Das große Dechiffrieren

Christoph Meckels lyrisches Prosakonzentrat zeitgenössischen Wütens

Von Katharina HübelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katharina Hübel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist zu spüren, dass Christoph Meckel in erster Linie Lyriker ist: Sein jüngster Erzählband "Einer bleibt übrig, damit er berichte" - dessen Titel bereits poetisch-rhythmisch anmutet - besteht aus sieben hochkonzentrierten, teilweise kryptischen Geschichten.

Der Ansatz ist originell: Meckel erzählt von dem Einzelnen inmitten eines Trümmerfelds der aktuellen Zeitgeschichte. Verneinung, Müll, Zerstörung und Tod sind die Kennzeichen der Umwelt, die meist ein rücksichtsloses Eigenleben führt. Das Individuum ist nicht aufgenommen in seine Welt, sondern Fremdkörper, ausgeworfen in eine feindliche Umgebung. Hinter den eigenwilligen Erzählungen mit ihrer poetisch-verklausulierten Symbolik lassen sich Schauplätze der Gegenwart erkennen: Sei es der Balkankrieg, das Morden zeitgenössischer Diktatoren in ungenannten Ländern, der Bürgerkrieg in Afrika ... - Folter, Hinrichtungen, Mord und Erschießungen sind keine Begriffe aus vergangenen Epochen, sondern nackte Gegenwart.

Meckels Stil ist es, nicht zu viel zu erzählen. Er berichtet nicht von Fakten, sondern malt zerstörte, demolierte Landschaften, in die er den Einzelnen setzt und ihn beobachtet. Beispielsweise den undefinierten Ich-Erzähler auf einer Inselkette, der feststellt: "Die Toten liegen in der Welt herum. Wo immer ich bin - ein Toter ist vor mir dort". Oder die Schilderung der "Präsidenteninsel", Herzstück einer Diktatur oder der Bericht von einem Monument in der Wüste oder die Erzählung aus der Kaserne. Meckels Orte sind so eigenwillig wie symbolisch. In diesem Ansatz der Verdichtung und einer konzentrierten Bildsprache beweist sich, dass der badische Autor in erster Linie einen lyrischen Ansatz verfolgt. Meckel erzählt nicht in Prosa, sondern komponiert den Erzählband, findet eine Sprache jenseits des genormten Deutschs, rhythmisiert seine Sätze.

So sehr diese Sprach- und Kompositionsgewalt beeindruckt, sie erschwert es zur gleichen Zeit, "Einer bleibt übrig, damit er berichte" so zu lesen, zu konsumieren, wie es der Leser von anderen Prosabänden gewohnt sein mag. Meckel schreibt nicht fürs schnelle Lesen, sondern zwingt den Leser zur Konzentration, zum permanenten Lesen zwischen den Zeilen und Dechiffrieren poetischer Codes.

Titelbild

Christoph Meckel: Einer bleibt übrig, damit er berichte. Sieben Erzählungen und ein Epilog.
Carl Hanser Verlag, München 2005.
264 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3446205721

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