Auf den Spuren des übermächtigen Vaters

Hanns-Josef Ortheils Roman "Die geheimen Stunden der Nacht"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Familienromane scheinen wieder en vogue zu sein. Nach John von Düffel und Sibylle Mulot hat nun auch Hanns-Josef Ortheil ein opulentes Familienepos vorgelegt. Doch Ortheils erzählerischer Radius ist weit größer als der Mulots und von Düffels. Der 54-jährige Autor, der in den letzten Jahren mit seiner im 19. Jahrhundert angesiedelten Romantrilogie große Erfolge feierte, liefert nicht nur ein von feinen Intrigen geprägtes Familienportrait, sondern auch noch ein liebevolles Panorama seiner Geburtsstadt Köln und einen mit viel Ironie versehenen Einblick in den Verlags- und Literaturbetrieb.

Die schwungvoll erzählte Handlung dreht sich um die Verlegerfamilie von Heuken. Der Senior hat nach dem Zweiten Weltkrieg mit List und Geschick ein weit verzweigtes Imperium aufgebaut, dem er mit patriarchalischem Regiment vorsteht. Seine Kinder Georg (der Protagonist des Romans), Christoph und Ursula arbeiten zwar im Verlag, stehen aber deutlich im Schatten ihres Vaters. Als der alte von Heuken, der ein klein wenig an den langjährigen Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld erinnert, seinen zweiten Herzinfarkt erleidet und die Firmengeschäfte nicht mehr wahrnehmen kann, bricht nicht nur ein organisatorisches Chaos, sondern auch ein unerbittlicher Kampf um die Nachfolge aus, in den sowohl die Familie als auch viele Verlagsangestellte verstrickt werden.

En passant muss Georg, mit Anfang fünfzig das älteste von Heuken-Kind, erfahren, dass sein Vater offensichtlich ein Doppelleben geführt hat. Seine Ehe war schon vor einigen Jahren zerbrochen, (die Mutter wohnte bis zu ihrem Tod in einer schäbigen Drei-Zimmerwohnung) nun hatte er offensichtlich auch seinen Lebensmittelpunkt von seiner Villa in ein Kölner Nobelhotel verlegt. Dort, wo er (so erfahren wir später) sich seit geraumer Zeit mit einer jungen Frau traf, ereilte ihn auch die zweite, folgenschwere Herzattacke.

Georg von Heuken, ein sportlicher, großgewachsener Sportwagenfahrer, sieht sich als ältester Spross der Familie in der Pflicht, die Geschäfte weiterzuführen. Dabei stößt er auf reichlich Vorbehalte, nicht nur bei seinen Geschwistern, die in Tochterunternehmen in Stuttgart und Frankfurt tätig sind.

Er trifft auf die von Ortheil humorvoll skizzierten Typen, die den Alltag seines Vaters prägten und die er zuvor nur flüchtig kannte. Wem kann er vertrauen? Diese Frage beschäftigt Georg, den Vater zweier Kinder im Teenager-Alter, am heftigsten. Verlassen kann er sich auf Joana, seine langjährige, unverheiratete Sekretärin, mit der er sich auch auf eine kurze Romanze einlässt.

Neben den emotionalen Turbulenzen, die sich wie ein roter Faden durch den Roman ziehen, liefert Ortheil einen amüsanten Blick hinter die Kulissen des Literaturbetriebs. Wir erfahren allerlei über so genannte Mischkalkulationen - die Finanzierung schwer verkäuflicher Titel durch die Überschüsse aus Bestsellergeschäften -, über Autoreneitelkeiten, Honorarverhandlungen und die wachsende Bedeutung von Agenten, und zwischen den Zeilen schwingt Wehmut über den Verfall konzernunabhängiger Literaturverlage mit.

Bei der Zeichnung der Nebenfiguren läuft Hanns-Josef Ortheil zu absoluter Höchstform auf. Ob der divenhafte Star-Autor Hanggartner, der an einem Roman über die Liebe eines betagten Schriftstellers zu einer jungen Buchhändlerin arbeitet, nun tatsächlich Martin Walser nachempfunden wurde, ist absolut sekundär, denn im Vordergrund steht der exemplarische Charakter des leicht exzentrischen Schriftstellers. Wir begegnen überdies Liesel Burger, der fürsorglich-mütterlichen Hausangestellten, die seit mehr als 50 Jahren für von Heuken senior gearbeitet hat und bei der sich nun ein Gefühl der Überflüssigkeit einstellt; da ist Peter Feil, ein zwielichtiger Journalist, der an einer Biografie über den Verlagschef arbeitet; der Cheflektor Bayermann scheint einen Karrieresprung zu wittern; und die juvenil auftretende Agentin Lina Eckl versucht, Georg mit den Mechanismen der Medien vertraut zu machen.

Dieser Figur (das ist bei der Lektüre zu spüren) steht Ortheil mit den meisten Vorbehalten gegenüber. Sie ist eine gerissenen Geschäftsfrau, die ein Produkt (Autor) am Markt platzieren will und mit Literatur nur wenig am Hut hat. Positive, interessante Autorenfotos propagiert sie als das verkäuferische Non-Plus-Ultra.

Georg von Heuken wandelt am Ende ein wenig in den Fußstapfen seines Vaters. Er findet trotz der labyrinthischen Pfade, die sich ihm im Verlag auftun, den Weg zum Ziel - zum Chefsessel. "Eine so starke Rolle wie Vater kann er nicht spielen, er ist ein ganz anderer Typ, vor allem aber ist er ein Mann, dem man noch keine Gelegenheit gegeben hat, zu seiner Höchstform aufzulaufen." Die Buchmesse steht an, die Kartons sind gepackt, ebenso der Reisekoffer. Von Frankfurt aus soll es direkt zum Ausspannen nach Venedig gehen. Als Begleiterin hat sich Georg die junge Jana ausgewählt, die heimliche Geliebte seines Vaters.

Gönnen wir ihm dort mindestens ebenso viele vergnügliche Stunden wie die Lektüre dieses Romans von Hanns-Josef Ortheil bereitet hat.

Titelbild

Hanns-Josef Ortheil: Die geheimen Stunden der Nacht. Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2005.
384 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-10: 3630871747

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