz" und Manfred Gailus zum Prozess der staatlichen Durchdringung und Monopolisierung von Gewalt im östlichen Preußen rund um das Revolutionsjahr 1848.

Eine zweite Gruppe bilden jene Beiträge, die mittels Gerichtsakten und anderer Überlieferungsträger alltägliche, vor- und außergerichtliche Praktiken des Konfliktaustrags - beschimpfen, "schelten", "schmähen", bedrohen, beleidigen, befehden, sich prügeln, zutrinken, "bescheid tun", denunzieren - rekonstruieren und damit erstaunlich habitualisierte, unabhängig von obrigkeitlichen Verordnungen gepflegte und befolgte Regelkomplexe sichtbar machen.

Zunächst stellt sich die grundsätzliche Frage, wie Gewaltausübung in der frühen Neuzeit selbst eingeschätzt wurde, welchen Platz sie in der Palette der denkbaren Streithandlungen einnahm, und wo die Grenze zwischen legitimer und illegitimer Gewalt, zwischen sozial akzeptierten und nicht akzeptierten Formen von Gewaltanwendung gezogen wurde. Zu berücksichtigen ist dabei, wie Peter Wettmann-Jungblut in seinem Beitrag feststellt, "dass gerade in der frühen Neuzeit Aggression und Gewaltanwendung keineswegs als unsittlich oder als Ausdruck gesellschaftlicher Entfremdung galten und selten zum sozialen Ausschluss führten".

Als abzulehnen galt Gewalt, wenn sie die herrschende Ordnung subvertierte und bedrohte. Gewalt schlug dann in Grausamkeit um, was, so wird Valentin Groebner von Wettmann-Jungblut zitiert, gleichzusetzen ist mit Unordnung. Daran schließt sich ein weiteres dichotomisches Begriffspaar an: Legitime Gewalt ist potestas, illegitime violentia. So ist das hierarchisch strukturierte Gewalthandeln eines Herrn gegenüber seinem Knecht Ausdruck von potestas, Gewalt zwischen Gleichen hingegen per se violentia. Illegitim konnte die zunächst als potestas abgesicherte Gewalt dann werden, wenn sie ein gewisses Maß überstieg, und die Scheidemarke dafür war das Austreten von Blut, wie Michaela Hohkamp in ihrem Beitrag in Anlehnung an "Zedlers Universallexicon" zeigt: "Gerechtigkeit zwackt, Grausamkeit blutet."

Doch zu den konkreten historischen Praktiken: Im Zusammenhang mit Streitfällen mit tödlichem Ausgang im Umfeld von Schenken im frühneuzeitlichen Schwarzwald liefert Peter Wettmann-Jungblut einen profunden Überblick über soziologische Zugänge zum Phänomen Gewalt in Verbindung mit Ergebnissen der historischen Alkoholforschung. Im Zentrum seines Beitrags steht die "gesellige Gewalt" der Gasthäuser. "Scharnierfunktion" in der Dynamik zwischen geselligem Beisammensein und dem Ausbruch weit verbreiteter Wirtshausschlägereien schreibt Wettmann-Jungblut dabei verschiedenen sozialen Ritualen zu, die mit dem Konsum von Alkohol verbunden waren, wie dem Zutrinken oder dem "Bescheid-Tun".

Das Münsterland zwischen 1580 und 1659 behandelt der Beitrag von Gudrun Gersmann, der den etwas unspezifischen Titel "Orte der Kommunikation, Orte der Auseinandersetzung. Konfliktursachen und Konfliktverläufe in der frühneuzeitlichen Dorfgesellschaft" trägt, während es um Hexereiverdächtigungen und -bezichtigungen geht. Zentraler Schauplatz dafür waren kollektive Trinkveranstaltungen, so genannte "Gelage", die als "Kristallisationspunkte dörflicher Soziabilität" zu verstehen sind. Gersmann beschreibt eine Reihe möglicher Reaktionen und Abwehrstrategien gegen eine solche durchaus existenzbedrohende Anschuldigung, von der "Beschickung", "bei der man einen Mittelsmann zu seinem Bezichtiger sandte, um diesen zur Rücknahme seiner diesbezüglichen Äußerungen zu veranlassen und eine gütliche Regelung zu erzielen", bis zur - aufwändigen - Einschaltung der Obrigkeit mittels einer Injurienklage.

Die bislang - anders als ihr adeliges Pendant - von der Forschung wenig beachteten bäuerlichen Fehdepraktiken in der Mark Brandenburg im 17. Jahrhundert stellt Monika Mommertz vor, wobei der Beitrag ganz offensichtlich Teil eines größeren Projektes ist; der Fülle methodologischer und terminologischer Vorüberlegungen hätte eine straffende Redaktion gut getan. Interessant und komplex ist jedenfalls das semantische Feld von mündlichen und schriftlichen Drohungen, Branddrohung durch "brandtzeichen" wie auch Brandstiftung, die Mommertz quellennah als Phänomene dörflicher Öffentlichkeit vorführt. Ebenso erhellend ist ihr Blick auf "feindtschafft" und "freundtschafft" als Zentralkategorien der sozialen Organisation und ihre Bedeutung für Fehden dahingehend, dass so über Generationen- und Familiengrenzen hinweg Konflikte weitergeführt werden konnten.

Eine Problematisierung von Rauf- und Ehrenhändeln um 1700 in Westfalen steht bei Barbara Krug-Richter im Mittelpunkt. Dabei macht sie deutlich, dass zahlreiche Konflikte von den Beteiligten zu Ehrenhändeln stilisiert wurden und damit deren Verweischarakter auf andere Probleme verdeckt wurde. In der Tat waren es oft Sachkonflikte, die in eine Auseinandersetzung über "Ehre" umgemünzt wurden: Grenzstreitigkeiten, innerfamiliäre Auseinandersetzungen, Generationenkonflikte, Konflikte zwischen der Gemeinde und ihren Bediensteten wie auch Konflikte auf gemeindlicher Ebene (Frondienstverweigerungen, Streit um Brau- und Schankberechtigungen, Nutzung der Allmende, Zahlungsverpflichtungen an die Gemeinde u. a.).

Diese Beobachtungen weisen in eine Richtung, in die auch Axel Lubinski und Michaela Schmölz-Häberlein zielen, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise: die der Maskierung von Konflikten. Das "Bauernlegen", also das "Entfernen bäuerlicher Wirte von ihren Höfen und das Einziehen des Landes zur Vergrößerung des Herrenlandes" der Gutsherren macht Lubinski zum Thema seines Beitrags. Anhand von Fällen im Mecklenburg des 18. Jahrhunderts zeigt er, wie die Gutsherren das Bauernlegen, das eindeutig negative Konsequenzen für die Subsistenz der Bevölkerung des betroffenen Dorfes hatte, mit ökonomischer Vernunft rechtfertigten und damit Rationalitätsmuster des aufklärerischen Diskurses vorschoben.

Michaela Schmölz-Häberlein beleuchtet - mit Blick auf die Markgrafschaft Hochberg in Südwestdeutschland Ende des 18. Jahrhunderts - Konflikte, die zwar nicht religiös motiviert waren, aber codiert als Religionskonflikte ausgetragen wurden, wie z. B. Abwehrmaßnahmen alteingesessener Handwerkszünfte gegenüber neuen Mitgliedern. Der Beitrag bewegt sich strikt auf dem Terrain des Quellenmaterials, ohne die breite Forschungsliteratur zum Thema auch nur zu streifen. Dies ist umso irritierender, als genau die ökonomischen und sozialen Hintergründe vordergründiger Konfessionskonflikte in den letzten Jahren insbesondere in der Reformationsgeschichte zu einem wichtigen Thema geworden sind.

Insgesamt versammelt der Band eine breite Palette von Ansätzen zu unterschiedlichen Problemfeldern und bietet so ein Panorama frühneuzeitlicher Konfliktoptionen. Die Beiträge sind sehr unterschiedlich, was die Breite und vor allem Tiefe der Ausarbeitung und der methodologischen Durchdringung betrifft, doch glückt an vielen Stellen ein lebendiger Einblick in die komplexe Mechanik hochgradig habitualisierter und ritualisierter Formen des Konfliktaustrags in bestimmten regionalen Kontexten. Irreführend ist freilich der im Untertitel genannte Zeithorizont, denn das 16. Jahrhundert spielt de facto gar keine Rolle, und die Mehrzahl der Beiträge ist mit dem 18. Jahrhundert befasst. Zum anderen gibt sich der Band paratextuell ausgesprochen knauserig: Einzig ein Verzeichnis allgemein gebräuchlicher Abkürzungen ist den 13 Beiträgen beigegeben. Die angestrebte "regional vergleichende Perspektive", die in den durchweg mikrohistorischen Fallstudien nicht realisiert wird, ist damit auch nicht über entsprechende Register konstruierbar.

Einer wenig bekannten, soziale Praktiken mit elaborierten Text- und Bildtraditionen verbindenden Form des Konfliktaustrags ist Matthias Lentz' auf seiner Bielefelder Dissertation beruhende Studie "Konflikt, Ehre, Ordnung" gewidmet. Der Titel formuliert Aspekte der Konzeptualisierung eines Forschungsgegenstands, der bisher hauptsächlich in der rechtshistorischen Literatur Beachtung fand: der Schmähbriefe und Schandbilder des Spätmittelalters. Ausnahmslos alle überlieferten Exemplare der aus heutiger Sicht durchaus schockierenden, teils brutalen, teils obszönen Schandbilder wie auch der Schmähbriefe aus der Zeit von 1350 bis 1600 sind auf den Bruch vertraglich vereinbarter Zusagen, in der Regel Schuldverschreibungen, zurückzuführen. Den historischen Hintergrund dafür bilden, so Lentz, die Ausweitung der frühkapitalistischen Kreditwirtschaft und die stetig ansteigende Verschuldung sich etablierender Landesherrschaften.

Die "Normalgarantie für Geldforderungen", wie Lentz im zweiten Teil seines Buchs zu den rechtlich-normativen Ausgangspunkten der Schmähbriefe und Schandbilder den Rechtshistoriker Werner Ogris zitiert, war das so genannte "Einlager": Im Fall einer Vertragsverletzung, also zumeist bei Nichterstattung eines ausständigen Geldbetrags, hat sich der Bürge in die Gewalt des Gläubigers zu begeben und sich dort so lange aufzuhalten, bis der Schuldner nicht nur seine Schulden, sondern auch die üppigen Bewirtungskosten für den oder die Bürgen beglichen hatte. Ein typischer Anlassfall für das Verfassen eines Schandbriefs ist nun, wie der Verfasser anhand von drei Fallbeispielen u. a. vorführt, dass keiner der Bürgen der Aufforderung zum Einlager nachkommt; der Gläubiger droht ihnen also schriftlich die öffentliche Bekanntmachung des Umstandes an, "dass ihr Brief und Siegel nicht haltet". Der Vorwurf, das Petschaft ungebührlich zu führen, übersetzte sich in vielen Fällen so in die Ikonografie der Schandbilder, dass der Wortbrüchige verkehrt auf einem Esel oder einer unreinen Sau reitend gezeigt wird, deren After er 'petschiert'. Von Ikonografie ist schon deshalb zu sprechen, weil der erlittene Rechtsbruch planmäßig und entlang gewisser Konventionen öffentlich gemacht wurde und dafür auf ein mehr oder weniger standardisiertes Repertoire bildlicher Darstellungsformen zurückgegriffen wurde.

Im einleitenden Forschungsüberblick belegt Lentz, wie dieses komplexe Gesamtgeschehen von der bisherigen Forschung jeweils einseitig zugespitzt und reduziert wurde: sei es von der Rechtsgeschichte, die bisher Aspekte in den Mittelpunkt gestellt hat, die sich mit modernen privatrechtlichen Kategorien beschreiben lassen, sei es später von der Kunstgeschichte und der europäischen Anthropologie, die die Schandbilder auf Bildzauber zurückführten. Aus diesem Mangel leitet er den Bedarf ab, Schandbilder und Schmähbriefe in einem "übergeordneten System aus Konflikt, Ehre, Ordnung" zu situieren. Der ausschließliche Fokus auf die - noch dazu in den Kategorien moderner juristischer Lehrgebäude beschriebene - Norm greife zu kurz, um zu verstehen, wie diese schriftlichen und bildlichen Schmähpraktiken in wirtschaftlichen und sozialen, privaten und öffentlichen Ordnungen, die nicht über die Rechtstexte zu fassen sind, zu verorten sind.

Der analytische Begriff, der helfen soll, diesen Phänomenkomplex gesellschaftlicher Organisation in den Blick zu bekommen, ist der der Ehre. Lentz versteht Ehre - in Übereinstimmung mit der vorherrschenden Forschungsmeinung - nicht als Qualität einer Person, sondern als Teil des binären, handlungsleitenden Codes (Ehre/Schande) eines komplexen Regelsystems, das in einem komplementären Verhältnis zu 'Recht' steht.

Über die Ehrschelte wurde die Brisanz eines Wort- und Vertragsbruchs für die zeitgenössische Rechts- und Sozialordnung artikuliert. "Der uns heute überzogen erscheinende Ehre/Schande-Diskurs" hatte die Funktion, einen individuell erlittenen Schaden als gegen die Allgemeinheit und ihre Normen gerichtetes Vergehen sichtbar zu machen. Die Fähigkeit, Wort zu halten, stand im Zentrum einer Gesellschaft, die auf einem "Netzwerk von persönlichen Bindungen" und "ungeschriebenen Gesetzen" basierte.

Gleichzeitig kann Lentz zeigen, dass die Schmähungen keine weitergehenden sozialen Folgen hatten und dass es keine Belege für eine etwaige Minderung des Sozialprestiges oder gar für die gesellschaftliche Ächtung von derart vorgeführten Wortbrüchigen gibt. Es geht also nicht um moralische Anklagen, sondern um gesellschaftliche Regulative, die an Effizienz obrigkeitlichen Normierungen in nichts nachstanden, ja sie wahrscheinlich sogar übertrafen. Das erklärt auch, warum sich diese Praktiken in manchen Gegenden bis zum Dreißigjährigen Krieg halten konnten, während erste obrigkeitliche Abschaffungsversuche schon im zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts einsetzten.

Zusammenfassend kann die Studie mit ihrer akribischen Dokumentation konkreter Konfliktkonstellationen in Verbindung mit einem solide konzeptualisierten analytischen Zugriff nur als gelungen bezeichnet werden. Wenngleich unklar bleibt, wie "teilnehmende Beobachtung" methodischer Zugang zu dem historischen Material sein kann, bietet Lentz eine umfassende Darstellung seines Gegenstands. So ergeben sich Fragen, die auf der Basis dieser grundlegenden Untersuchung unter Umständen aus anderen disziplinären Perspektiven zu klären sein werden. Unscharf bleibt beispielsweise das Konzept der "Visualisierung", denn Gegenstand der Schandbilder ist ja nicht der Vorgang der Vertragsverletzungen selbst; was in den Schandbildern angeprangert wird, ist wesentlich unsichtbar: der Verstoß gegen die Ordnung der Gesellschaft. Diese metaphorische Codierung und ihre kultursemiotischen Implikationen werden jedoch ausgeblendet. Welchen gesellschaftlichen Imaginationsräumen korrespondiert das Bildarsenal von speienden Schweinen, urinierenden Eseln und abgehackten Körperteilen? Valentin Groebners jüngste Arbeit zur visuellen Kultur der Gewalt im Mittelalter ("Ungestalten", 2003, vgl. die Rezension von Claudia Schmölders in literaturkritik.de 01/2004) zeigt, unter welcher Perspektive das hier aufgearbeitete Material wohl mit einigem Gewinn zu betrachten wäre. Lentz selbst delegiert diese Fragen an die mediävistische Symbolforschung, schafft allerdings mit einem illustrierten Katalog (Anhang) von 200 Schmähbriefen, Mahnschreiben und Schandbildern mit Angaben zu Datierung, Kontrahenten bzw. Abgebildeten, Anlass des Konflikts, Beschreibung des Brief- bzw. Bildinhalts, Aufbewahrungsort, Editions- und Literaturhinweisen eine mehr als reiche Grundlage, die für alle weitere Forschung auf dem Gebiet ohne Zweifel maßgeblich sein wird.

Titelbild

Magnus Eriksson / Barbara Krug-Richter (Hg.): Streitkulturen. Gewalt, Konflikt und Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft der frühen Neuzeit.
Böhlau Verlag, Köln 2003.
424 Seiten, 44,90 EUR.
ISBN-10: 3412049018

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Titelbild

Matthias Lentz: Konflikt, Ehre, Ordnung. Untersuchungen zu den Schmähbriefen und Schandbildern des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit.
Verlag Hahnsche Buchhandlung, Hannover 2004.
383 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-10: 377526017X

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