Der Mohr und die Hauptmannstochter

Aleksandr Puškins Die Romane in neuer Übersetzung

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Puškins Erzählungen spielen meist in seiner Gegenwart, der Mitte des 19. Jahrhunderts. Mit seinen Romanen dagegen wendete er sich der russischen Geschichte zu. Von der zaristischen Obrigkeit wurde diese nach Belieben verfälscht: Um die Erinnerung an den Aufstand Pugacevs aus dem öffentlichen Gedächtnis zu tilgen, ließ Katharina II. gleich einen ganzen Fluss, den Jaik, in "Ural" umbenennen. Gegenüber diesen schon Orwellschen Verhältnissen im zaristischen Russland bestand Puškin auf kompromissloser Schilderung der Wahrheit: Der historische Roman sollte die Geschichte in einer zwar erfundenen, die Tatsachen aber nicht verfälschenden Erzählung lebendig machen. Für die Recherchen zu seiner Geschichte Pugacevs reiste er in die damals rebellierenden Gouvernements. In den wenigen Wochen, die ihm der Zar für die Reise gestattet hatte, arbeitete er unermüdlich, durchwühlte Archive, trug einen Berg von Material zusammen, interviewte die letzten noch lebenden Zeitzeugen. Seiner daheimgebliebenen Frau schrieb er: "Ich fand eine 75jährige Kosakenfrau, die sich an diese Zeit erinnert, wie wir beide uns an das Jahr 1830 erinnern. Ich bin nicht von ihrer Seite gewichen, tut mir leid: an Dich habe ich nicht einmal gedacht. Jetzt hoffe ich, vieles zu ordnen, viel zu schreiben, und dann - mit meiner Beute zu Dir."

Aus diesen historischen Studien erwuchs der Plan für seinen Roman "Die Hauptmannstochter". Er bot Puškin die Möglichkeit, die historischen Erkenntnisse anders zu bewerten. Der von der zaristischen Regierung als Staatsverbrecher verfemte Anführer der Rebellen Pugacev erfährt eine bislang nicht gekannte gerechte Einschätzung. Den roten Faden bilden die Erlebnisse eines jungen Adeligen, der auf seiner Reise in die südliche Steppe von den Aufständischen gefangen genommen wird und sich in die Hauptmannstocher verliebt. Dagegen liegt dem "Mohr Peters des Großen" auch ein autobiographisches Interesse Puškins zugrunde, handelt es sich bei diesem "Mohren" doch um einen seiner Vorfahren, einen abessinischen Fürstensohn, der Peter dem Großen "geschenkt" worden war. Das Romanfragment "Dubrowskij" kann als der russische "Michael Kohlhaas" gelten: Der junge Dubrowskij nimmt Rache für das ihm und seinem Vater von einem Adeligen angetane Unrecht - mit juristischen Winkelzügen waren sie um ihren Gutsbesitz betrogen worden. In allen Romanen geht es um die Spannung zwischen Zar und Adel auf der einen und dem Volks auf der anderen Seite. "Gnade uns Gott", schrieb Puškin in prophetisch-visionärer Erkenntnis, "in Russland einen Aufstand zu erleben - sinnlos und erbarmungslos. Diejenigen, die bei uns unmögliche Umwälzungen aushecken, sind entweder zu jung und kennen unser Volk nicht, oder es sind Menschen mit bereits verhärtetem Herzen, für die ein fremder Kopf ein Kopf ist und denen auch der eigene Hals nichts gilt."

Titelbild

Alexander S. Puschkin: Die Romane. Die Hauptmannstocher, Der Mohr Peters des Großen, Dubrovskij. Einschließlich der Pläne, Entwürfe und der wichtigsten Varianten mit einem Nachwort und Anmerkungen. Neu übersetzt und kommentiert von Peter Urban.
Friedenauer Presse, Berlin 1999.
480 Seiten, 25,10 EUR.
ISBN-10: 3932109139

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