Selbstbesprechung im "Wirtembergischen Repertorium"

Die Räuber. Ein Schauspiel von Friedrich Schiller. 1782

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(Ich nehme es nach der neuesten Theaterausgabe, wie es bisher auf der Nationalbühne zu Mannheim ist vorgestellt worden.)

Das einzige Schauspiel auf Wirtembergischen Boden gewachsen. Die Fabel des Stücks ist ohngefähr diese: Ein fränkischer Graf, Maximilian von Moor, ist Vater von zween Söhnen, Karl und Franz, die sich an Charakter sehr unähnlich sind. Karl, der ältere, ein Jüngling voll Talenten und Edelmut, gerät zu Leipzig in einen Zirkel lüderlicher Brüder, stürzt in Exzesse und Schulden, muß zuletzt mit einem Trupp seiner Spießgesellen aus Leipzig entfliehen. Unterdes lebte Franz, der jüngere, zu Hause beim Vater, und da er heimtückischer schadenfroher Gemütsart war, wußte er die Zeitungen von den Lüderlichkeiten seines Bruders zu seinem eigenen Vorteil zu verschlimmern, seine reuvollen und rührenden Briefe zu unterdrücken, andere nachteiligen Inhalts unterzuschieben, und den Vater dergestalt gegen den Sohn zu erbittern, daß er ihm den Fluch gab und ihn enterbte.

Karl, durch diesen Schritt zur Verzweiflung gebracht, verwickelt sich mit seinen Gefährten in ein Räuberkomplott, wird ihr Anführer und führt sie in Böhmische Wälder. Der alte Graf hatte eine Nichte im Hause, die den jungen Grafen Karl schwärmerisch liebte. Dieses Mädchen kämpfte mit allen Waffen der Liebe gegen den Zorn des Vaters, und hätte auch durch zudringliches Bitten zuletzt ihren Zweck erreicht, wenn nicht Franz, der von diesem Schritt alles zu besorgen hatte, der nebendem noch Absichten auf Amalien hegte, durch eine ersonnene List alles vereitelt hätte. Nämlich er unterrichtete einen seiner Vertrauten, der noch einen Privatgroll auf den alten und jungen Grafen gefaßt hatte, unter dem vorgeblichen Namen eines Freunds von Karln, die erdichtete Zeitung vom Tod dieses letztern zu bringen, und versah ihn hiezu mit den tüchtigsten Dokumenten. Der Streich gelang, die Trauerpost überraschte den Vater auf dem Krankenbett, und wirkte so stark auf seinen geschwächten Körper, daß er in einen Zustand verfiel, den jedermann für den Tod erklärte - Aber es war nur eine tiefe Ohnmacht. - Franz, der sich durch boshafte Streiche zu den abscheulichsten Verbrechen erhärtet hatte, benutzte diesen allgemeinen Wahn, vollzog das Leichenbegängnis, und brachte den Vater mit Hülfe seines gedungenen Handlangers in einen abgelegenen Turm, ihn alldort, ferne von Menschen, Hungers sterben zu lassen, und trat sodenn in den vollkommensten Besitz seiner Güter und Rechte.

Unterdessen hatte sich Karl Moor an der Spitze seiner Rotte durch außerordentliche Streiche weit und breit ruchtbar und furchtbar gemacht. Sein Anhang wuchs, seine Güter stiegen, sein Dolch schröckte die kleinere Tyrannen und autorisierten Beutelschneider, aber sein Beutel war der Notdurft geöffnet, und sein Arm zu ihrem Schutze bereit. Niemals erlaubte er sich spitzbübische Dieberei, sein Weg ging gerade, er hätte sich bälder zehen Mordtaten als einen einzigen Diebstahl vergeben. Das Gerücht seiner Taten foderte die Gerechtigkeit auf; er wurde in einem Walde, wo hinein er sich nach einem Hauptstreich mit seiner ganzen Bande geworfen hatte, umringt, aber der zur Verzweiflung gehetzte Abenteurer schlug sich mit wenigem Verlust herzhaft durch, und entrann glücklich aus Böhmen. Itzt verband sich ein flüchtiger edler Böhme mit ihm, den sein widriges Geschick mit der bürgerlichen Gesellschaft entzweit hatte, dessen unglückliche Liebesgeschichte die schlafende Erinnerung der seinigen wieder aufweckte, und ihn zu dem Entschluß bewog, Vaterland und Geliebte wiederzusehen, welchen er auch schleunig ins Werk setzte.

Hier eröffnet sich die zweite Epoche der Geschichte. Franz Moor genoß indes in aller wollüstigen Ruhe die Frucht seiner Büberei; nur Amalia stemmte sich standhaft gegen seine wollüstige Bestürmungen. Karl erscheint unter einem vorgeblichen Namen - Wilde Lebensart, Leidenschaft und lange Trennung hatten ihn unkenntlich gemacht, nur die Liebe, die sich niemals verleugnet, verweilt über dem sonderbaren Fremdling. Sinnliches Anschauen überwältigt die Erinnerung, Amalia fängt an, ihren Karl in dem Unbekannten zu lieben - und zu vergessen, und liebt ihn doppelt, eben da sie ihm untreu zu werden fürchtet. Ihr Herz verrät sich dem seinigen, das seinige dem ihrigen, und der scharfsichtigen Furcht entrinnt keines von beiden. Franz wird aufmerksam, vergleicht, errät, überzeugt sich und beschließt das Vererben des Bruders. Zum zweitenmal will der den Arm seines Handlangers dingen, der aber, durch seinen Undank beleidigt, mit angedrohter Entdeckung der Geheimnisse von ihm abspringt. Franz, selbst zu feig, einen Mord auszuführen, verschiebt die unmenschliche Tat. Unterdes war schon der Eindruck von Karl so tief in das Herz des Mädchens gegangen, daß ein Heldenentschluß auf Seiten des ersten vonnöten war, ihn zu vertilgen. Er mußte die verlassen, von der er geliebt war, die er liebte und doch nicht mehr besitzen konnte; er floh, nachdem sie ihn erkannt, zu seiner Bande zurück. Er traf diese im nächstgelegenen Wald. Es war der nämliche, worin sein Vater im Turme verzweifelte, von dem reuigen und rachsüchtigen Hermann (so hieß Franzens Vertrauter) kümmerlich genährt. Er findet seinen Vater, den er mit Hülfe seiner Raubwerkzeuge befreit. Ein Detachement von Räubern muß den abscheulichen Sohn herbeiholen, der aus dem Brand seines Schlosses, worein er sich aus Verzweiflung gestürzt hatte, mühsam errettet wird. Karl läßt ihn durch seine Bande richten, die ihn verurteilt, in dem nämlichen Turme zu verhungern. Nun entdeckt sich Karl seinem Vater, doch seine Lebensart nicht. Amalia war dem fliehenden Geliebten in den Wald nachgeflohen, und wird hier von den streifenden Banditen aufgefangen und vor den Hauptmann gebracht. Karl ist gezwungen, sein Handwerk zu verraten, wobei der Vater für Entsetzen stirbt. Auch itzt ist ihm seine Amalia noch treu. Er ist im Begriff, der Glücklichste zu werden, aber die schwürige Bande steht wider ihn auf, und erinnert ihn an den feierlich geschwornen Eid. Karl, auch im größesten Bedrängnis noch Mann, ermordet Amalien, die er nicht mehr besitzen kann; verläßt die Bande, die er durch dieses unmenschliche Opfer befriedigt hat, und geht hin, sich selbst in die Hände der Justiz zu überliefern.

Man findet aus diesem Generabriß des Stücks, daß es an wahren dramatischen Situationen ungemein fruchtbar ist; daß es selbst aus der Feder eines mittelmäßigen Schriftstellers nicht ganz uninteressant fließen; daß es in den Händen eines bessern Kopfs ein Originalstück werden müsse: frage sich nun, wie hat es der Dichter bearbeitet?

Zuerst denn von der Wahl der Fabel. Rousseau rühmte es an dem Plutarch, daß er erhabene Verbrecher zum Vorwurf seiner Schilderung wählte.(1) Wenigstens dünkt es mich, solche bedürfen notwendig einer ebenso großen Dosis von Geisteskraft als die erhabene Tugendhafte, und die Empfindung des Abscheus vertrage sich nicht selten mit Anteil und Bewunderung. Außerdem, daß im Schicksal des großen Rechtschaffenen, nach der reinsten Moral, durchaus kein Knoten, kein Labyrinth stattfindet, daß sich seine Werke und Schicksale notwendigerweise zu voraus bekannten Zielen lenken, welche beim ersten zu ungewissen Zielen durch krumme Mäander sich schlängeln (ein Umstand, der in der dramatischen Kunst alles ausmacht), außer dem daß die hitzigsten Angriffe und Kabalen des Lasters nur Binsengefechte gegen die siegende Tugend sind, und wir uns so gern auf die Partie der Verlierer schlagen, ein Kunstgriff, wodurch Milton, der Panegyrikus der Hölle, auch den zartfühlendesten Leser einige Augenblicke zum gefallenen Engel macht, außer dem, sage ich, kann ich die Tugend selbst in keinem triumphierendern Glanze zeigen, als wenn ich sie in die Intrigen des Lasters verwickle, und ihre Strahlen durch diesen Schatten erhebe, denn es findet sich nichts Interessanteres in der moralisch ästhetischen Natur, als wenn Tugend und Laster aneinander sich reiben.

Räuber aber sind die Helden des Stücks, Räuber, und einer, der auch Räuber niederwägt, ein schleichender Teufel. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, daß wir um so wärmer sympathisieren, je weniger wir Gehilfen darin haben; daß wir dem, den die Welt ausstößt, unsere Tränen in die Wüste nachtragen; daß wir lieber mit Crusoe auf der menschenverlassenen Insel uns einnisten, als im drängenden Gewühle der Welt mitschwimmen. Dies wenigstens ist es, was uns in vorliegendem Stück an die so äußerst unmoralische Jaunerhorden festbindet. Eben dieses eigentümliche Korpus, das sie der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber formieren, seine Beschränkungen, seine Gebrechen, seine Gefahren, alles lockt uns näher zu ihnen, aus einer unmerkbaren Grundneigung der Seele zum Gleichgewicht meinen wir durch unsern Beitritt, welches zugleich auch unserm Stolze schmeichelt, ihre leichte unmoralische Schale so lang beschweren zu müssen, bis sie waagrecht mit der Gerechtigkeit steht. Je entferntern Zusammenhang sie mit der Welt haben, desto nähern hat unser Herz mit ihnen. - Ein Mensch, an den sich die ganze Welt knüpft, der sich wiederum an die ganze Welt klammert, ist ein Fremdling für unser Herz. - Wir lieben das Ausschließende in der Liebe und überall.

Der Dichter führte uns also in eine Republik hinein, auf welcher, als auf etwas Außergewöhnlichem, unsere Aufmerksamkeit weilet. Wir haben eine so ziemlich vollständige Ökonomie der ungeheuersten Menschenverirrung, selbst ihre Quellen sind aufgedeckt, ihre Ressorts angegeben, ihre Katastrophe ist entfaltet. Allerdings würden wir vor dem kühnen Gemälde der sittlichen Häßlichkeit zurücktreten, wofern nicht der Dichter durch etliche Pinselstriche Menschlichkeit und Erhabenheit hineingebracht hätte. Wir sind geneigter, den Stempel der Gottheit aus den Grimassen des Lasters herauszulesen, als ebendenselben in einem regelmäßigen Gemälde zu bewundern; eine Rose in der sandigten Wüste entzückt uns mehr, als deren ein ganzer Hain in den Hesperischen Gärten. Bei Verbrechern, denen das Gesetz als Idealen moralischer Häßlichkeit die Menschheit abgerissen hat, erheben wir auch schon einen geringern Grad von Bosheit zur Tugend, so wie wir im Gegenteil all unsern Witz aufbieten, im Glanz eines Heiligen Flecken zu entdecken. Kraft eines ewigen Hangs, alles in dem Kreis unserer Sympathie zu versammeln, ziehen wir Teufel zu uns empor und Engel herunter. Noch einen zweiten Kunstgriff benutzte der Dichter, indem er dem weltverworfenen Sünder einen schleichenden entgegengesetzte, der seine scheußlichern Verbrechen mit günstigerem Erfolge und weniger Schande und Verfolgung vollbringt. Auf diese Art legen wir nach unserer strengen Gerechtigkeitsliebe mehr Schuld in die Schale des Begünstigten, und vermindern sie in der Schale des Bestraften. Der erste ist um so viel schwärtzer, als er glücklicher, der zweite um so viel besser, als er unglücklicher ist. Endlich hat der Verfasser vermittelst einer einzigen Erfindung den fürchterlichen Verbrecher mit tausend Fäden an unser Herz geknüpft. - Der Mordbrenner liebt und wird wieder geliebt.

Räuber Moor ist nicht Dieb, aber Mörder. Nicht Schurke, aber Ungeheuer. Wofern ich mich nicht irre, dankt dieser seltene Mensch seine Grundzüge dem Plutarch und Cervantes(2), die durch den eigenen Geist des Dichters nach Shakespearischer Manier in einem neuen, wahren und harmonischen Charakter unter sich amalgamiert sind. In der Vorrede zum ersten Plan ist der Hauptriß von diesem Charakter entworfen. Die gräßlichsten seiner Verbrechen sind weniger die Wirkung bösartiger Leidenschaften als des zerrütteten Systems der guten. Indem er eine Stadt dem Verderben preisgibt, umfaßt er seinen Roller mit ungeheuerm Enthusiasmus; weil er sein Mädchen zu feurig liebt, als sie verlassen zu können, ermordet er sie; weil er zu edel denkt, als ein Sklave der Leute zu sein, wird er ihr Verderber; jede niedrige Leidenschaft ist ihm fremde; die Privaterbitterung gegen den unzärtlichen Vater wütet in einen Universalhaß gegen das ganze Menschengeschlecht aus. "Reue und kein Erbarmen! - ich möchte das Meer vergiften, daß sie den Tod aus allen Quellen saufen." Zu groß für die kleine Neigung niederer Seelen, Gefährten im Laster und Elend zu haben, sagt er zu einem Freiwilligen: "Verlaß diesen schrecklichen Bund! - Lern erst die Tiefe des Abgrunds kennen, eh du hineinspringst. - Folge mir! mir! und mach dich eilig hinweg." Eben diese Hoheit der Empfindungen begleitet ein unüberwindlicher Heldenmut und eine erstaunenswerte Gegenwart des Geistes. Man erblicke ihn, umzingelt in den Böhmischen Wäldern, wie er sich aus der Verzweiflung seiner Wenigen eine Armee wirbt - den großen Mann vollendet ein unersättlicher Durst nach Verbesserung, und eine rastlose Tätigkeit des Geists. Welches drängende Chaos von Ideen mag in dem Kopfe wohnen, der eine Wüste fodert, sich zu sammeln, und eine Ewigkeit, sie zu entwickeln! - Das Aug wurzelt in dem erhabenen armen Sünder, wenn schon lange der Vorhang gefallen ist, er ging auf wie ein Meteor und schwindet wie eine sinkende Sonne.

Einen überlegenden Schurken, dergleichen Franz, der jüngere Moor, ist, auf die Bühne zu bringen - oder besser (der Verfasser gesteht, daß er nie an die Bühne dachte) ihn zum Gegenstand der bildenden Kunst zu machen, heißt mehr gewagt, als das Ansehen Shakespeares, des größten Menschenmalers, der einen Jago und Richard erschuf, entschuldigen; mehr gewagt, als die unglückseligste Plastik der Natur verantworten kann. Wahr ist es - so gewiß diese letztere an lächerlichen Originalen auch die luxurierendste Phantasie des Karikaturisten hinter sich läßt; so gewiß sie zu den bunten Träumen des Narrenmalers Fratzen genug liefert, daß ihre getreuesten Kopisten nicht selten in den Vorwurf der Übertreibung verfallen: so wenig wird sie jedennoch diese Idee unsers Dichters mit einem einzigen Beispiel zu rechtfertigen wissen. Dazu kommt, wenn auch die Natur, nach einer hundert- und tausendjährigen Vorbereitung, so unbändig über ihre Ufer träte, wenn ich dies auch zugeben könnte, sündigt nicht der Dichter unverzeihlich gegen ihre ersten Gesetze, der dieses Monstrum der sich selbst befleckenden Natur in eine Jünglings-Seele verlegt? Noch einmal zugegeben, es sei so möglich - wird nicht ein solcher Mensch erst tausend krumme Labyrinthe der Selbstverschlimmerung durchkriechen, tausend Pflichten verletzen müssen, um sie gering schätzen zu lernen - tausend Rührungen der zum Vollkommenen strebenden Natur verfälschen müssen, um sie belachen zu können? -. Mit einem Wort, wird er nicht erst alle Auswege versuchen, alle Verirrungen erschöpfen müssen, um dieses abscheuliche non plus ultra mühsam zu erklettern? Die moralischen Veränderungen kennen ebenso wenig einen Sprung als die physischen; auch liebe ich die Natur meiner Gattung zu sehr, als daß ich nicht lieber zehenmal den Dichter verdamme, eh ich ihr eine solche krebsartige Verderbnis zumute. Mögen noch so viel Eiferer und ungedungene Prediger der Wahrheit von ihren Wolken herunterrufen: Der Mensch neigt sich ursprünglich zum Verderblichen: ich glaub es nicht, ich denke vielmehr überzeugt zu sein, daß der Zustand des moralischen Übels im Gemüt eines Menschen ein schlechterdings gewaltsamer Zustand sei, welchen zu erreichen zuvörderst das Gleichgewicht der ganzen geistigen Organisation (wenn ich so sagen darf) aufgehoben sein muß, so wie das ganze System der tierischen Haushaltung, Kochung und Scheidung, Puls und Nervenkraft durcheinander geworfen sein müssen, eh die Natur einem Fieber oder Konvulsionen Raum gibt. Unserm Jüngling, aufgewachsen im Kreis einer friedlichen, schuldlosen Familie, - woher kam ihm eine so herzverderbliche Philosophie? Der Dichter läßt uns diese Frage ganz unbeantwortet; wir finden zu all denen abscheulichen Grundsätzen und Werken keinen hinreichenden Grund als das armselige Bedürfnis des Künstlers, der, um sein Gemälde auszustaffieren, die ganze menschliche Natur in der Person eines Teufels, der ihre Bildung usurpiert, an den Pranger gestellt hat.

Es sind nicht sowohl gerade die Werke, die uns an diesem grundbösen Menschen empören - es ist auch nicht die abscheuliche Philosophie - Es ist vielmehr die Leichtigkeit, womit ihn diese zu jenen bestimmt. Wir hören vielleicht in einem Kreis Vagabunden dergleichen ausschweifende Bonmots über Moralität und Religion - unser inneres Gefühl empört sich dabei, aber wir glauben noch immer unter Menschen zu sein, solang wir uns überreden können, daß das Herz niemals so grundverderbt werden kann, als die Zunge es auf sich nimmt. Wiederum liefert uns die Geschichte Subjekte, die unsern Franz an unmenschlichen Taten weit hinter sich lassen(3); und doch schüttelt uns dieser Charakter so sehr. Man kann sagen: dort wissen wir nur die Fakta, unsre Phantasie hat Raum, solche Triebfedern darzu zu träumen, als nur immer dergleichen Teufeleien wohl nicht entschuldigen, doch begreiflich machen können. Hier zeichnet uns der Dichter selbst die Schranken vor, indem er uns das Triebwerk enthüllt, unsre Phantasie wird durch historische Fakta gefesselt; wir entsetzen uns über den gräßlichen Sophismen, aber noch scheinen sie uns zu leicht und luftig zu sein, als daß sie zu wirklichen Verbrechen - darf ich sagen? - erwärmen könnten. Vielleicht gewinnt das Herz des Dichters auf Unkosten seiner dramatischen Schilderei; tausend Mordtaten zu geloben, tausend Menschen in Gedanken zu vernichten ist leicht, aber es ist eine herkulische Arbeit, einen einzigen Totschlag wirklich zu begehen. Franz sagt uns in einem Monologen einen wichtigen Grund: "Verflucht sei die Torheit unsrer Ammen und Wärterinnen, die unsre Phantasie mit schrecklichen Märchen verderben und gräßliche Bilder von Strafgerichten in unser weiches Gehirnmark drücken, daß unwillkürliche Schauer die Glieder des Mannes noch in frostige Angst rütteln, unsre kühnste Entschlossenheit sperren" u. s. f. Aber wer weißt es nicht, daß eben diese Spuren der ersten Erziehung in uns unvertilgbar sind? In der neuen Auflage des Stücks hat sich der Dichter gebessert. Der Bösewicht hat seinen Helfershelfer verloren und ist gezwungen, seine eigenen Hände zu brauchen - "Wie? wenn ich selbst hinginge und ihm den Degen in den Leib bohrte hinterrücks? - Ein verwundeter Mann ist ein Knabe - frisch! ich wills wagen! (Er geht mit starken Schritten fort, bleibt aber plötzlich in schreckhafter Erschlaffung stehen.) Wer schleicht hinter mir? - Gesichter wie ich noch keine sah! - Schneidende Triller! (Er läßt den Dolch aus dem Kleide fallen.) durch meine Knochen Zermalmung! - Nein! ich wills nicht tun" u. s. f. Der größeste Weichling kann Tyrann und Mörder sein, aber er wird seinen Bravo an der Seite haben, und durch den Arm eines im Handwerk erhärteten Buben freveln. Oft ist dies Feigheit, aber laufen nicht auch Schaueranwandlungen der wiederkehrenden Menschheit mit unter?

Dann sind auch die Räsonnements, mit denen er sein Lastersystem aufzustutzen versteht, das Resultat eines aufgeklärten Denkens und liberalen Studiums. Die Begriffe, die sie voraussetzen, hätten ihn notwendig veredeln sollen, und bald verleitet uns der Dichter, die Musen allgemein zu verdammen, die zu dergleichen Schelmereien jemals die Hände führen konnten.

Doch Klag und kein Ende! Sonst ist dieser Charakter, so sehr er mit der menschlichen Natur mißstimmt, ganz übereinstimmend mit sich selbst; der Dichter hat alles getan, was er tun konnte, nachdem er einmal den Menschen überhüpft hatte; dieser Charakter ist ein eigenes Universum, das ich gern jenseits der sublunarischen Welt, vielleicht in einen Trabanten der Hölle, einquartiert wissen möchte; seine untreue Seele schlüpft geschmeidig in alle Masken, und schmiegt sich in alle Formen: beim Vater hört man ihn beten, schwärmen neben dem Mädchen, und neben dem Handlanger lästern. Kriechend, wo er zu bitten hat, Tyrann, wo er befehlen kann. Verständig genug, die Bosheit eines andern zu verachten, nie so gerecht, sie bei sich selbst zu verdammen. An Klugheit dem Räuber überlegen, aber hölzern und feig neben dem empfindsamen Helden. Vollgepfropft von schweren, entsetzlichen Geheimnissen, daß er selbst seinen Wahnwitz für einen Verräter hält. "(Nachdem er aus einer Raserei, die sich in Ohnmacht verlor, zu sich selbst gebracht ward.) Was hab ich gesagt? Merke nicht drauf, ich hab eine Lüge gesagt, es sei was es wolle." Endlich in der unglücklichen Katastrophe seiner Intrige, wo er menschlich leidet? - Wie sehr bestätigt dies die allgemeine Erfahrung wieder! - wir rücken ihm näher, sobald er sich uns nähert; seine Verzweiflung fängt an, uns mit seiner Abscheulichkeit zu versöhnen: Ein Teufel, erblickt auf den Foltern der ewigen Verdammnis, würde Menschen weinen machen; wir zittern für ihr und über eben das, was wir so heißgrimmig auf ihn herabwünschten. Selbst der Dichter scheint sich am Schluß seiner Rolle für ihn erwärmt zu haben: er versuchte durch einen Pinselstrich ihn auch bei uns zu veredeln: "Hier! nimm diesen Degen. Hurtig! Stoß mir ihn rücklings in den Leib, daß nicht diese Buben kommen, und treiben ihren Spott aus mir." Stirbt er nicht bald wie ein großer Mann, die kleine kriechende Seele!

Es findet sich in der ganzen Tragödie nur ein Frauenzimmer, man erwartet also billig im Charakter dieser einzigen gewissermaßen die Repräsentantin ihres ganzen Geschlechts. Wenigstens wird die Aufmerksamkeit des Zuschauers und Lesers um so unverwandter auf ihr haften, je einsamer als sie im Kreise der Männer und Abenteurer steht, wenigstens wird man von den wilden, stürmischen Empfindungen, worin uns die Räuberszenen herumwerfen, in ihrer sanften weiblichen Seele auszuruhen gedenken. Aber zum Unglück wollte uns der Dichter hier etwas Außerordentliches zukommen lassen, und hat uns um das Natürliche gebracht. Räuber war einmal die Parole des Stücks, der lärmende Waffenton hat den leisern Flötengesang überstimmt. Der Geist des Dichters scheint sich überhaupt mehr zum Heroischen und Starken zu neigen, als zum Weichen und Niedlichen. Er ist glücklich in vollen, saturierten Empfindungen, gut in jedem höchsten Grade der Leidenschaft, und in keinem Mittelweg zu gebrauchen. Daher schuf er uns hier ein weibliches Geschöpf, wobei wir, unbeschadet all der schönen Empfindungen, all der liebenswürdigen Schwärmerei doch immer das vermissen, was wir zuerst suchen: das sanfte leidende, schmachtende Ding - das Mädchen. Auch handelt sie im ganzen Stück durchaus zu wenig, ihr Roman bleibt durch die drei ersten Akte immer auf eben derselben Stelle stehen (so wie, beiläufig zu sagen, das ganze Schauspiel in der Mitte erlahmt). Sie kann sehr artig über ihren Ritter weinen, um den man sie geprellt hat, sie kann auch den Betrüger aus vollem Halse heruntermachen, der ihn weggebissen hat, und doch auf ihrer Seite kein angelegter Plan, den Herzeinzigen entweder zu haben, oder zu vergessen, oder durch einen andern zu ersetzen; ich habe mehr als die Hälfte des Stücks gelesen und weiß nicht, was das Mädchen will, oder was der Dichter mit dem Mädchen gewollt hat, ahnde auch nicht, was etwa mit ihr geschehen könnte, kein zukünftiges Schicksal ist angekündet oder vorbereitet, und zudem läßt ihr Geliebter bis zur letzten Zeile des - dritten Akts kein halbes Wörtchen von ihr fallen. Dieses ist schlechterdings die tödliche Seite des ganzen Stücks, wobei der Dichter ganz unter dem Mittelmäßigen geblieben ist. Aber vom vierten Akt an wird er ganz wieder er selbst. Mit der Gegenwart ihres Geliebten fängt die interessante Epoche des Mädchens an. Sie glänzt in seinem Strahle, erwärmt sich an seinem Feuer, schmachtet neben dem Starken, und ist ein Weib neben dem Mann. Die Szene im Garten, welche der Verfasser in der neuen Auflage verändert liefert, ist ein wahres Gemälde der weiblichen Natur, und ungemein treffend für die drangvolle Situation. Nach einem Selbstgespräch, worin sie gegen die Liebe zu Karln (der unter einem fremden Namen ihr Gast ist) als gegen einen Meineid kämpft, erscheint er selbst.

"RÄUBER MOOR. Ich kam, um Abschied zu nehmen. Doch Himmel! Auf welcher Wallung muß ich Ihnen begegnen?
AMALIA. Gehen Sie, Graf - Bleiben Sie - Glücklich! Glücklich! wären Sie nur jetzt nicht gekommen! Wären Sie nie gekommen!
RÄUBER MOOR. Glücklich wären Sie dann gewesen? - Leben Sie wohl.
AMALIA. Um Gottes willen! bleiben Sie - Das war nicht meine Meinung! (Die Hände ringend) Gott! und warum war sie es nicht? - Graf! was tat Ihnen das Mädchen, das Sie zur Verbrecherin machen? Was tat Ihnen die Liebe, die Sie zerstören?
RÄUBER MOOR. Sie ermorden mich, Fräulein!
AMALIA. Mein Herz so rein, eh meine Augen Sie sahen! - daß sie verblindeten, diese Augen, die mein Herz verkehrt haben!
RÄUBER MOOR. Mir! Mir diesen Fluch, mein Engel! Diese Augen sind unschuldig wie dies Herz.
AMALIA. Ganz seine Blicke! - Graf! ich beschwöre Sie, kehren Sie diese Blicke von mir, die mein Innerstes durchwüten! - Ihn - Ihn selbst heuchelt sie mir in diesen Blicken vor, Phantasie die Verräterin - Gehen Sie! Kommen Sie in Krokodilgestalt wieder, und mir ist besser.
RÄUBER MOOR (mit dem vollen Blick der Liebe). Du lügst, Mädchen.
AMALIA (zärtlicher). Und solltest du falsch sein, Graf? Solltest du kurzweilen mit meinem schwachen weiblichen Herzen? - Doch wie kann Falschheit in einem Auge wohnen, das seinen Augen aus dem Spiegel gleicht! - Ach! und erwünscht! wenn es auch wäre! Glücklich! wenn ich dich hassen müßte! - Weh mir! wenn ich dich nicht lieben könnte!
RÄUBER MOOR (drückt ihre Hand wütend an den Mund).
AMALIA. Deine Küsse brennen wie Feuer.
RÄUBER MOOR. Meine Seele brennt in ihnen.
AMALIA. Geh - noch ist es Zeit! Noch! - Stark ist die Seele des Manns! - Feure auch mich an mit deinem Mut, Mann mit der starken Seele!
RÄUBER MOOR. Dein Zittern entnervt den Starken. Ich wurzle hier - (das Haupt an ihre Brust gedrückt) und hier will ich sterben.
AMALIA. Weg! laß mich! - Was hast du gemacht, Mann? - Weg mit deinen Lippen! - Gottloses Feuer schleicht in meinen Adern. (Sie sträubt sich ohnmächtig gegen seine Bestürmungen) Und mußtest du kommen aus fernen Landen, eine Liebe zu zerstören, die dem Tode trotzte (Sie drückt ihn fester an die Brust) Gott vergebe dirs, Jüngling!" u.s.f.

Der Ausgang dieser Szene ist höchst tragisch, so wie sie überhaupt zugleich die rührendste und entsetzlichste ist. Der Graf hat ihr den Trauring, den sie ihm vor vielen Jahren gegeben, an den Finger gespielt, ohne daß sie ihn erkannt hätte. Nun ist er mit ihr am Ziele - wo er sie verlassen, und sich ihr zu erkennen geben soll. Eine Erzählung ihrer eigenen Geschichte, die sie für eine andere auslegt, war sehr interessant. Sie verteidigt das unglückliche Mädchen. Die Szene endet also:

"RÄUBER MOOR. Meine Amalia ist ein unglückliches Mädchen.
AMALIA. Unglücklich! daß sie dich von sich stieß!
RÄUBER MOOR. Unglücklicher, weil sie mich zwiefach umwindet.
AMALIA. O dann gewiß unglücklich! - Das liebe Mädchen. Sie sei meine Schwester, und dann noch eine bessere Welt -
RÄUBER MOOR. Wo die Schleier fallen, und die Liebe mit Entsetzen zurückprallt - Ewigkeit heißt ihr Name - Meine Amalia ist ein unglückliches Mädchen.
AMALIA (etwas bitter). Sind es alle, die dich lieben und Amalia heißen?
RÄUBER MOOR. Alle - wenn sie wähnen, einen Engel zu umhalsen, und ein Totschläger in ihren Armen liegt. - Wehe meiner Amalia! Sie ist ein unglückliches Mädchen.
AMALIA (im Ausdruck der heftigsten Rührung). Ich beweine sie!
RÄUBER MOOR (nimmt stillschweigend ihre Hand und hält ihr den Ring vor die Augen). Weine über dich selber - (und stürzt hinaus)
AMALIA (niedergesunken.) Karl! Himmel und Erde!"

Noch wär ein Wort über die zweideutige Katastrophe der ganzen Liebesgeschichte zu sagen. Man fragt, war es tragisch, daß der Liebhaber sein Mädchen ermordet? War es in dem gegebenen Falle natürlich? War es notwendig? War kein minder schrecklicher Ausweg mehr übrig? - Ich will auf das letzte zuerst antworten: Nein! - Möglich war keine Vereinigung mehr, unnatürlich und höchst undramatisch wär eine Resignation gewesen. Zwar vielleicht diese letzte möglich und schön auf Seiten des männlichen Räubers - aber wie äußerst widrig auf Seiten des Mädchens! Soll sie heimgehen und sich trösten über das, was sie nicht ändern kann? Dann hätte sie nie geliebt. Soll sie sich selbst erstechen? Mir ekelt vor diesem alltäglichen Behulf der schlechten Dramatiker, die ihre Helden über Hals über Kopf abschlachten, damit dem hungrigen Zuschauer die Suppe nicht kalt werde. Nein, man höre vielmehr den Dichter selbst, und beantworte sich dann gelegenheitlich auch die übrige Fragen. Räuber Moor hat Amalien auf einen Stein gesetzt und entblößt ihr den Busen.

"RÄUBER MOOR. Schaut diese Schönheit, Banditen! - Schmelzt sie euch nicht? - Schaut mich an, Banditen. Jung bin ich und liebe. Hier werd ich geliebt. Angebetet. Bis ans Tor des Paradieses bin ich gekommen. - Sollten mich meine Brüder zurückschleudern? (Räuber stimmen ein Gelächter an)
RÄUBER MOOR (entschlossen). Genug. Bis hieher Natur! Itzt fängt der Mann an. Auch ich bin der Mordbrenner einer - und (ihnen entgegen gegen mit Majestät) euer Hauptmann! Mit dem Schwert wollt ihr mit euerm Herrn rechten, Banditen? (Mit gebietender Stimme) Streckt die Gewehre! Euer Herr spricht mit euch! (Räuber lassen zitternd ihre Waffen fallen)
RÄUBER MOOR. Seht! Nun seid ihr nichts mehr als Knaben, und ich - bin frei. Frei muß Moor sein, wenn er groß sein will. Um ein Elysium voll Liebe ist mir dieser Triumph nicht feil. - Nennt es nicht Wahnwitz, Banditen, was ihr das Herz nicht habt Größe zu nennen; der Witz des Unglücks überflügelt den Schneckengang der ruhigen Weisheit - Taten wie diese überlegt man, wenn sie getan sind. Ich will hernach davon reden. (Er ermordet das Mädchen)"
Die Räuber preisen den Sieg ihres Fürsten. Aber nun seine Empfindungen nach der Tat.

"RÄUBER MOOR. Nun ist sie mein (indem er sie mit dem Schwert bewacht) Mein - oder die Ewigkeit ist die Grille eines Dummkopfs gewesen. Eingesegnet mit dem Schwert hab ich heimgeführt meine Braut, vorüber an all den Zauberhunden meines Feindes Verhängnis! - Und er muß süß gewesen sein, der Tod von Bräutigams Händen? Nicht wahr, Amalia?
AMALIA (sterbend im Blut). Süße. (Streckt die Hand aus und stirbt)
RÄUBER MOOR (zu der Bande). Nun, ihr erbärmlichen Gesellen! Habt ihr noch was zu fordern? Ihr opfertet mir ein Leben auf, ein Leben, das schon nicht mehr euer war, ein Leben voll Abscheulichkeit und Schande. - Ich hab euch einen Engel geschlachtet, Banditen! Wir sind quitt. Auf dieser Leiche liegt meine Handschrift zerrissen - Euch schenk ich die eurige" u. s. f.

Offenbar krönt diese Wendung das ganze Stück und vollendet den Charakter des Liebhabers und Räubers.

Schlechter bin ich mit dem Vater zufrieden. Er soll zärtlich und schwach sein, und ist klagend und kindisch. Man sieht es schon daraus, daß er die Erfindungen Franzens, die an sich plump und vermessen genug sind, gar zu einfältig glaubt. Ein solcher Charakter kam freilich dem Dichter zustatten, um Franzen zum Zweck kommen zu lassen, aber warum gab er nicht lieber dem Vater mehr Witz, um die Intrigen des Sohnes zu verfeinern? Franz muß allem Ansehen nach seinen Vater durchaus gekannt haben, daß er es für unnötig hielt, seine ganze Klugheit an ihm zu verschwenden? Überhaupt muß ich in der Kritik dieses letztern noch nachholen, daß sein Kopf mehr verspricht, als seine Intrigen erfüllen, welche, unter uns gesagt, abenteuerlich grob und romanhaft sind. So mischt sich in die Bedauernis über den Vater ein gewisses verachtendes Achselzucken, das sein Interesse um vieles schwächt; so gewiß zwar eine gewisse Passivität des Beleidigten unsern Grimm gegen den Beleidiger mehr erhitzt als eine Selbstätigkeit des erstern, so gehört doch immer ein Grad von Hochachtung gegen ihn dazu, um uns für ihn zu interessieren - und wenn diese Hochachtung nicht auf intellektuelle Vollkommenheiten geht, worauf geht sie sonst? - Auf die moralischen? - Aber man weißt, wie genau sich diese letztern mit den ersten amalgamieren müssen, um anziehend zu sein. Überdies ist der alte Moor mehr Betschwester als Christ, der seine religiösen Sprüche aus seiner Bibel herzubeten scheint. Endlich springt der Verfasser mit dem armen Alten gar zu tyrannisch um, und, unsrer Meinung nach, hätte dieser, wenn er auch dem zweiten Akte entronnen wäre, durch das Schwert des vierten fallen sollen. - Er hat ein gar zähes Froschleben, der Mann! das freilich dem Dichter recht à propos kommen mochte. - Doch der Dichter ist ja auch Arzt, und wird ihm schon Diät vorgeschrieben haben.

In den kontrastierenden Charakteren der Räuber Roller, Spiegelberg, Schufterle, Kosinsky, Schweizer ist der Verfasser glücklicher gewesen. Jeder hat etwas Auszeichnendes, jeder das, was er haben muß, um auch noch neben dem Hauptmann zu interessieren, ohne ihm Abbruch zu tun. Der Rolle Hermanns, die im ersten Plan höchst fehlerhaft war, ist in der zweiten Auflage eine vorteilhaftere Wendung gegeben. Es ist eine interessante Situation, wie sich in der Mitte des vierten Aktes die beiden Schurken an einander zerschlagen. So wie sich der Charakter Hermanns erhob, wurde der Charakter des alten Daniels in Schatten gestellt.

Die Sprache und der Dialog dörften sich gleicher bleiben, und im ganzen weniger poetisch sein. Hier ist dem Ausdruck lyrisch und episch, dort gar metaphysisch, an einem dritten Ort biblisch, an einem vierten platt. Franz sollte durchaus anders sprechen. Die blumigte Sprache verzeihen wir nur der erhitzten Phantasie, und Franz sollte schlechterdings kalt sein. Das Mädchen hat mir zuviel im Klopstock gelesen. Wenn man es dem Verfasser nicht an den Schönheiten anmerke, daß er sich in seinen Shakespeare vergafft hat, so merkt man es desto gewisser an den Ausschweifungen. Das Erhabene wird durch poetische Verblümung durchaus nie erhabener, aber die Empfindung wird dadurch verdächtiger. Wo der Dichter am wahrsten fühlte und am durchdringendsten bewegte, sprach er wie unser einer. Im nächsten Drama erwartet man Besserung, oder man wird ihn zu der Ode verweisen.

Gewisse historische Beziehungen finde ich nicht ganz berichtigt. In der neuen Auflage ist die Geschichte in die Errichtung des teutschen Landfriedens verlegt worden. Das Stück war in der Anlage der Charaktere und der Fabel modern zugeschnitten, die Zeit wurde verändert, Fabel und Charaktere blieben. So entstand ein buntfärbiges Ding, wie die Hosen des Harlekins, alle Personen sprechen um viel zu studiert, itzt findet man Anspielungen auf Sachen, die ein paar hundert Jahre nachher geschahen oder gestattet werden durften.

Auch sollte durchgängig mehr Anstand und Milderung beobachtet sein. Laokoon kann in der Natur aus Schmerz brüllen, aber in der anschaulichen Kunst erlaubt man ihm nur eine leidende Miene. Der Verfasser kann vorwenden: ich habe Räuber geschildert, und Räuber bescheiden zu schildern wär ein Versehen gegen die Natur - Richtig, Herr Autor! Aber warum haben Sie denn auch Räuber geschildert?

Nun das Stück von seiten seiner Moral? - Vielleicht findet der Denker dergleichen darin (besonders wenn er sie mitbringt); Halbdenkern und ästhetischen Maulaffen darf man es kühnlich konfiszieren. Endlich der Verfasser - man frägt doch gern nach dem Künstler, wenn man sein Tableau umwendet - seine Bildung kann schlechterdings nur anschauend gewesen sein; daß er keine Kritik gelesen, vielleicht auch mit keiner zurechtkommt, lehren mich seine Schönheiten und noch mehr seine kolossalischen Fehler. Er soll ein Arzt bei einem wirtembergischen Grenadier-Bataillon sein, und wenn das ist, so macht es dem Scharfsinn seines Landesherrn Ehre: So gewiß ich sein Werk verstehe, so muß er starke Dosen in Emeticis ebenso lieben als in Aestheticis, und ich möchte ihm lieber zehen Pferde als meine Frau zur Kur übergeben.

K....r

ANHANG ÜBER DIE VORSTELLUNG DER RÄUBER

Das Stück ist zu verschiedenen Malen in Mannheim gespielt worden. Ich hoffe meine Leser zu verbinden, wenn ich ihnen einen Brief mitteile, den mir mein Korrespondent, der dem Schauspiel zu Gefallen dahin abgereist war, auf Ansuchen darüber geschrieben hat.

"Worms, den 15. Jenner [1782.]

Vorgestern endlich ging die Vorstellung der Räuber des Hrn. Schillers vor sich. Ich komme soeben von der Reise zurück, und noch warm von dem Eindruck, setze ich mich nieder, Ihnen zu schreiben. Nun erst muß ich erstaunen, welche unübersteiglich scheinende Hindernisse der Hr. Präsident von Dalberg besiegen mußte, um dem Publikum das Stück auftischen zu können. Der Hr. Verfasser hat es freilich für die Bühne umgearbeitet, aber wie? Gewiß auch nur für die, die der tätige Geist Dalbergs beseelt; für alle übrige, die ich wenigstens kenne, bleibt es, nach wie vor, ein unregelmäßiges Stück. Unmöglich wars, bei den fünf Akten zu bleiben; der Vorhang fiel zweimal zwischen den Szenen, damit Maschinisten und Schauspieler Zeit gewännen; man spielte Zwischenakte, und so entstanden sieben Aufzüge. Doch das fiel nicht auf. Alle Personen erschienen neu gekleidet, zwei herrliche Dekorationen waren ganz für das Stück gemacht, Hr. Danzi hatte auch die Zwischenakte neu aufgesetzt, so daß nur die Unkosten der ersten Vorstellung hundert Dukaten betrugen. Das Haus war ungewöhnlich voll, daß eine große Menge abgewiesen wurde. Das Stück spielte ganze vier Stunden, und mich deucht, die Schauspieler hatten sich noch beeilet.

Doch - Sie werden ungeduldig sein, vom Erfolge zu hören. Im ganzen genommen, tat es die vortrefflichste Wirkung. Hr. Boek, als Räuberhauptmann, erfüllte seine Rolle, so weit es dem Schauspieler möglich war, immer auf der Folter des Affekts gespannt zu liegen. In der mitternächtlichen Szene am Turm hör ich ihn noch, neben dem Vater kniend, mit aller pathetischen Sprache den Mond und die Sterne beschwören - Sie müssen wissen, daß der Mond, wie ich noch auf keiner Bühne gesehen, gemächlich über den Theaterhorizont lief und nach Maßgab seines Laufs ein natürliches schröckliches Licht in der Gegend verbreitete. - Schade nur, daß Hr. Boek für seine Rolle nicht Person genug hat. Ich hatte mir den Räuber hager und groß gedacht. Hr. Iffland, der den Franz vorstellte, hat mir (doch entscheidend soll meine Meinung nicht sein) am vorzüglichsten gefallen. Ihnen gesteh ich es, diese Rolle, die gar nicht für die Bühne ist, hatt ich schon für verloren gehalten, und nie bin ich noch so angenehm betrogen worden. Iffland hat sich in den letztern Szenen als Meister gezeigt. Noch hör ich ihn in der ausdrucksvollen Stellung, die der ganzen laut bejahenden Natur entgegenstund, das ruchlose Nein sagen, und dann wiederum, wie von einer unsichtbaren Hand gerührt, ohnmächtig umsinken: ,Ja! Ja! - droben einer über den Sternen!' - Sie hätten ihn sollen sehen auf den Knieen liegen und beten, als um ihn schon die Gemächer des Schlosses brannten - Wenn nur Hr. Iffland seine Worte nicht so verschlänge, und sich nicht im Deklamieren so überstürzte! Teutschland wird in diesem jungen Mann noch einen Meister finden. Hr. Beil, der herrliche Kopf, war ganz Schweizer. Hr. Meyer spielte den Hermann unverbesserlich, auch Kosinsky und Spiegelberg wurden seht gut getroffen. Madame Toskani gefiel, mir zum mindesten, ungemein. Ich fürchtete anfangs für diese Rolle, denn sie ist dem Dichter an vielen Orten mißlungen. Toskani spielte durchaus weich und delikat, auch wirklich mit Ausdruck in den tragischen Situationen, nur zuviel Theater-Affektationen und ermüdende weinerlich klagende Monotonie. Der alte Moor konnte unmöglich gelingen, da er schon von Haus aus durch den Dichter verdorben ist.

Wenn ich Ihnen meine Meinung teutsch heraussagen soll - dieses Stück ist dem ohnerachtet kein Theaterstück. Nehme ich das Schießen, Sengen, Brennen, Stechen und dergleichen hinweg, so ist es für die Bühne ermüdend und schwer. Ich hätte den Verfasser dabei gewünscht, er würde viel ausgestrichen haben, oder er müßte sehr eigenliebig und zäh sein. Mir kam es auch vor, es waren zu viele Realitäten hineingedrängt, die den Haupteindruck belasten. Man hätte drei Theaterstücke daraus machen können, und jedes hätte mehr Wirkung getan. Man spricht indes langes und breites davon. Übermäßige Tadler und übermäßige Lober. Wenigstens ist dies die beste Gewähr für den Geist des Verfassers. Bald werden wir es gedruckt haben. Hr. Hofkammerrat Schwan, der zur Aufnahme des Stücks sehr viel beigetragen hatte und ein eifriger Liebhaber davon ist, wird es herausgeben. Ich habe die Ehre zu sein u.s.f.

N."

(1) Schriften von H. P. Sturz. In den Denkwürdigkeiten von Rousseau.
(2) Jedermann kennt den ehrwürdigen Räuber Roque aus dem Don Quixote.
(3) Man erzählt von einem Spitzbuben in unsern Gegenden, der mit Gefahr seines Lebens Personen, die er nicht einmal kannte, auf die abscheulichste Weise massakrierte. - Wiederum von einem andern, der, ohne einigen Mangel an Nahrungsmitteln zu haben, die Kinder der Nachbarschaft an sich lockte und verzehrte.