Zeitgeschichte in Briefen

Max Borns Briefwechsel mit Albert Einstein

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Einstein-Jahr 2005 liegt in der 3. Auflage ein Briefband aus dem Jahre 1969 wieder vor. Einige Vorbemerkungen sind nötig: Der Physiker Max Born (1882-1970) selbst arrangierte die Herausgabe des Briefwechsels mit seinem Freund Albert Einstein. Abgedruckt sind Briefe aus den Jahren 1916 bis 1955, dem Todesjahr Einsteins. "Ob es in den Jahren vorhergehenden Jahren einen Briefwechsel zwischen Einstein und mir gegeben hat," erläutert Born in einer kurzen Vorbemerkung, "kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, denn es ist nichts davon erhalten. [...] Vermutlich habe ich die Briefe damals überhaupt nicht aufgehoben." So bleiben die Informationen über das Zustandekommen der vorliegenden Ausgabe letztlich vage. Hinzu kommt, dass Born zuweilen die Briefe auch gekürzt hat. "Der Brief ist sehr lang und eingehend; ich habe ihn beträchtlich gekürzt" erfährt der Leser in einem solchen Fall. Bemerkenswert sind auch die Kommentare, die Born 1965 schrieb, teilweise sich dabei auf nichts anderes als "auf mein Gedächtnis" stützend. So sind die Angaben zu Personen und Umständen nur sehr bedingt brauchbar. Wichtig ist Born eine pädagogische Wegweisung: "Was mir diesen Brief besonders wertvoll macht, ist das Licht, das er auf Einsteins Leben und seine Persönlichkeit wirft." So wird der Briefband selbst zwar zu einer interessanten zeithistorischen Quelle, indes bleibt sie dem heutigen Leser ohne aktualisierte Anmerkungen nur bedingt zugänglich. Man möchte beispielsweise wissen, wer jener Journalist gewesen ist, dessen geplantes Buch über Einstein 1920 unter den Freunden soviel sorgenvolle Aufregung verursachte. Ebenso wäre es interessant zu wissen, wie sich bestimmte Grundsatzfragen der Physik in den letzten Jahren weiterentwickelt haben ...

Bis 1920 liegen nur Briefe Einsteins vor. Auffallend ist der leichte Ton, mit dem Einstein neben Privatem auch Politisches streift, etwa wenn er flapsige Sympathie für den "Bolschewismus" erkennen lässt oder sich optimistisch zum Völkerbund äußert. Bedrückend mutet der 'ganz normale' Antisemitismus jener Jahre an, von dem in den Briefen mehrfach die Rede ist. So berichtet Born aus dem Universitätsbetrieb anlässlich einer Personalfrage: "Ich möchte natürlich Stern haben. Aber Wachsmuth will nicht; er sagte mir: 'Ich schätze Stern sehr, aber er hat solch zersetzenden jüdischen Intellekt!' Bei einem Wissenschaftlertreffen in Bad Nauheim war, so erinnert sich Born, bereits 1920 von "deutscher" und "jüdischer" Physik die Rede. Damit sollte Einstein getroffen werden. Der reagierte einstweilen gelassen auf solche Angriffe: "Es ist mir ganz unbegreiflich, daß ich mich durch schlechte Gesellschaft so tief in Humorlosigkeit verloren habe." Born indes erkannte die Gefahr diffamierender Kampagnen gegen Einstein. Deshalb warnte er ihn vor einem Buchprojekt, für das Einstein einem befreundeten jüdischen Journalisten privat-persönliche Einblicke gestattet hatte: "Ich beschwöre Dich, mach es so wie ich schreibe. Andernfalls: Ade Einstein! Dann haben Deine jüdischen 'Freunde' erreicht, was die Antisemitenbande nicht gekonnt hat. [...] aber es geht um alles, was mir (und Planck, Laue usw.) teuer ist. Du verstehst das nicht, Du bist ein kleines Kind. Man liebt Dich, und Du mußt gehorchen; und zwar einsichtigen Leuten ...". Deutlich wird, wie sehr das geistige Klima in Deutschland bereits auf die kommende Naziherrschaft ausgerichtet war. Nach 1933, die Borns und Einstein waren bereits im Ausland, resümierte Einstein in einem ersten Brief: "Du weißt, dass ich nie besonders günstig über die Deutschen dachte ... ich muss aber gestehen, dass sie mich doch einigermaßen überrascht haben durch den Grad ihrer Brutalität und - Feigheit."

Bereits seit den frühen 20er Jahren 'stritten' sich Born und Einstein um die Bedeutung der Quantenmechanik. Im chaotischen Bereich der kleinsten Teilchen schien Einsteins Theorie ungültig. "Die Quantenmechanik ist sehr achtung-gebietend. Aber eine innere Stimme sagt mir, daß das noch nicht der wahre Jakob ist. Die Theorie liefert viel, aber dem Geheimnis des Alten bringt sie uns kaum näher. Jedenfalls bin ich überzeugt, daß der nicht würfelt." Und deshalb müsse es eine umfassende Theorie geben. "Du glaubst," schrieb Einstein dem Freund 1944, "an den würfelnden Gott und ich an die volle Gesetzlichkeit in einer Welt von etwas objectiv Seiendem, das ich auf wild spekulativem Weg zu erhaschen suche."

Auf eine interessante Widersprüchlichkeit in Einsteins Argumentation macht dabei übrigens Hedi Born - die schönen und feinsinnigen Briefe der Ehefrau Max Borns ergänzen den Briefwechsel - aufmerksam: "An den würfelnden Gott kann ich auch nicht glauben, aber ich kann mir auch nicht vorstellen, daß Du ... glaubst, daß die 'volle Gesetzlichkeit' bedeutet, daß alles vorbestimmt ist - z. B. ob ich mein Kind gegen Diphteritis impfen lasse etc." Auch Born greift diesen Aspekt auf: "... ich kann nicht begreifen, wie Du eine vollständig mechanistische Welt mit der Freiheit des ethischen Individuums vereinen kannst." Wenn auch für den Laien die Substanz des Streits nur ansatzweise nachvollzogen werden kann, so beeindruckt doch die noble Art der Auseinandersetzung. Beide Physiker 'streiten' auf Grundlage eines Bewusstseins ethischer und politischer Verantwortung. Während Born dabei sehr direkt die Vereinnahmung der Wissenschaft durch die Politik beklagt und einen ethischen Kodex begrüsst, klingt bei Einstein eine weise zurückhaltende Melodie an: "Das Gefühl für das, was sein soll und was nicht sein soll, wächst und stirbt wie ein Baum, und keine Art Dünger wird sehr viel dabei ausrichten. Was der Einzelne tun kann ist nur ein sauberes Beispiel geben und den Mut haben, ethische Überzeugungen in der Gesellschaft von Cynikern ernsthaft zu vertreten."

Seit 1953 lebten die Borns wieder in Deutschland. 1954 erhielt er den Nobelpreis. Nun "wurde meine Stimme gehört. Daraus entstand mir eine neue Lebensaufgabe." Born gehörte zu den Initiatoren der "Erklärung der Göttinger Achtzehn" gegen die atomare Aufrüstung in der Bundesrepublik. "Durch Vorträge, Radiosendungen, Fernseh-Diskussionen versuchte ich zu wirken. In England hätte eine solche Tätigkeit keinen Sinn gehabt. Das britische Volk ist politisch reif und braucht nicht Belehrungen ... Die Deutschen aber haben durch zwei verlorene Kriege und die Untaten einer verbrecherischen Regierung ihre nationale Tradition zerbrochen. Hier gab es die Möglichkeit einer Einwirkung."

Einstein kam nie wieder in das "das Land der Massenmörder". Er starb am 18. April 1955. "Mit ihm verloren wir, meine Frau und ich, den besten Freund", schreibt Born.

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Albert Einstein / Max Born: Briefwechsel 1916-1955. Mit einen Geleitwort von Bertrand Russell und einem Vorwort von Werner Heisenberg.
Buchverlage LangenMüllerHerbig, München 2005.
392 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3784429971

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