Bei den Huzulen

Juri Andruchowytsch und seine "Zwölf Ringe"

Von Daniel HenselerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Henseler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Ukraine ist groß in Mode. Dies erklärt den Erfolg von Juri Andruchowytschs Roman "Zwölf Ringe" bei der Kritik (und vielleicht auch beim lesenden Publikum?) allerdings nur zum Teil. Ein anderer Grund dürfte auch in der hiesigen Feuilletonszene selbst liegen. Es ist nämlich schick geworden, osteuropäische Schriftsteller, oder noch besser: ganze Literaturen zu entdecken. Umso schöner, wenn dabei der westliche Kritiker seinem Leser wohlig erschüttert vermitteln darf, dass man im Osten auch fähig ist, postmodern zu schreiben. Ein Land nach dem anderen wird abgesucht und vermeintlich in die europäische Literaturlandschaft integriert. Es würde vor diesem Hintergrund wenig erstaunen, wenn wir bald literarisch Neues aus Kirgisien oder Usbekistan zu hören bekämen. Dass Literatur aus dem Osten des Kontinents hier nach wie vor oft nur dann eine Chance hat, wenn gerade entsprechende politische Konjunktur herrscht, ist bedauerlich. Zwar könnte man einwenden: "Immerhin!" Und doch...

Juri Andruchowytsch kennt man seit seinem Essayband "Das letzte Territorium" (dt. 2003) sowie dem Essay "Mittelöstliches Memento", der zusammen mit einem Text des Polen Andrzej Stasiuk unter dem Titel "Mein Europa" (2004) erschienen ist.

Während der so genannten "orangenen Revolution" Ende 2004 konnte man Juri Andruchowytsch oft in unseren Medien antreffen, seine Kommentare zur aktuellen Lage waren westwärts sehr gefragt. Nun ist sein erster Roman auf Deutsch erschienen. Wer Andruchowytschs Essays kennt, dem wird im Roman so manches nicht unbekannt sein, und dies gelegentlich bis ins Detail hinein. Auch das ist natürlich postmodern: Was man in einem Essay bereits gesagt hat, kann man später im Roman noch einmal vermarkten. Findet man also auch etwas im Roman selbst, was seinen Erfolg beim Feuilleton erklären könnte?

Auch wenn manche Kritiker vermeldeten, der Inhalt lasse sich nicht nacherzählen (Postmoderne verpflichtet!), so trifft dies nicht ganz zu. Zumindest eine grobe Handlungsstruktur kann man sehr wohl ausmachen: Karl-Joseph Zumbrunnen ist ein österreichischer Fotograf, der sich seit Anfang der 1990er Jahre immer wieder in der Ukraine aufhält. Hier hat er auch eine Geliebte, Roma Woronytsch, die gleichzeitig seine Dolmetscherin ist, vielleicht auch umgekehrt. Zusammen mit Romas Mann Artur Pepa, einem Schriftsteller, und einigen weiteren recht kuriosen Gestalten wird man von einem lokalen "Businessman" für ein paar Tage in ein Berghotel im äußersten Westen der Ukraine eingeladen, sozusagen unter dem Motto "economics meets culture". Der Beweggrund dafür wird zwar auch den Beteiligten nie so wirklich klar. Wesentlicher aber ist, dass es in den Bergen zu mehreren schicksalhaften Begegnungen kommt, in deren Folge das Geschehen seinen Lauf nimmt. All dies spielt sich in der Karwoche ab, Ostern bildet in verschiedener Hinsicht den symbolischen Höhepunkt der Ereignisse, allein schon deshalb, weil Zumbrunnen in der Nacht der Auferstehung schließlich dran glauben muss, sein Geist aber dann doch irgendwie weiterlebt.

Die einigermaßen unspektakuläre Grundhandlung wird allerdings mit einigem zusätzlichen Material angereichert. Zunächst einmal führt der Roman viel huzulisches Brauchtum und Folklore vor. Die Huzulen, die im ukrainisch-rumänischen Grenzgebiet siedeln, sind unter den Ukrainern so etwas wie die Appenzeller unter den Deutschschweizern. Noch etwas uriger, echter, eigener, in der Sprache noch ein wenig archaischer. Und doch ist nicht eindeutig nachgewiesen, ob sie von ihrer Abstammung her wirklich 'dazugehören'. Es fehlen hier weder das volkstümliche Kunsthandwerk (farbig bemalte Ostereier), noch das Kulinarische (in Form der einheimischen Maisspeise), noch etwa die Mythologie (der heilige Ilja schwebt in einer Himmelskutsche durch die Szenerie). All dies erfreut die Feuilletonisten, die noch mitten in Europa - daran zweifelt seit dem letzten Spätherbst ja niemand mehr - so schön Ursprüngliches entdecken dürfen. Dabei ist Andruchowytsch beileibe nicht der erste, der die Huzulen literarisch einzufangen versucht. Der Pole Stanislaw Vincenz (1888-1971) hat in seinem breit angelegten Werk "Na wysokiej poloninie. Obrazy, dumy i gawedy z Wierchowiny Huculskiej" (Auf der Hohen Alm. Bilder, Lieder und Erzählungen vom huzulischen Hügelland) schon seit 1936 diese Region besungen; nur ist das Werk eben leider bis heute nicht auf Deutsch veröffentlicht worden.

Ein zweiter Themenstrang durch die Rahmenhandlung ist die stete Anwesenheit des längst verstorbenen ukrainischen Dichters Ihor-Bohdan Antonytsch (1909-1937), der in verschiedener Gestalt immer wieder durch das Werk geistert, in Form von offenen und verdeckten Zitaten, aber auch durch eine fiktive Biografie, die ihm Andruchowytsch verpasst.

Daneben bringt der Roman viele Reihungen und Aufzählungen. Auch das ist eine ziemlich postmoderne Eigenschaft. Der Roman ist ein Schrottplatz, eine Abfallhalde, ein Sammelsurium von allem Möglichen, was der Autor auch gar nicht zu verleugnen scheint. Im Berghotel "Auf dem Mond" öffnet Zumbrunnen auf seinem ersten morgendlichen Streifzug Tür um Tür und trifft dabei auf allerlei Merkwürdiges. Das Hotel wird zum Museum, die Ukraine zur Rumpelkammer. Es tut dem Roman nicht immer gut, wenn so viel aufgezählt wird. Nicht alles ist dabei wirklich gelungen, auch wenn man immer wieder herzhaft lachen kann.

Doch was man bei der Lektüre vielleicht übersieht: Nicht das Ethnografische, nicht die postmodernen Schreibverfahren an sich (sie werden auch dann nicht neuer, wenn sie aus der Ukraine stammen) sind das eigentlich Interessante an diesem Roman. Es geht um etwas anderes. Zwar bedient Andruchowytsch westliche Erwartungen, wenn er dem Publikum quasi mit dem Gestus eines "Bitte sehr!" Folklore und Postmoderne anbietet: Der Roman als Gastfreundschaft. Aber Andruchowytsch ist ein ziemlich gerissener Autor. Er spielt eben auch mit den Erwartungen der Leserschaft. Er generiert anhand des Österreichers Karl-Joseph Zumbrunnen im Roman eine westliche Perspektive. Auch wenn Zumbrunnens Blick auf die Ukraine mitunter recht karikiert dargestellt wird, ist gleichwohl nicht sicher, dass man dies in Alteuropa immer bemerkt. Zu sehr ist das Feuilleton hierzulande mit dem Entdecken des Ostens beschäftigt. Und verhält sich in diesem Sinn letztlich gar nicht viel anders als Zumbrunnen: Auch Kultur entdecken zu dürfen, kann bisweilen etwas leicht Kolonialistisches an sich haben. Damit allein wird man aber der ukrainischen Literatur nicht gerecht.

Titelbild

Juri Andruchowytsch: Zwölf Ringe. Roman.
Übersetzt aus dem Ukrainischen von Sabine Stöhr.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
307 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3518416812

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