Sehnsucht - das Lebenselixier der Liebe

Emma Godeaus Essay "Einer wartet immer"

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wir alle tun es, immer wieder und unser Leben lang, denn es ist "konstitutiv für die menschliche Kultur": Warten. Das zumindest behauptet Emma Godeau. Wie der Verlag verrät, handelt es sich bei dem Namen um ein Pseudonym, offenbar mit Bedacht gewählt, denn es erlaubt Assoziationen an Madame Bovary und Godot. Vorwiegend anhand literarischer Figuren, aber auch an Beispielen von Filmhelden wie Rick aus "Casablanca" oder mit Hilfe der Philosophen Walter Benjamin und Martin Heidegger geht die Autorin (oder verbirgt sich gar ein Mann hinter dem weiblichen Pseudonym?) in dem kurzweiligen und anregenden Essay der Vielfalt des Wartens nach: dem Warten von Menschen und Nationen, dem im Exil und dem auf den Tod, auf nichts und das Nichts, und auf die vielen kleinen Notwendigkeiten des Alltags, insbesondere aber dem sehnsüchtigen Warten der Liebenden. Und wenn Hemingway eingangs seinen Albert warten lässt, ist eigentlich fast schon alles gesagt.

"Liebe will immer mehr, sie bleibt immer bedürftig", und darum gehört das Warten zu ihrem Wesen. Männer aber warten anders als Frauen, meint jedenfalls Godeau. Ihnen sei es eher eine Qual, während Frauen es leichter hinnähmen. Das mag dahingestellt sein. Nicht unwidersprochen bleiben kann allerdings die Mutmaßung, dass dieser Unterschied "vielleicht biologisch vorgegeben" sei. Doch diese Vermutung relativiert Godeau selbst implizit, wenn sie (oder er?) ausführt, dass die duldsame Art zu warten der Rolle entspricht, die Frauen im Alltag zugewiesen wird: sich nämlich "ruhig zu verhalten und auf die von Männern bestimmte Geschichte zu reagieren, ohne in sie einzugreifen". Penelope am Webstuhl ist ihr eine hervorragende Kronzeugin.

Ebenso fragwürdig wie die revidierte Vermutung, die geschlechtsspezifischen Unterschiede des Wartens seien biologisch bedingt, ist die These, dass Männer so recht eigentlich überhaupt nicht warten. Will Godeau am Ende die Lesenden mit dieser Behauptung auf eine falsche Fährte ihr/sein Geschlecht betreffend führen? Denn Männer sollten es eigentlich besser wissen, aus eigener leid- und auch lustvoller Erfahrung. Sogar der von Godeau selbst angeführte Supermacho, Hemingway, dementiert die These mit seinem wartenden Albert.

Für die Liebe, so Godeau, ist das Warten "nicht hoch genug" zu schätzen. Denn sie selbst ist nie von langer Dauer. Bestand vermag ihr allein "der Widerstand, der Umweg, die Verhinderung" zu verleihen: das Warten eben. Dem mag man gerne zustimmen. Wenn dem aber so ist, gibt es dann - entgegen Godeau - die dauerhafte, ja ewige Liebe nicht doch, wenn auch als unerfüllte nur? Und die soll ja gar nicht so selten sein.

Sehnsüchtiges Warten ist also das Lebenselixier, von dem die Liebe zehrt. Doch kennt sie auch eine erbarmungswürdige, jämmerliche Variante. Ihr schenkt Godeau ein besonderes Augenmerk. Es ist das Warten der Geliebten, der Dritten im Bunde. Sie verkörpert die Passivität schlechthin: "Sie ist nicht Geliebte, sondern ihr Liebhaber hat sie zur Geliebten". Er allein bestimmt die Regeln und sie, die Hörige, befolgt sie bis zur Selbstaufgabe und der Vernichtung ihrer Persönlichkeit. Bei alldem weiß die Geliebte nur zu genau, dass all ihr Hoffen, Bangen und Warten nichts anderes als "Selbstbetrug" ist. Und dennoch hat sie ihre "erbärmliche Rolle [...] für sich akzeptiert". Zwar liege daher, so Godeau, die Annahme nahe, dass jede Geliebte mit ihrer Neigung zur Selbstzerstörung eine Masochistin sei. Doch weist sie (oder doch er?) diese Unterstellung zurück, da gerade die Geliebte oft eine ausgesprochen aktive Frau mit "Durchsetzungskraft, Rationalität und Selbstbestimmung" sei. Umso unfassbarer für Godeau, dass sie sich "mit Haut und Haaren" an den Mann, den sie liebt, verliert.

Titelbild

Emma Godeau: Einer wartet immer.
Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1999.
108 Seiten, 12,30 EUR.
ISBN-10: 3351027966

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