Eingeschlossen

Olga Flor lässt es in der Familienküche brodeln

Von Liliane StuderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Liliane Studer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Situation ist so neu nicht: Die Mutter - in Olga Flors Roman "Talschluss" heißt sie Grete - lädt die Familie zu ihrem 60. Geburtstag ein, und zwar aufs Land, in ein Bauernhaus, das speziell zu diesem Anlass eingerichtet wird. Mit von der Partie sind der Ehemann Ernst und die beiden Kinder, Thomas und Sabine. Dass beide ohne Partner kommen, ist einer der zahlreichen Schönheitsfehler in diesem Familienidyll. Thomas lebt getrennt von seiner Frau Gudrun, voller Zorn und Beleidigtsein schimpft er über emanzipatorisches Getue und die Selbstverwirklichungswünsche von Frauen. Doch bei seiner Mutter trifft er da nicht auf Gegenliebe. Denn Grete bietet selber Lebenshilfeseminare an. Sie belehrt denn auch gleich ihren Sohn, "du bist ein bisschen hart gegen Gudrun", worauf dieser seinerseits seine Mutter zurechtweist. Und so sind wir schon mitten drin in den Familienstreitereien, wie sie rasch aufbrechen, auch noch Jahre, nachdem die Kinder ausgeflogen und die Kontakte auf Geburtstage und Beerdigungen reduziert worden sind.

Warum Sabines Ehemann und Vater ihrer drei Kinder nicht dabei ist, wird nicht ganz klar. Eine allfällige Ehekrise wäre auch hier nicht auszuschließen, doch darüber herrscht Schweigen. Sabine konzentriert sich auf ihre Rolle als Mutter, für sie auch eine Möglichkeit, sich den familiären Zwistigkeiten zu entziehen.

Grete hat sich eigentlich alle erdenkliche Mühe gegeben, dass ihr Fest eine wahre Freude werde. Sie hat Katharina als professionelle Event-Managerin mit der Organisation beauftragt. Nur war Katharina mal Thomas' Freundin, was nicht ohne Folgen bleibt. Katharina, die Ich-Erzählerin, findet sich denn auch nur schlecht zurecht in ihrer Doppelrolle. Zwar versucht sie ihre Aufgabe zu erfüllen, doch lässt sich nicht ignorieren, dass sie mit dieser Familie noch ganz anders verbunden ist.

All diese Verknüpfungen, Verwirrungen und Störungen, die seit Beginn latent vorhanden sind, brechen ungeschützt auf, als am Morgen des zweiten Tages bekannt wird, dass in der nächsten Nachbarschaft die Maul- und Klauenseuche ausgebrochen ist. Das bedeutet, dass der Talzu- und -ausgang behördlich gesperrt werden müssen. Aus der Festgesellschaft wird eine Zwangsgemeinschaft, da gibt es kein Ausbrechen mehr. Und auch die kurzen erotischen Spielereien von Katharina mit Artur, dem Sohn von Thomas, sind letztlich nur Ausdruck dieser Langeweile, die zu überbrücken ist. Denn es gelingt den Familienmitgliedern nicht, dieses Zusammensein zu nutzen, sie scheitern vielmehr an der Unfähigkeit, sich für die anderen wirklich zu interessieren, miteinander ins Gespräch zu kommen, sich einzulassen auf Menschen.

Olga Flor stellt diese Huis-Clos-Situation in beklemmender Weise dar. Die 1968 in Wien geborene Autorin, die bereits mit ihrem ersten Roman "Erlkönig" auf große Resonanz gestoßen ist, hat eine ausgesprochene Begabung, die Zwischentöne zum Klingen zu bringen, oft in subtil dissonanten Klängen, sodass es schmerzt. Wenn zu Beginn die beiden Frauen Grete und Katharina noch allein sind, ergeben sich Gespräche, besteht die Hoffnung, dass etwas entstehen könnte auf dieser Geburtstagsfeier. Doch mit jeder weiteren Person, die ankommt, wird es unmöglicher. Und dies hängt nicht nur damit zusammen, dass diese Familienmitglieder aus völlig unterschiedlichen Lebenszusammenhängen kommen. Vielmehr ist es der Zwang, dass es "schön und harmonisch" sein muss, der über solchen Feiern lastet. Da ist schon bald klar, dass sich nichts mehr retten lässt. Und die Tierseuche besiegelt eigentlich nur noch ein Debakel, das eintreten musste. Dies offen zu legen gelingt Olga Flor beklemmend gut.

Titelbild

Olga Flor: Talschluss. Roman.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2005.
171 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3552053328

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