Der Pfad der Erleuchtung

Doris Dörrie brilliert in ihrem Debütroman

Von Oliver GeorgiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Georgi

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fred Kaufmann ist Mitte vierzig, verheiratet, beruflich erfolgreich; zudem Vater einer Tochter und sollte somit ein glücklicher Mensch sein. Er ist es mitnichten: Er, der als junger Mann mehr schlecht als recht an der Filmhochschule studierte und letzten Endes doch 'nur' Besitzer einer Fastfood-Kette wurde, ist im Gegenteil höchst unzufrieden mit seinem Leben. Die Ehe mit seiner Frau Claudia droht zu scheitern, Claudia versucht, einen Ausgleich im Buddhismus zu finden, er selbst flüchtet sich in Affären. Freds Tochter hat sich nach einem Schwangerschaftsabbruch gar in einen tibetanischen Lama verliebt und sich in den Kopf gesetzt, ihm in ein südfranzösisches Buddhistenkloster nachzufolgen. Fred fährt gemeinsam mit seiner Tochter nach Südfrankreich, um über sie zu wachen, und - um sie "durch die Erfahrung des Alltags zu desillusionieren" - so das Erziehungsmotto der fortschrittlichen Eltern. Durch das spartanische Klosterleben, das er anfangs mit Abscheu und Belustigung betrachtet, findet Fred jedoch mehr und mehr zu sich selbst, findet zur Freude an seinem scheinbar so verkorksten Leben zurück und entdeckt seinen Sinn neu.

Doris Dörrie hat mit "Was machen wir jetzt?" ihren ersten Roman vorgelegt und zieht den Leser von Anfang an in ihren Bann. So ist es besonders Dörries schier unglaublicher Sprachwitz, der sich an vielen Stellen des Textes mit einem extremen Sinn für Situationskomik paart - man merkt der Autorin ihre Herkunft vom Film an. Sie versteht es blendend, Situationen wie durch das Objektiv einer Kamera einzufangen und darzustellen, und erreicht so in Verbindung mit ihrem Formulier- und Fabuliertalent eine ungewöhnliche Prägnanz und Schärfe der Bilder. Komplettiert wird das Lesevergnügen - und davon kann in diesem Fall wirklich die Rede sein - jedoch durch Dörries sprachlichen Witz und ihren oft beißend scharfen Sinn für skurril-komische Momente des Alltagslebens. Sei es die Schilderung von Freds Gefühlen und Gedanken beim Versuch, ein drohendes Versagen beim Geschlechtsakt abzuwenden, sei es die umwerfend komische Schilderung einer buddhistischen Übung im Yogasitz - diese Szenen treiben einem die Lachtränen in die Augen. Auf den zweiten Blick jedoch stimmen viele dieser Abschnitte auch nachdenklich. Denn Dörrie beschreibt auf komödiantische Art menschliche Zwänge und Zwiespälte, die uns allen bekannt sind; schildert mit scharfem Blick die Skurrilitäten des Alltages, die nur in Ruhephasen wie der sprichwörtlichen Abgeschiedenheit des Klosters zum Vorschein kommen und uns sonst kaum bewußt werden.

Der Roman korreliert somit auf brilliante Art und Weise eine komische und eine ernste Ebene. Die Entwicklung der Hauptfigur Fred von einem schwachen, zweifelnden und weichen Ehemann, der sich von seiner allzu starken Ehefrau lenken und durch das Leben leiten läßt, hin zu der Figur am Ende des Buches, die den Augenblick als das wahre Glück des Lebens erkannt und zu neuem Lebensmut gefunden hat, macht nachdenklich. Nachdenklich deshalb, weil der Leser selbst seine so festgefügte, sinnvolle Welt zunehmend als zu gradlinig und fragwürdig wahrnimmt.

Dörrie hat einmal gesagt: "Mich hat das Komische im Tragischen immer schon am meisten interessiert. Ich halte es für die einzig mögliche Form des Überlebens, wenn man seinen Sinn für Komik so weit entwickelt, daß man das, was in der Welt vorgeht, überhaupt ertragen kann."

Zwischen den Zeilen der flapsigen Komödie entfaltet Doris Dörrie so ihren Sinn für Zwischenmenschliches. Reflexiv und retrospektiv vermag sie die Lebens- und Sinnzweifel eines Mittvierzigers inmitten seiner Midlife-crisis darzustellen, auf behutsame, melancholische, nie jedoch aufdringlich psychologisierende Art.

Der Exkurs in den spirituellen Buddhismus wirkt jedoch teilweise, so könnte man anmerken, zu bemüht, besonders in einer Szene, in der Fred durch den Wald schlendert und sich schlagartig "vom Licht durchdrungen" und vom Buddhismus gefangen fühlt. Hier wirkt die plötzliche "Erleuchtung" etwas zu rasch, etwas zu simplifiziert. Diese Stellen gehören somit zu den schwächeren des Romans. Dem Lesevergnügen und der Leichtigkeit des Textes schaden sie jedoch nicht.

Doris Dörrie ist trotz geringer Schwächen ein brillianter Debütroman gelungen. Sie begeistert vor allem durch ihren hohen Sprachwitz, der das Buch zu einem Lesegenuß werden läßt.

Titelbild

Doris Dörrie: Was machen wir jetzt?
Diogenes Verlag, Zürich 2000.
301 Seiten, 20,40 EUR.
ISBN-10: 3257062273

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