Männer - das eigentlich unterdrückte Geschlecht

Ein nicht immer innovativer Gender-Reader von NachwuchswissenschaftlerInnen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gender Studies seien en vogue, meint einer der Beitragenden des vorliegenden Bandes. Das allerdings stimmt nur bedingt: Zwar steigt die Zahl der Publikationen zum Thema stetig an und hier und dort wird auch immer mal wieder ein neues Zentrum für Geschlechterforschung gegründet, andererseits jedoch betrachten Mainstream-Wissenschaftler und Feuilleton-Schreiber den Forschungsansatz immer öfter als ausgeschöpft und legen nahe, es sei Zeit, sich wieder anderen - wie insinuiert wird, eigentlich wichtigeren - Fragen zuzuwenden.

Glücklicherweise jedoch gibt es nach wie vor NachwuchswissenschaftlerInnen, die das anders sehen und sich dem Studium der Gender Studies verschreiben. Einige von ihnen haben sich im Berliner "Genderforum" zusammengetan. Denn "gender matters", wie Bettina Boekle und Michael Ruf zutreffend formulieren. Die beiden IntitiatorInnen des Forums haben dessen MitarbeiterInnen um Beiträge für einen Sammelband gebeten, der "Denkanstöße" geben und "eine veränderte, geschlechtersensible Perspektive auf bereits vorhandene und vielseitig diskutierte Themen eröffnen" will. Außerdem soll das Thema Gender "aus der reinen Wissenschaftswelt heraus und hinein ins gesellschaftliche Denken und Geschehen" getragen werden, um die "innovative[n] Ansätze und Ansichten junger Forschender einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen". Eine Publikation also, die sich nicht eben wenig vorgenommen hat. Fraglich ist allerdings, ob die HerausgeberInnen mit einem wissenschaftlichen Fachverlag die richtige Wahl für die angestrebte breitere Öffentlichkeit getroffen haben.

Zudem können nur wenige Beiträge das von den HerausgeberInnen gegebene Versprechen innovativer Ansätze und Ansichten einlösen. Nun sollte man von NachwuchswissenschaftlerInnen, die gerade das Diplom oder das Examen abgelegt haben, auch nicht unbedingt Innovationsleistungen der Spitzenforschung erwarten, doch müssen sich die Beiträge in diesem Fall auch an der viel versprechenden Ankündigung der HerausgeberInnen messen lassen. Und da ist zu konstatieren, dass die AutorInnen meist kaum darüber hinausgehen, die Ergebnisse anderer ForscherInnen zu referieren. Michael Ruf etwa beantwortet die Frage, "wie sich Filminterpretationen verändern, wenn Analysen neben Gender die Kategorie Race integrieren" anhand der Forschungsergebnisse anderer, wobei nicht immer ganz deutlich wird, wann er deren Analysen nur referiert und wann er sich ihnen anschließt. Eigene Gedanken steuert er kaum bei. In anderen Beiträgen zeigen sich überdies weitere Mängel. Unter dem Titel "Versuche der Eingrenzung von Grenzüberschreitungen männlich-weiblicher Erotik" etwa berichtet Dieter Dorn, dass Bisexualität in den 70er Jahren vorgeworfen worden sei, eine "andere Form von phallischem Imperialismus (Ausweitung der Schwanzmacht)" und eine "Steigerung der männlichen sexuellen Aggression" zu sein, ohne dass allerdings deutlich würde, wer diese Vorwürfe erhoben hat. Dorn entnimmt sie dem Artikel "Ich weigere mich Mann zu sein", den ein gewisser John Stoltenberg seinerzeit für die Zeitschrift "Mann-o-Mann" verfasst hat - offenbar allerdings, ohne sie selbst zu erheben. Vielmehr scheint er derlei Beschuldigungen distanziert gegenüber zu stehen. So recht deutlich wird dies bei Dorn allerdings nicht. Zu diesem Manko gesellt sich ein zweites: Die zitierten Anwürfe mögen zwar kritikwürdig sein, zumal in ihrer Diktion. Doch statt sich mit ihnen auseinander zu setzen, glaubt Dorn, sie mit einer Diffamierung erledigen zu können: Sie seien "nicht weit von Vorwürfen entfernt", die Bisexualität für die Verbreitung von Aids verantwortlich machen. Ansonsten beschränkt auch er sich weitgehend darauf, die Forschungsergebnisse anderer zu zitieren.

Gewisse Ausnahmen von der bloßen Reproduktion bereits erarbeiteter Forschungsergebnisse bilden die Beiträge von Daniele Hrsán, Stephanie Catani und Vanessa Watkins. Hrsán stellt mit TOSTAN nicht nur ein erfolgreiches Projekt im Kampf gegen Genitalverstümmelung an Frauen in Afrika vor, sondern untersucht verschiedene entwicklungstheoretische Ansätze unter dem Aspekt ihrer Aussagekräftigkeit bezüglich der "Schnittmenge von Geschlecht und Kultur im Kontext postmoderner und postkolonialer Kritik" und fragt danach, "welche Schlussfolgerungen sich daraus für den Umgang mit weiblicher Genitalverstümmelung in der Praxis ergeben können". Stephanie Catani zeigt, dass der Film "Femme fatale" den titelstiftenden Mythos nicht nur erneut kreiert, sondern zugleich dessen "imaginären Charakter" enthüllt. Vanessa Watkins untersucht den "Cyberspace als Spielwiese der Geschlechterkonstruktion", wobei sie diskurstheoretische Positionen mit einer mikrosoziologischen Perspektive verbindet. Denn, so die Autorin, erst gemeinsam können sie aufzeigen, "wieso wir im Jetzt-Zustand so hartnäckig an einem Geschlechterdualismus festhalten und wie dennoch zukünftiges Handlungspotential entstehen kann". Interessant ist vor allem ihre originelle Überlegung, dass Transsexuelle, obwohl sie den Geschlechterdualismus nicht kritisieren, sondern ihn im Gegenteil oft in besonderem Maße vertreten, dennoch als "Störfaktoren in unserer Wahrnehmung" fungieren, und so zu "potentiellen Unterwanderern der herrschenden geschlechtlichen Ordnung" werden. Gleiches gilt Watkins zufolge für die Genderswapper in den MUDs des Cyberspace.

Zu erwähnen bleibt noch der Beitrag Willi Walters, seines Zeichens Mitarbeiter an der Pilotstudie "Gewalt gegen Männer". Wie der Autor insinuiert, seien die Männer - zumindest in den Gender Studies - das eigentlich unterdrückte Geschlecht. Sein Lamento über die angebliche Benachteiligung des Forschungssubjekts Mann in der Genderforschung ist einer der Tiefpunkte seines Beitrags und des vorliegenden Buches insgesamt. "[I]n einigen Diskursen", raunt er, gelte es als "skandalös, wenn ein Mann auf eine 'Gender-Professur' berufen wird". Einen Beleg für seine nebulöse Behauptung führt er allerdings nicht an. Seine nächste Beschwerde gilt der vermeintlichen Vernachlässigung des Forschungsobjektes Mann in den Gender Studies, die er immerhin zu belegen versucht. Und zwar anhand des im Metzler Verlag erschienen Lexikons "Gender Studies Geschlechterforschung" (vgl. literaturkritik.de 03/2003). Zwar moniert er zu Recht, dass in den Einträgen "Orgasmus" und "Masturbation" nur die weiblichen Varianten beschrieben werden. Seine weitere Beweisführung jedoch kränkelt stark. So ist seine Hinweis, dass zwar die Klitoris einen Eintrag bekommen habe, nicht jedoch der Penis, sondern nur der Phallus, nicht sehr überzeugend, da mit den Schamlippen wiederum das von Luce Irigaray in den theoretischen Ring geworfene Pendant zu Lacans Phallus fehlt. Das allerdings scheint Walter entgangen zu sein. Überhaupt scheint er übersehen zu haben, dass es zahlreiche Einträge gibt, zu denen das 'weibliche' Pendant nicht aufgenommen wurde, wie etwa "männlicher Chauvinismus", "Männerfreundschaft", "Männergruppe" und "Männerphantasie", um nur einige zu nennen. Statt dessen klagt er, dass im Eintrag "Genitalverstümmelung" die männliche Genitalverstümmelung "wegdefiniert" werde. Dass Walter das Lemma "Kastrat" unterschlägt, wundert da schon nicht mehr. Besonders erregt er sich über den Eintrag "Gewalt (gegen Frauen)", da dieser "[m]it keinem Wort" erwähne, "dass Männer in den meisten Bereichen noch stärker von Gewalt betroffen sind als Frauen". Überhaupt würden "in weiten Teilen eines spezifischen feministischen Diskurses" Erkenntnisse darüber, "dass ein wesentlicher Teil der häuslichen Gewalt Jungen und Männer trifft, und dass ein Großteil dieser Gewalt von Frauen ausgeht", "ignoriert oder vehement bekämpft".

Zudem bringe die Genderforschung das Geschlecht "zum Verschwinden". Als "Mechanismen", mit denen dies bewerkstelligt werde, führt Walter an, dass die Frau die "Norm", der Mann die "Abweichung oder Ausnahme" sei. Es werde Geschlecht gesagt, wenn eigentlich Frau gemeint sei. Zudem werde "begrifflich vorgetäuscht, es ginge allgemein um Gender, wenn es inhaltlich nur um Frauen geht", wobei der Ausdruck "vorgetäuscht" deutlich macht, dass Walter böse Absicht unterstellt. Außerdem würden Männer "mit Methoden und Argumenten" aus der Genderforschung "ferngehalten, welche früher fast wörtlich gleich dazu benutzt worden, [sic!] Frauen den Zugang zum Wissenschaftsbetrieb zu erschweren". Eine Unterstellung, die derart abwegig ist, dass es einem schier die Sprache verschlägt. Und so wundert es auch nicht, dass er für sie keine Belege vorbringt. Er dürfte wohl auch kaum einen Text finden, in dem feministische Gender-ForscherInnen über den physiologischen Schwachsinn des Mannes schwadronieren. Auch ist nicht bekannt, dass sie die um 1900, also zur Zeit des hart umkämpften Frauenstudiums, virulente Sexismen, wie etwa die den Frauen unterstellte natürliche Schamhaftigkeit und schwächliche körperliche Konstitution, oder die bei wissenschaftlicher Betätigung zu befürchtende Unfruchtbarkeit des 'Weibes' mit umgekehrten Vorzeichen aufgreifen, um Männer von den Gender Studies fernzuhalten. Dass Männer, die Geschlechterstudien betreiben, zeugungsunfähig werden, war jedenfalls in noch keiner feministischen Schrift zur Genderforscherung zu lesen. Auch nicht, dass der wahre Beruf von Männern die Vaterschaft sei.

Titelbild

Bettina Boekle / Michael Ruf (Hg.): Eine Frage des Geschlechts. Ein Gender-Reader.
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004.
285 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3531142712

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