Wenn der Vater mit dem Sohne ...

August von Goethe im Briefwechsel mit seinem Vater

Von Antje PolanzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Antje Polanz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auch im Hause Goethe gab es Masern und Kindergeburtstag, und der Vater musste seinen Sohn trösten, wenn der vermeintlich vor Gesundheit strotzende wegen seiner auffällig roten Backen gehänselt wurde. Mit 40 wird August tot sein. 1999 wird sein Stammbuch aus Kindertagen aus "nicht rechtmäßigem Privatbesitz" für den Schätzwert von 70.000 Pfund bei Sothebys in London auftauchen und auf Intervention von Ex-Kulturstaatsminister Michael Naumann nach Weimar zurückfinden, nachdem es Hitler ein gutes halbes Jahrhundert zuvor für sein "Reichsmuseum" im Salzkammergut gelagert hatte ...

Der Reiz des jetzt erstmals vollständig vorliegenden Briefwechsels des Sohnes August von Goethe mit seinem Vater liegt in der lebhaften Paarung eines literatur- und kulturgeschichtlich sondergleich bedeutungsbehafteten Namens mit der Note des Profan-Alltäglichen, das mit der Geburt des Kindes 1789 in den außerordentlichen Dichterhaushalt einzog. Im lesenden Nacherleben versprüht es noch heute berührend etwas munter Vertrautes. Dabei war dem einzig überlebenden Kind seiner Eltern durchaus nicht nur zum Lachen zumute. Lange hat der "natürlich" geborene Sohn, über den von Anfang an viel getratscht wurde darauf warten müssen, dass der Vater sich endlich entschloss seine standesniedere Geliebte Christiane Vulpius zu ehelichen. Fast jeder Brief des Aufwachsenden beginnt mit dem Dank für gesendetes Obst und dem Ausdruck des Wartens auf einen ersehnten, nicht erreichbaren, so häufig abwesenden Vater. Wollte der Dichterfürst, der sein Kind zweifellos geliebt hat, sein schlechtes Gewissen mit erlesenen Früchten beruhigen?

Die Briefe zeigen einen beinahe ganz normalen Jungen - abgesehen von den ein und anderen Außerordentlichkeiten prominenter Herkunft -, an dem allem Anschein nach kein Genie verloren ging, dessen Spielgefährten die Kinder anderer Prominenter seiner Zeit, der Schillers, Herders und von Steins waren, deren Eltern sich alle in seinem Stammbuch verewigten, der im klatschsüchtigen Weimar unter besonderer Beobachtung stand und diese verdächtig roten Backen hatte, die mutmaßlich ein schlechtes Omen für seinen frühen plötzlichen Tod sein sollten. Ein Zusammenhang mit der Blutunverträglichkeit der Eltern gilt als wahrscheinlich.

August, das wird deutlich, zeigt eine bereitwillige, scheinbar nahezu grenzenlose Verehrung für den Vater, der umgekehrt am Tun seines Sohnes aufrichtig Anteil nimmt, sich um dessen solide (Aus-) Bildung bemüht und ihm gegenüber ungewohnt ungeschminkte Töne fallen lässt, wenn er sich fast diebisch über einen Brief von August freut, da "ich wirklich seit einigen Tagen briefdurstig bin [...] habe ich (doch) die ganze Zeit meines Hierseins von Freunden nichts weiter vernommen [...]" oder eingesteht: "[...] habe nun auch gar niemand dem ich sagen könnte, wie mir zu Muthe sey". Dass diese raren Offenherzigkeiten für den Sohn bestimmt sind, von einem Vater, der auch private Briefe schon ganz in dem Bewusstsein schrieb, eine Person bleibenden öffentlichen Interesses zu sein, spricht für sich. Doch ist viel vom "Bitte erledigen" die Rede, reiht sich der erwachsene August als "Vertreter, Vertrauter, Vermittler" des Vaters nahtlos in das Heer dienstbarer Geister ein, die der Dichterfürst so gerne um sich hatte und zu denen er bisweilen besonders nett sein konnte. Wie sich das Vater-Sohn-Verhältnis ausgenommen hätte, hätte auch August sich zu Höherem berufen gefühlt, sei dahin gestellt. Konkurrierende Bestrebungen seiner Umgebung trafen bei Goethe bekanntlich selten auf Wohlwollen.

"Klar bleibt jedoch, dass August seine Bedeutung und Wichtigkeit vor allem dadurch gewinnt, dass er auch wesentlich dazu beigetragen hat, dass Goethe das sein und werden konnte, was er ist [...]". Die in ihrem Vorwort nicht wertende aber weitere Untersuchungen anregende Haltung der Herausgeberin Gerlinde Ulm Sanford wider die festgefahrene, sicherlich zu simple "Opfertheorie" ist zweifellos begrüßenswert. Dass endlich auch der Sohn Goethes an Profil gewinnt, war längst überfällig. Nur wenige seiner Briefe lagen bisher vor. Die sich in einen benutzerfreundlichen Text- und Kommentarband mit Register gliedernde Kassette, die die Jahre 1793 bis 1830 umfasst, macht nun ein ganzes, wenn auch kurzes Leben nachvollziehbar, nicht zuletzt dank der beachtlichen mitunter regelrechten Sysiphus-Arbeit der Herausgeberin und manch anderer gemeisterter Herausforderungen. Ein Bemühen, das offensichtlich seinen leider ganz und gar nicht benutzerfreundlichen Preis hat.

Titelbild

Gerlinde Ulm Sanford (Hg.): Goethes Briefwechsel mit seinem Sohn August. 2 Bände.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2005.
1732 Seiten, 99,99 EUR.
ISBN-10: 3740012005

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