Blutende Bilder

Monika Beckers identifikatorische Hagiografie Niki de Saint Phalles

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

De Saint Phalle - schwer zu glauben, dass es sich bei dem Namen der berühmten Künstlerin nicht um ein feministisch inspiriertes Pseudonym handeln sollte. Und doch ist es so. Am 19. Oktober 1930 wurde die Mutter zahlloser selbst oft mütterlich wirkender "Nanas" unter eben diesem Namen geboren. Mehr noch, ihre Biografin Monika Becker erklärt es zur "fatalen Fehleinschätzung", Niki de Saint Phalle für eine Frauenrechtlerin zu halten. Vielmehr habe sie sich stets dagegen gewehrt, "ihre Weiblichkeit zugunsten eines falschverstandenen Feminismus aufzugeben", da sie "den männlichen Widersacher" benötigt habe, um sich "in ihrer umfassenden Weiblichkeit" an ihm zu messen. In Zeiten, in denen gender-theoretische Erkenntnisse nicht nur einem inner circle eingeschworener Gender-ForscherInnen vorbehalten sind, sind das nicht eben unbedenkliche Bekundungen. Unklar bleibt dabei, ob es sich tatsächlich um Auffassungen de Saint Phalles handelt oder um Mutmaßungen ihrer Biografin. Denn Becker verzichtet durchgängig auf Belege für ihre Behauptungen, womit bereits ein weiteres der nicht eben wenigen Probleme des Buchs benannt wäre. Konkurrierende Lebensbeschreibungen und Deutungen scheint die Autorin dabei allerdings nicht zu fürchten, nennt sie ihr Werk, das nun in aktualisierter Taschenbuchausgabe vorliegt, im Untertitel doch nicht etwa eine, sondern vollmundig "[d]ie Biographie".

Becker selbst dürfte die Unterscheidung zwischen eigenen Mutmaßungen und den Auffassungen und Ansichten Niki de Saint Phalles denn auch für vernachlässigbar halten, so umfassend ist ihre bewundernde Identifikation mit der Protagonistin. Dies macht schon ihr Brief an die "[s]ehr verehrte, hochgeschätzte Madame" deutlich, der dem Buch anstelle einer Einleitung vorangeht. Rückhaltlos huldigt sie hier der "ganze[n] überwältigende[n] Ausstrahlungskraft" Niki des Saint Phalles, die sie anderen gerne nahe bringen möchte, wobei sie den Leser "mit all seinen Sinnen" berühren will, damit er die gleiche "Wertschätzung für den Menschen hinter dieser monumentalen Kunst" empfinden möge wie sie selbst. Angesichts dieses Vorhabens ist es kaum noch vonnöten, der Adressatin ihre "äußerste Loyalität" zu versichern. Nicht ein "Fünkchen" zu den "bereits an die Öffentlichkeit gebrachten Informationen" hinzuzuerfinden und keine Passage zu schreiben, "die Sie verletzen könnte", verspricht sie der "faszinierendste[n] Künstlerin dieses Jahrhunderts" und zeichnet: "Ihre ergebene Bewunderin".

De Saint Phalle, die gemeinsam mit ihrem "zarte[n], charmante[n] Künstlergefährten" Tinguely der Kunstrichtung der "Nouveaux Réalistes" angehörte und in den 70er Jahren mit den Nanas berühmt wurde, errang ihre ersten Erfolge mit Kunstwerken, die gegensätzlicher kaum sein könnten. Sie schoss auf Bilder, um sie bluten zu lassen, und das in nahezu wörtlichem Sinne, hatte sie die Werke doch zuvor derart präpariert, dass die Geschosse in und hinter ihnen versteckte Farbbeutel zerfetzten, sodass die Farbe wie Blut über die Bilder lief. Sie schoss, so lautet Beckers Interpretation, "auf den eigenen Vater und auf sich selbst".

Aggressionen, die Becker plausibel damit erklärt, dass Niki de Saint Phalles Vater nicht nur seine Frau betrog, während sie mit Niki schwanger war, sondern schlimmer noch, die 12-jährige Niki später missbrauchte. Eine Traumatisierung, unter der de Saint Phalle fortan so sehr litt, dass sie Jahre später in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurde, in der sich ihr Martyrium fortsetzte. Der behandelnde Arzt malträtierte seine Patientin nicht nur mit Elektroschocks, sondern vernichtete zudem Beweismaterial für die Untat ihres Vaters, warnte den Täter und stand ihm mit Ratschlägen zur Seite, wie die Tat unentdeckt bleiben könnte.

Niki de Saint Phalle mag zu dieser Zeit also vielleicht wirklich bereit gewesen sein zu töten, wie ihre Biografin behauptet. Die Herkunft ihres Wissens verrät die Autorin allerdings nicht. Ebenso wenig erschließt sich, was an den Schüssen auf die Bilder "pazifistisch" gewesen sein soll, wenngleich man konzedieren muss, dass sie zweifellos weniger gewalttätig waren, als es Schüsse auf den Vater gewesen wären.

Für das Ende der Schießbilder-Phase bietet die Autorin zwei einander widersprechende Erklärungen an, ohne dass sie diese zueinander in Beziehung setzen würde. Meint sie zunächst, nach den "fundamentalen Erfahrungen" der Schießaktionen habe es für de Saint Phalle "keine innere Notwendigkeit mehr für eine weitere Fortsetzung" gegeben, so erklärt sie gerade mal drei Seiten später, die Künstlerin habe sich "so sehr in den Vorgang des Schießens hinein[gesteigert], daß sie es als orgiastisches Erlebnis empfand. Als Droge." Deren "ekstatische Wirkung" habe es ihr immer schwerer gemacht, von den Schießaktionen zu lassen. Zwar hätten sie ihr "Energie" gegeben. Doch da de Saint Phalle "keiner Sucht erliegen" wollte, habe sie diese künstlerische Phase "[a]brupt" beendet. An wiederum anderer Stelle heißt es, mit dem "gegenständlichen Repertoire" der Schießbilder habe Saint Phalle "ihre Erfahrungen, Ängste und Obsessionen definiert und nach außen gezeigt". Ihr "entschlossene[r] Wille zur Abkehr von der Gewalt" habe ihr zwar die "Kraft zur Neuorientierung" gegeben. Doch "[w]as folgte", sei "mit Entzug verbunden" gewesen, und dieser bedeute "Leiden". De Saint Phalle habe ihre Ängste und Obsessionen "mit Gewalt vernichten wollen und wäre so bald selbst zum Opfer geworden". "[I]hre Erkenntnisfähigkeit" habe sie jedoch vor "Schlimmerem" bewahrt. Dies ist nahezu das einzige Mal, dass Becker die rationale Seite ihrer Protagonistin hervorhebt. Ansonsten zeichnet sie de Saint Phalle vielmehr als Künstlerin, die "aus dem Gefühl heraus" geschaffen habe. Niki de Saint Phalle, hebt die Autorin mitfühlend an, "empfand mit der Weichheit der Linien und litt unter rationalen Geraden und rechten Winkeln" und fällt im nächsten Satz vom Präteritum ins dramatische Präsens: "Der rechte Winkel macht ihr Angst, sie hält ihn sogar für einen Mörder." Hätten "Rationalität und Intellekt" bei der Gestaltung ihrer Kunstwerke dominiert, habe sie sich "intuitiv" von ihnen ab- und "neuen ungelösten Problemen" zugewandt.

Ohne größere Umwege findet Niki de Saint Phalle nach dem Ende der Schieß-Aktionen zu einer Kunstform, wie sie ihrem bisherigen Werk gegenüber kaum unterschiedlicher sein könnte: den fröhlich-bunten Nanas, die Becker zufolge das "Prinzip für die Urweiblichkeit" verkörpern und "die Frau als Ursprung des Lebens glorifizieren", was die Autorin - ungeachtet ihrer Wortwahl - durchaus nicht kritisch meint.

Von de Saint Phalles weiteren Werken ist zweifellos der Tarot-Garten zu nennen, von dem Becker wohl nicht zu Unrecht sagt, dass es sich um das "monumentalste Projekt" handelt, "das sich eine Künstlerin je vorgenommen hat", wobei hinzuzufügen ist, dass dessen "tiefe spirituelle Qualität" allerdings nicht unisono goutiert wird. Der Garten ist Ausdruck eines Weges, der die einstmalige "militante Atheistin" immer tiefer ins Esoterisch-Mystische führte. Ein Weg, auf dem die Biografin ihrer Protagonistin nur zu gerne folgt.

Niki de Saint Phalles esoterische Neigungen schienen nicht in Widerspruch zu einer Spiritualität zu stehen, die auch den Glauben an Gott einschloss, der für sie - folgt man Becker - durchaus ein strafender war. So habe sie in ihrem bekannten Aids-Buch zwar behauptet, das niemanden die Schuld am Ausbruch der Krankheit treffe, doch habe sie sich insgeheim gefragt, ob Aids nicht vielleicht doch "eine göttliche Strafe" dafür sei, "daß wir das Universum ruinieren". Und, so lautet das unerbittliche Urteil der Autorin, "die Gesellschaft [...] hätte die Strafe Gottes verdient".

Gibt Becker ihrer Vorliebe für kitschige Formulierungen und schiefe Metaphern auf ihrem Weg durch Niki de Saint Phalles Leben immer mal wieder nach, so lässt sie Kitsch und Esoterik angesichts des Sterbens ihrer Protagonistin zu einer von ihr bislang nicht erreichten Klimax zusammenfinden. Zwar habe sich Niki de Saint Phalle zunächst gegen den Tod gewehrt. "Dann aber ließ sie los, entschwebte in ihren blauen Kosmos und gab damit ihrem Leben eine letzte Erfüllung". Sicher berichtet Becker auch hier ganz so, wie sie es eingangs versprochen hat, nämlich ganz "ohne auch nur ein Fünkchen hinzuzuerfinden".

Titelbild

Monika Becker: "Starke Weiblichkeit entfesseln". Niki de Saint Phalle - Die Biographie.
Ullstein Verlag, Berlin 2005.
272 Seiten,
ISBN-10: 3548605745

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