Die Rückkehr des Pathos und das Ende der Demokratie

"Der Eisvogel" - ein Roman des Bachmann-Preisträgers Uwe Tellkamp

Von Christian SchneiderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Schneider

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Was bist du, was kannst du, was hast du aus deinem Leben gemacht?" Wiggo Ritter, ein junger Mensch aus bestem Hause und mit hervorragenden Anlagen, bräuchte sich eigentlich nur zu fragen, welche Uhr am besten zum Marken-Hemd passt und wo die angesagteste Party der Stadt läuft. Aber Wiggo Ritter pfeift auf ein Leben in Mittelmaß und Beliebigkeit und findet sich deshalb als Ich-Erzähler in Uwe Tellkamps Roman "Der Eisvogel" bereits auf der ersten Seite mit schwersten Verbrennungen in der Berliner Charité wieder, wo er seinem Anwalt erklären muss, weshalb er einen Menschen erschossen hat.

Der 1968 in Dresden geborene Uwe Tellkamp ist als Sieger des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbes 2004 in das wohlwollende Bewusstsein der literarischen Öffentlichkeit eingetreten und erhaben über den Verdacht, ein Pop-Literat zu sein. So nimmt es nicht Wunder, dass in seinem aktuellen Roman von Beginn an die poetischen Sprachbilder eine pathetische Aura beschwören. Der intelligent eingesetzte Perspektivenwechsel vom Ich-Erzähler, der einem imaginären Anwalt seine Lebensgeschichte diktiert, zu Interviews von Freunden und Bekannten des Protagonisten tut ein Übriges, um sich von der ironisch gebrochenen postmodernen Erzählweise - die der Ich-Erzähler bis zu Brecht und Heine zurückführt - abzusetzen.

Die Sehnsucht nach wahren Gefühlen, nach Pathos, ist es, die den zurückblickenden Wiggo Ritter in die Fänge des elitären Ideologen Mauritz Kaltmeister und seiner verführerischen Schwester getrieben hat. Sein Widerspruchsgeist führt schon früh zu einem gestörten Verhältnis zu seinem dominanten Vater, einem einflussreichen und erfolgreichen Banker, der die Spielregeln des globalen Kapitalismus perfekt beherrscht. Gegen dessen Willen studiert er Philosophie, doch auch hier verbaut er sich seine hoffnungsvolle Karriere, indem er sich über die Regeln seines Professors hinwegsetzt. Mit Zynismus und intellektueller Überheblichkeit versucht er, in der Gesellschaft seinen Platz als Rebell zu behaupten. Schließlich glaubt er in dem charismatischen Mauritz einen Freund zu finden. Mauritz führt ihn in einen elitären Zirkel mit dem Namen "Cassiopeia" ein, der getragen wird von jungen, aufstrebenden Idealisten und älteren, solventen Mäzenen. Der Eisvogel dient als Wappentier dieser Weltverbesserer, wie es scheint "einer stolzen und stillen, im Hintergrund wirkenden Gilde miteinander verbundener Menschen, Naturwissenschaftler, Künstler, Politiker, Industrielle, denen die Werte des Humanismus noch etwas bedeuten".

Nach und nach entpuppt sich dieser elitäre Anspruch einer mit Schopenhauer gesprochenen "Despotie der Weisen und Edelen" als Basis einer terroristischen Vereinigung mit dem Ziel der Abschaffung der "schlaffen" demokratischen Strukturen, und so spitzt sich die Situation auf das tragische Ende hin zu.

Überzeugend an der Entwicklung der Personen ist die Suche nach neuen Ausdrucksformen der Persönlichkeit, die es erlauben, sich über die globalisierte Ökonomiezentrierung hinwegzusetzen, sich aber klar in eine Traditionslinie stellen lassen. Überzeugend vor allem deshalb, weil hier Form und Inhalt Hand in Hand gehen. Die Anknüpfung von "Cassiopeia" an die humanistischen Ideale spiegelt sich wider in wortreichen Ausführungen nicht nur des Bischofs, der als Teil der Gruppe die religiöse Elite vertritt. Die Forderung nach Pathos in Nachfolge von Shakespeare bis Tolkien wird durch Mauritz' Reden zur Genüge erfüllt.

Enttäuschend dagegen ist die wenig stichhaltige psychologische Glaubwürdigkeit der Person des "Edel-Terroristen" Mauritz, ebenso wie die der zahlenden Hintermänner und -frauen der Organisation. Hier beschleicht den Leser doch allzu oft das Gefühl der Konstruiertheit der Handlung, die Gefahr einer Terrororganisation von Elite-Menschen wirkt alles in allem aufgesetzt. Dabei gelingt es Uwe Tellkamp durchaus, überzeugende psychologische Motive auf- und auszubauen, wie die gelungene Ausarbeitung des Vater-Sohn-Konfliktes zeigt. Die großen Stärken des Buches liegen aber eindeutig in der poetischen Virtuosität des Autors. Bleibt zu hoffen, dass wir noch mehr von ihm zu lesen bekommen.

Titelbild

Uwe Tellkamp: Der Eisvogel. Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2005.
318 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3871345229

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch