Weibliche Selbstbestimmung und die Kunst der Renaissance

Frauen in der frühen Neuzeit - Lebensentwürfe in Kunst und Literatur

Von Stefanie HartmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Hartmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der von Anne-Marie Bonnet und Barbara Schellewald herausgegebene Band versammelt Beiträge einer Tagung mit dem Titel "Die Renaissance in Italien und ihre europäische Rezeption". Anders als der Titel des Werkes vermuten ließe, geht es bei den Lebensentwürfen von Frauen nicht ausschließlich um Selbstentwürfe, sondern in großem Umfang auch um männliche Entwürfe weiblicher Existenz, zum Teil auch um männliche Selbstentwürfe auf der Folie weiblicher Allegorien und Bilder. Nicht nur, dass die Beiträge, die tatsächlich Selbstentwürfe von Frauen der Renaissance analysieren, die inhaltlich aufschlussreicheren sind, sie bilden auch die eigentliche Neuerung der Renaissance ab - wie nämlich Frauen am wissenschaftlichen, künstlerischen Diskurs teilnehmen und darüber ihre gesellschaftliche Rolle neu definieren -, während die anderen Beiträge lediglich weitere Belege für ein bereits bekanntes, männlich definiertes Frauenbild der frühen Neuzeit präsentieren.

Einer der besten Beiträge beschäftigt sich mit weiblichen Intellektuellen der Renaissance, die in Dialog mit ihren männlichen Kollegen treten. Der Aufsatz von Silke Segler-Meßner geht zunächst von der Grundthese aus, dass mit dem veränderten Bewusstsein der Renaissance dem Menschen - und das heißt beiderlei Geschlechtern - eine neue Subjektivität zu attestieren ist; geprägt durch den Besitz der ragione und der Kultivierung des intellecto. In der Realität werden aber Frauen (auch wenn ihnen jetzt größere Bildungsmöglichkeiten zugestanden werden) nach wie vor als minderwertiges Geschlecht betrachtet. Davon zeugen beispielsweise eindrucksvoll die Schriften des Kunst- und Literaturtheoretikers Lodovico Dolce, der Mitte des 16. Jahrhunderts die Frau zwischen Mensch und Tier ansiedelt; mit größerer Affinität zu Letzterem! Die strenge Aufteilung der Tätigkeitsbereiche (häusliche Sphäre - Frau, außerhäusliche Geschäfte - Mann) wird aufrecht erhalten, der Mann behält die Verfügungsgewalt über seine Frau. Weibliche Autonomie oder Machtausübung wird allenfalls Fürstengattinnen zugestanden. Dennoch beginnen sich einige Frauen als Gelehrte in der Öffentlichkeit zu behaupten, wobei sie dies nur so lange können, wie sie unverheiratet bleiben. Entscheiden sie sich für die Ehe, müssen sie ihre Studien aufgeben. Eine dieser Intellektuellen, die ihre Schriften nutzen, um innerhalb ihrer Möglichkeiten Rollenzuschreibungen seitens der Männer zu widerlegen, ist Isotta Nogarola. In einem Streitgespräch mit Ludovico Foscarini setzt sie sich mit der These auseinander, dass beim Sündenfall Eva größere Schuld trifft als Adam. Begründet wurde dies mit der natürlichen Unterlegenheit Evas. Nogarola widerspricht Foscarini, indem sie Evas Verhalten durch eben diese behauptete Unterlegenheit entschuldigt, während der mit kritischem Verstand ausgestattete Adam sein Handeln hätte reflektieren müssen und auch die Verantwortung für Eva hätte tragen können. Zudem unterstellt Foscarini Eva den Wunsch nach Gottgleichheit als "Tatmotiv". Ein solchermaßen "intellektuell-perfides" Ansinnen passe laut Nogarola aber nicht mit dem ihr unterstellten instinktiv-emotionalen Verhalten zusammen. Das Geschlechterverhältnis erscheint bei ihr weniger eindeutig und damit nicht mehr so unverrückbar wie noch im Mittelalter. Die Intellektuelle Lucrezia Marinella hingegen beruft sich auf Aristoteles' These der geringeren Körperwärme der Frau im Vergleich zum Mann. Zieht Aristoteles aus dieser Feststellung den Schluss, dies sei ein Zeichen für die intellektuelle Minderwertigkeit der Frau (und die Renaissance-Gelehrten folgen ihm hierin), sieht Marinella darin ein Zeichen der größeren Friedfertigkeit, die mäßigend auf die ungestüme männliche Libido wirke.

Neben diesen Analysen theoretischer Diskurse, an denen Frauen partizipierten, lässt sich deren Niederschlag auch in literarischen Texten finden. So stellt Andrea Grewe in ihrem Beitrag Moderato Fontes Dialog "Il merito delle donne" vor, der die zeitgenössischen Verhaltensvorschriften am Beispiel des Lachens ad absurdum führt. Denn es gewinnt zwar in der Renaissance das Lachen als Geselligkeitsideal an Bedeutung, doch geben zahlreiche Benimmbücher Rat hinsichtlich des richtigen Lachens, und insbesondere die Frau bedarf demnach genauer Anweisungen und Reglementierungen. So wird weibliches Lächeln positiv als Zeichen von Harmonie und Liebreiz betrachtet, während lautes Lachen als Zeichen von Koketterie und Unkeuschheit gilt. Spott geziemt sich für Frauen ebenso wenig. In ihrem Dialog lässt Fonte verschiedene Frauen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Lebenserfahrung zusammenkommen, und allein, ohne Männer (und damit jenseits männlicher Rollenerwartungen) lachen und scherzen. Der Text demonstriert dann, dass auch ohne die auferlegten Beschränkungen Frauen die Grenzen der "Sittlichkeit" nicht übertreten, und dass ihre Fähigkeit zu feinem und intelligenten Witz dem der Männer in nichts nachsteht.

Irmgard Osols-Wehden zeigt schließlich in Texten von Gaspara Stampa die Dekonstruktion von Geschlechterstereotypien auf. Stampa bedient sich in bester Kenntnis der Petrarkisten deren weiblichen Rollenzuschreibungen und überträgt sie gekonnt auf ihre männlichen Protagonisten. In den "Rime" beschreibt sie den Geliebten mit Mond-Attributen, wobei der Mond seit jeher als weibliches Symbol gilt, der unter anderem für die Wankelmütigkeit der Frau steht. Ebenso wankelmütig agiert hier aber der Mann, der zudem mit Schlangen (weibliches Symbol für Verrat) assoziiert wird. Der Geliebte scheint hier insgesamt sehr verweiblicht - eine Tatsache, die auf die zeitgenössische Furcht vor Aufweichung der Geschlechterzuordnungen und Weiberherrschaft hinweist. Der "Rime"-Text von Stampa macht implizit und explizit die Vorstellung von mangelhafter weiblicher Kunst- und Vernunftbegabung obsolet.

Die besprochenen drei Beiträge machen die eigentliche Qualität des Bandes aus. Viele der übrigen Beiträge lenken die Aufmerksamkeit vor allem auf eines: So sehr Frauen durch schriftstellerische Tätigigkeit am intellektuellen und literarischen Leben (innerhalb enger Grenzen) teilnehmen konnten, bildkünstlerisch waren sie von der Renaissance-Kultur weitgehend ausgeschlossen. Zumindest suggerieren die ausgewählten Sujets der Aufsätze dies. Wenn in dem vorliegenden Band Gemälde, Zeichnungen und Illustrationen besprochen werden, handelt es sich um Werke von Männern, in deren Mittelpunkt Frauen stehen: um Venus-Darstellungen von Dürer, Baldung Grien und Cranach als Reminiszenz an die Venus-Darstellungen in Norditalien oder um ein "Erminia bei dem Hirten"-Bild, bei dem die Ideen des Literaten Torquato Tasso, des Auftraggebers Giovanni Battista Agucchi und des Künstlers Ludovico zusammenwirken, um dem Selbstverständnis Agucchis bildlichen Ausdruck zu verleihen. Wo gerade bei diesem Werk der weibliche Lebensentwurf zu finden ist, bleibt dem Leser verborgen.

Die letzten drei Beiträge widmen sich architektonischen bzw. räumlichen Entwürfen einer neuen Weiblichkeit. In Ermangelung von Frauen, die zu dieser Zeit in diesem Bereich tätig waren, widmet sich der Band Projekten, die von Frauen in Auftrag gegeben wurden. So ließen sich verwitwete Königinnen in Paris Witwensitze bauen, die zugleich ihrem Repräsentationswunsch und ihrem Machtstreben entsprachen, indem sie die Architektur ihrer eigenen Dynastie zitierten: bei Katharina und Maria von Medici ist es eben die Medici-Dynastie; Anna von Österreich favorisiert Bezüge zum El Escorial (als Sitz eines Klosters wie auch königlicher Macht). Zugleich wurden diese Paläste an die damalige Peripherie der Stadt verlegt, um der Erwartung von witwengerechtem Rückzug zu entsprechen. In Österreich, wo Maria Magdalena nach dem Tod ihres Mannes zusammen mit ihrer Schwiegermutter die Macht in Händen hält, wurde kein neuer Palast in Auftrag gegeben, sondern die Villa Poggio Imperiale umgestaltet, indem die Herrscherin ganze Bildprogramme entwickeln ließ, in denen antike und biblische Frauengestalten, die Macht ausüben, glorifiziert werden. Ein Wappen an der Fassade verdeutlicht den Machtanspruch: "Die imperiale Villa, die von kaiserlichen Österreichern ihren Namen erhielt, solle den zukünftigen Großherzoginnen Etruriens auf ewig dem Otium und dem Vergnügen dienen."

Die meisten der Aufsätze enthalten interessante Gedanken und neue Perspektiven, doch unter dem Titel des Bandes wirken sie oftmals etwas willkürlich zusammengestellt. Neben den aufschlussreichen Beiträgen von Segler-Meßner, Osols-Wehden und Grewe hätte man sich weitere Texte zu Künstlerinnen der Renaissance gewünscht, und es bleibt die Frage unbeantwortet, ob sich nicht doch auch Werke malender Frauen hätten ausmachen lassen, die weitere Aspekte weiblicher Lebensentwürfe verdeutlicht hätten. Hier wäre beispielsweise an die Malerin Sofonisba Anguisciola zu denken, deren Werke so meisterhaft ausgeführt waren, dass sie lange unerkannt, als Werke berühmter männlicher Kollegen wie Tizian oder da Vinci deklariert, in internationalen Museen hingen. Und natürlich lassen sich Geschlechterverhältnisse auch an männlichen Imaginationen erklären, doch steht dies dem Anliegen entgegen zu zeigen, dass in der Renaissance Frauen verstärkt an ihrem eigenen Selbstverständnis arbeiteten, diese Ausführungen deshalb von besonderem Interesse sind und zudem bislang weit weniger untersucht als die der bedeutenden männlichen Renaissance-Künstler.

Titelbild

Anne-Marie Bonnet / Barbara Schellewald (Hg.): Frauen in der Frühen Neuzeit. Lebensentwürfe in Kunst und Literatur.
Böhlau Verlag, Köln 2004.
264 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-10: 3412103047

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