Profit am Nächsten

Deutsche verwerten jüdische Nachbarn

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

263,14 DM erhielt Kurt Rübsteck im Juli 1954 von der Bundesrepublik Deutschland; im November 1957 erreichte ihn eine weitere Zahlung. Diesmal über 193,65 DM. Damit sah der deutsche Staat seine Schuld als beglichen an und schloss die Akte Rübsteck. Rübsteck hatte für den Gesamtbetrag von nicht einmal 500 DM lange streiten müssen. 1942 war er als Jude gemeinsam mit seinen Eltern aus seinem Heimatdorf Hemmerden, unweit von Grevenbroich, ins KZ Theresienstadt verschleppt worden. Das elterliche Haus wurde dem Staat zugeschlagen, der Hausstand am 21.8.1942 an die ehemaligen Nachbarn versteigert. 1945 kehrte Kurt Rübsteck alleine zurück, Vater und Mutter waren ermordet worden. Ins elterliche Wohnhaus konnte er allerdings nicht ziehen. Hier wohnten nunmehr 'Arier'. Auch die Mieteinnahmen enthielt der Staat dem völlig mittellosen Mann vor. Erst 1952 erhielt Kurt Rübsteck sein Haus zurück, und im Laufe des besagten 12-jährigen Rechtsstreit kam der Nachfolgestaat des NS-Regimes nicht umhin, ihm insgesamt 450 DM zu zahlen, für den Schätzwert des versteigerten Hausstandes und die Grundstückseinnahmen.

Dokumentiert ist der Vorgang zusammen mit zahlreichen ähnlichen Fällen in dem Buch "Betrifft: Aktion 3" von Wolfgang Dreßen, Alt-68er und heute Professor für Geschichte an der FH Düsseldorf. "Aktion 3", das war der Deckname für die Deportation der Juden während des NS-Regimes.

Nicht um die Deutsche Bank oder die IG Farben geht es in diesem Buch, auch nicht um Kaufhof, Horten oder den "Ochsensepp", den ersten bayrischen Justizminister Dr. Josef Müller. Anders als OMGUS oder Johannes Ludwig in ihren nicht minder wichtigen Publikationen, richtet Dreßen sein Augenmerk auf den kleinen Mann und die kleine Frau von der Straße, die in nicht geringer Zahl, wohl wissend, was sie tun, von der "Entjudung" profitierten, indem sie etwa den Hausstand ihrer soeben deportierten jüdischen Nachbarn günstig ersteigerten.

Die ermordeten Juden, so sagt Dreßen darum, sind nicht nur die Opfer der Industrie und der "da oben". Sie sind auch und nicht zuletzt "unsere Opfer". Dieses dezidiert alle Deutschen meinende Wörtchen "unsere" jedoch dürften heutige Schüler und Schülerinnen ohne nähere Erläuterung weder verstehen, noch werden sie sich in ihm wiederfinden. Wie sollen die ermordeten Juden ihre Opfer sein, wie sollen sie, die in den Achtzigern geboren wurden, schuld sein an dem vor mehr als fünfzig Jahren erfolgten Völkermord? Natürlich sind sie es nicht. Aber - und das ist ein großes Aber, ein Aber von schwerem Gewicht - aber sie können sich ihrer Verantwortung entziehen. Dann nämlich, wenn sie all das nicht interessiert, wenn sie von Enteignung, Deportation, KZs, Massenmorden und den großen und kleinen "Entjudungsgewinnen" nichts hören und nichts wissen wollen. Denn es gilt immer noch, "daß kein Fleckchen des alltäglichen Lebens in Deutschland Schicksal und Bestimmung der Juden ignorieren" kann, wie Dreßen Mario Offenberg zitiert. Darum eben, weil kein Fleckchen dieses alltäglichen Lebens davon unberührt ist!

"Heute genügt es, dass sich zwei Franzosen treffen, und eine Leiche ist zwischen ihnen", klagte Sartre sich und seine Landsleute während des Algerienkrieges an. Wir Deutsche haben uns einzugestehen, dass wir auf Massengräbern stehen.

Der größte Teil der die "Aktion M" betreffenden Akten in den Oberfinanzdirektionen der Bundesrepublik ist nach wie vor gesperrt. Einen kleinen Teil dieser "versteckten und verbotenen Erinnerungen" zugänglich gemacht zu haben, ist das große Verdienst Wolfgang Dreßens. Er hat ein absolut notwendiges Buch vorgelegt.

Titelbild

Wolfgang Dreßen: Betrifft: "Aktion 3". Deutsche verwerten jüdische Nachbarn.
Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1998.
253 Seiten, 20,40 EUR.
ISBN-10: 3351024878

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