Die biedere Sprache der Emigration

Nadeschda Lazko über das Leben in einer untergegangenen Gesellschaft

Von Matthias AumüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Matthias Aumüller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist eine besondere Generation, die Generation von Leuten, die ihre Kindheit und Jugend in einer osteuropäischen Diktatur verbracht hat und nun im Westen in einer (für sie selbst meist) neuen Sprache davon berichtet. Der Titel "Sowjeto Vita" verspricht eine eigentümliche sprachliche Ausdrucksweise, die sich weder um die Usancen latinisierter Wendungen schert noch möglicherweise um andere sprachliche Gewohnheiten. Doch hält das Buch nicht, was der Titel verspricht. Die Erzählungen kommen in einer ziemlich biederen Sprache daher. Man merkt ihr zwar hier und da ihre russische Herkunft an, etwa wenn es heißt, dass die Eltern "uns mit meiner Schwester" in zwei Zimmern unterbringen würden, hätten sie eine größere Wohnung. Aber das ist wohl eher als Lapsus anzusehen. Denn Lazkos Intention ist nicht das Spiel mit den Idiomen, sondern wohl eher, den deutschen Leser mit einer vergangenen Kultur bekannt zu machen, die alles andere als untergegangen ist.

Und so ist die zitierte Textstelle noch in einem anderen Sinne bezeichnend. Sie zeigt das didaktische Ziel von "Sowjeto Vita". In diesem Fall: Lieber deutscher Leser, in der Sowjetunion war es nicht unüblich, dass eine vierköpfige Familie in einer Zweizimmerwohnung lebte. Und wir werden auch über andere Details aufgeklärt: über den Zustand von öffentlichen Toiletten, über die Zustände in Krankenhäusern, Kinderheimen und in der Schule und über die Nachwirkungen von Tschernobyl. Das ist sicherlich alles verdienstvoll und, je nach Kenntnisstand des Lesers, auch ganz interessant. Aber es ist sicherlich nicht alles, wofür man als Autor gelobt werden will.

Vielleicht ist es der Autorin darum zu tun, das Lebensgefühl zu vermitteln, das noch existiert, wenngleich die Gesellschaft, in der es geboren wurde, sich längst gewandelt hat. Aber es scheint, auch die Erzählerfiguren, an die die Autorin ihre diesbezüglichen Überlegungen delegiert, sehen diese Gesellschaft eher von außen als von innen. Selbst diejenigen Erzähler, die als Kinder konzipiert sind, vermitteln ein Gefühl großer Distanz zum sowjetischen Dasein. Insofern ist das Buch kein nostalgisches Erinnerungsbuch, das sich selbstgenügsam eine Welt bewahrt, sondern eines, das auf die Bedürfnisse und Erwartungen einer westlichen Leserschaft hin angelegt ist.

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Nadeschda Lazko: Sowjeto Vita. Erzählungen.
buchfein-Verlag, München 2004.
112 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3937913009

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