A la recherche de la domination masculine

Ein postum übersetzter Essay Pierre Bourdieus vermag nicht zu überzeugen

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Pierre Bourdieus in deutscher Übersetzung postum 2005 veröffentlichter Essay "Die männliche Herrschaft" ("La domination masculine", 1998) führt vor Augen, dass nicht jeder Text eines bedeutenden Autors gleich bedeutend sein muss. Angesichts der inhaltlichen Inkohärenz, der methodischen Inkonsistenz und Inkongruenz der Fragestellungen wirkt der Text streckenweise wie ein Torso oder unabgeschlossenes Skript aus dem Nachlass, und es erstaunt, dass dieses Buch in dieser Form überhaupt erschienen ist. Das Motiv für die Publikation bei den Editions du Seuil ist vor allem im alltagspolitischen Engagement des tätigen Intellektuellen Bourdieu zu suchen. Ähnlich wie die programmatische Publikation "Das Elend der Welt" ("La misère du monde", 1993) ist der Essay "Die männliche Herrschaft" keine methodisch präzise reflektierte, breit fundierte und stringent argumentierende soziologische Studie, sondern ein Buch, das auf Politisierung und sozialpraktische Konsequenz zielt.

Ausgehend von der Annahme, die "paradigmatische Form der 'phallo-narzißtischen' Sicht" präge "die verschiedenen mediterranen Gesellschaften (...(, nämlich Griechenland, Italien, Spanien, Ägypten, der Türkei, der Kabylei" gleichermaßen und legitimiere "eine gigantische symbolische Maschine zur Ratifizierung der männlichen Herrschaft", kommt Bourdieu im zweiten Kapitel zu der von der feministischen Forschung vor vierzig Jahren propagierten These, männliche Herrschaft konstruiere "die Frauen als symbolische Objekte, deren Sein (esse) ein Wahrgenommen werden (percipi) ist". Daher werde Weiblichkeit, so Bourdieu im dritten Kapitel, stets "der Sphäre des Scheins, des Gefallens zugeordnet". Diese Machtverhältnisse könnten, wie das immerhin lesenswerte "Postskriptum über die Herrschaft und die Liebe" darlegt, nur im Extrem der "amour fou", einer auf "völliger Reziprozität" basierenden Geschlechterbeziehung egalisiert werden.

Auch wenn Sonja Asal im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung vom 30. Mai 2005 in einer Rezension davor warnt, "den engagierten Intellektuellen 'Bourdieu' gegen den Wissenschaftler auszuspielen", muss auf die Fragwürdigkeit der Grundannahme dieses Buches hingewiesen werden. Die zentrale These des Textes, männliche Herrschaft tarne sich als biologische Selbstverständlichkeit, als anthropologische Konstante und habe sich so in die "kognitiven Strukturen eingeprägt", dass selbst "der versierteste Analytiker (ein Kant oder selbst ein Sartre, ein Freud oder auch ein Lacan...)" nicht "dagegen gefeit" sei, diese zu durchschauen, erweist sich als dogmatische Ideologie und leugnet jede intersubjektive Überprüfbarkeit. Bourdieus treuherzige Beteuerung, er hingegen habe sich dieses "gänzlich von Frauen monopolitische Gebiet" mit "größter Behutsamkeit" und "Sympathie" erschlossen, überzeugt so wenig wie das ganze medioker übersetzte und schlampig redigierte Buch. An der Bedeutung Bourdieus als Klassiker der Sozialwissenschaft und Kulturtheorie wird dieses Bändchen allerdings nichts ändern.

Titelbild

Pierre Bourdieu: Die männliche Herrschaft.
Übersetzt aus dem Französischen von Jürgen Bolder.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
211 Seiten,
ISBN-10: 3518584359

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