„Scheiß=Schiller!“

Arno Schmidt über den Klassiker

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Über Arno Schmidts notorische Goethe-Beschimpfungen hat man gemutmaßt, gerade die von ihm bestgehassten Autoren dürften ihm in Wahrheit immer die wichtigsten gewesen sein. Offenbar gehörte Schiller dazu. So heißt es in „Zettels Traum“ (1970) lapidar: „Scheiß=Schiller!“ Und Alice Schmidt, die laut Zeitzeugen gern nachplapperte, was ihr Mann sagte, schreibt bereits am 10. Juli 1954 in ihr Tagebuch, sie beginne „nun mit: Schillers Jungfrau v. Orleans. – Aber wie platt schon die I. Verse. Welch Vater sagt zu seiner Tochter: ,Entfaltet ist die Blume deines Leibes‘. Arno ist gleicher Ansicht! – Was für ein Gott ist Arno dagegen!!“

Ist das Größenwahn? Eines ist wohl klar: Schiller wird von Schmidt als gefährlicher Konkurrent wahrgenommen, den es mit polemischem Furor aus dem Weg zu räumen gilt. Dazu ist ihm erst einmal jede Behauptung recht. So schimpft er an einer Stelle: „in Beziehung auf Gelehrsamkeit war Friedrich Schiller ein erbärmlich kleines Licht verglichen mit dem Begründer des Sanskritstudiums oder dem Shakespeare=Übersetzer“. Gemeint ist August Wilhelm Schlegel.

Der Klassiker sei zwar ein „großer Mann, gern zugegeben; aber was sind seine Stücke, unvoreingenommen betrachtet, mehr, als dialogisierte causes célèbres, d. h. berühmte Kriminalfälle?“ Mit dem Krimigenre konnte sich Schmidt bekanntlich nie anfreunden, weswegen er brutale Schiller-Plots wie in „Die Räuber“ oder „Jungfrau von Orleans“ abkanzelt: „Daß Schiller heute, bei uns, der gesuchteste Drehbuchautor für Mord- und Räubergeschichten wäre, kann doch nur ein Denkfauler oder ein Germanist abstreiten.“ Andererseits wendet der Kritiker diesen Aspekt an anderer Stelle positiv: „Schiller war wesentlich morbider und radikaler, als der von seinen nationalen Schlagworten hingerissene Bürger sich normalerweise einzugestehen wagt! Hätte es zu seiner Zeit schon den Kriminalroman gegeben (zu dem er nebenbei im ‚Geisterseher‘ einen unverächtlichen Anfang gemacht hat), er hätte darin excelliert! -“

Ein Grund mehr für den heutigen Leser, sich diesen „Geisterseher“ (1788) vielleicht irgendwann einfach einmal selbst vorzunehmen, um zu überprüfen, was es mit diesem angeblichen „Prä-Krimi“ denn nun auf sich habe. „Lest Schiller!“, scheint es uns auch aus den von Schmidt mit unverkennbarer identifikatorischer Faszination vorgetragenen biografischen Anekdoten entgegenzurufen: „Als Goethe eines Tages in das Arbeitszimmer seines ‚Freundes‘ Schiller trat [.], da befiel ihn am Schreibtisch ein ausgesprochenes Schnüffeln. Er sah Frau Charlotte an; und diese zog achselzuckend das Schubfach auf, aus dem ein wahres Konzert süßlichst=fauliger Gestänke quoll: es war gefüllt mit modernden Äpfeln, in allen Stadien und Farben nur denkbarer Verwesung von Pflanzenleibern: ‚Er sagt, es rege ihn beim Schreiben an!‘“

Nicht nur, dass Schmidt hier abermals versucht, öffentliche Zerrbilder hehren (und ehemals: nationalsozialistisch vereinnahmten) Klassikertums zu untergraben, indem er den Säulenheiligen Schiller wieder zu einem Menschen macht, der skurrile Ticks und Spleens hatte (und dabei Goethes viel beschworene Freundschaft zu Schiller in Anführungsstriche setzt); man erkennt auch, dass Schmidt seine eigenen alkoholischen Stimulansexzesse bei der Arbeit – er trank nachts Unmengen von Schnaps und Kaffee, während er schrieb – gern mit der Schnüffelsucht seines großen Vorgängers rechtfertigt: „SCHILLER -: hat sich doch=ooch an fauln Eppln uffgegaylt“!

Nicht zuletzt würdigt er in Schiller einen Mann, der sein Leben ohne Kompromisse der Literatur „geopfert“ habe: „Er starb mit 46 Jahren, sinnlos verbraucht, wie eine an beiden Enden angezündete Kerze!“ Eine Beschreibung, die natürlich vor allem auf Schmidt selbst passt, der 1979 an der Schreibmaschine einen tödlichen Schlaganfall erlitt. Das sollte uns jedoch nicht davon abhalten, nachzulesen, welche literarischen Früchte aus der Fron resultierten. Den düsteren Klagen ihrer Autoren zum Trotz kann das nämlich richtig Spaß machen. Auch bei Schiller.