Kriegsbericht

Semezdin Mehmedinovic erzählt vom Zusammenbruch einer Welt

Von Heiko SeibtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heiko Seibt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schon der Titel "Sarajevo Blues" deutet an, welches Thema und welche Atmosphäre den Leser erwarten. In Form von Kurzgeschichten, Gedichten und kleinen Essays beschreibt Mehmedinovi´c den Alltag der belagerten Stadt unter den extremen Bedingungen des Krieges in Bosnien-Herzegowina. Seine Charakterisierungen bedienen sich dabei einer einfachen, präzisen Sprache, fern von Pathos und Selbstmitleid. Allein seine detaillierten Beobachtungen lassen die Erfahrungen seiner Figuren und ihre gänzliche Hilflosigkeit erahnen.

Das Buch erzählt vom Überleben in einer Stadt, "die nur von sehr traurigen Menschen verstanden werden kann" und von der Hoffnung auf das Ende des Krieges. Immer wieder tauchen Erinnerungen an "früher", an Friedenszeiten in den Erzählungen auf, und sie werden mit der Gegenwart verglichen, in der Alltäglichkeiten aufgrund der außergewöhnlichen Zustände intensiver erlebt werden. So groß die Unterschiede zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart auch sein mögen, im Bewußtsein der erzählenden und der erzählten Figuren liegen beide Zustände oftmals eng beieinander.

Die Beschreibungen des Erzählers machen die Stagnation und das Warten in einer zerstörten Welt spürbar. Dennoch vermeidet es Mehmedinovi´c, seine eigenen Gefühle direkt zu benennen, die in Situationen wie denen des Krieges, häufig nur pathetische Phrasen bilden würden. Stattdessen gibt er seine Beobachtungen und Erfahrungen ohne eine Spur von selbstgefälliger Bitterkeit wieder und ruft durch ihre Klarheit und Prägnanz Emotionen hervor, die er selbst nicht in Worte fasst.

Mehmedinovi´cs postmodern anmutendes Werk ist ein Kriegsbericht und eine philosophische Untersuchung zugleich. Es weist drei unterschiedlich komponierte Teile auf. Den ersten, mit dem Titel "Phantom der Freiheit" überschriebenen Teil dominieren Kurzgeschichten und Gedichte, der zweite Teil "Gestern 1&2" besteht aus Gedichten der achtziger Jahre, während der Schlußteil längere Prosastücke und kurze Essays enthält. Trotz dieser Vielfalt bleibt eine bedrückende Stimmung gewahrt, die der Titel sehr trefflich als "Blues" bezeichnet. Der Blues beinhaltet meist einen Verlust und den Wunsch nach Freiheit und Heimat, und er steht für eine Traurigkeit, die zwar gefühlvoll, doch gleichzeitig unsentimental ist, Attribute, die Mehmedinovi´cs "Sarajevo Blues" in sich vereint.

Titelbild

Semezdin Mehmedinovic: Sarajevo Blues. Aus dem Bosnischen von Harris Dzajic.
Hainholz Verlag, Göttingen 1999.
165 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3932622553

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