Die Macht der Bilder

Medienkritik und Visualitätsskepsis im Werk von John Fowles

Von Alexandra HildebrandtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexandra Hildebrandt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In einer Zeit der Flüchtigkeit, des visuellen Trommelfeuers, das den Blick derart zu verwirren droht, dass dem Bewußtsein die Aufgabe eines Reizschutzes gegen den "Schock der Moderne" zukommt, bedarf es einer Kritik des Sehens und der Medien, eines neuen Verständnisses von der Wirklichkeit des Bildlichen.

Bilder: Fernsehbilder, Gemälde, Spiegelbilder, Frauen- und Männerbilder, Photographien, Simulationen, Zerrbilder. Was macht diese Bilder zu Bildern? Wie verhalten sich Abbildung und Wirklichkeit, Kunst und Leben, Blick und Macht zueinander? Sehen Frauen anders als Männer? Zeugt die Medienkritik des sowohl sozialkritischen als auch philosophie- und literaturgeschichtlich gebildeten Autors John Fowles (geboren 1926), der sich in der Regel ablehnend zu den Medien Film und Fotografie geäußert hat, von einer humanistisch-patriarchalen Kunstauffassung und von Blindheit gegenüber der kreativen Nutzung des Bildes? Oder stellt sie eine literarisch-produktive Funktionalisierung von Stereotypen und Vorurteilen dar? Die Studie von Stefan Horlacher antwortet auf diese Fragen. Sie enthält Aspekte (s)einer sehr persönlichen Kultur- und Medienkritik, deren theoretische Grundlagen vor allem seit den 80-er Jahren des 20. Jahrhunderts von Theoretikern wie Jean Baudrillard, Umberto Eco und Paul Virilio diskutiert werden.

Absicht der Untersuchung ist es, anhand einiger narrativer Texte, die zwischen 1969 und 1977 entstanden sind, darzulegen, dass die Thematik der (metaphorischen Konzeption von) Visualität, die hier sehr weit gefaßt wird und mitunter dort beginnt, wo eine konventionelle Optik versagt, von der Fowles-Kritik bislang fast völlig ignoriert wurde. Um ihre Bedeutung für jeden Text aufzuzeigen, wurden sowohl "The French Lieutenant`s Woman" als auch "The Ebony Tower" und "Daniel Martin" auf die besondere Rolle hin untersucht, die Blicke, Augenkontakte und Metaphern der Visualisierung im Text spielen. Unter dem Stichwort "Techniken der Visualisierung" wird gezeigt, dass das von der Tiefenpsychologie C. G. Jungs beeinflußte Werk des häufig als medienfeindlich erscheinenden Autors in besonderer Weise visualitätszentriert ist und der Gesichtssinn sowohl inhaltlich als auch stilistisch von lebensweltlicher Relevanz ist.

Die Bedeutungszunahme des Visuellen hat eine eigene Geschichte. Stefan Horlacher veranschaulicht auch sie: Sie beginnt - nicht zuletzt durch die "Aufspaltung der Sinne" - spätestens im 16. Jahrhundert. Die Tendenz zur Visualisierung nimmt im 17. Jahrhundert weiter zu. Erinnert wird an Keplers "Physik des Sehens" und die Erfindung optischer Geräte. Mit der Industrialisierung, Verstädterung und zunehmenden Bedeutung von Geschwindigkeit im 19. Jahrhundert ändern sich die Wahrnehmungs- und Bewußtseinsstrukturen des Menschen, der industrielle und der panoramatische Blick sowie der Blick des Flaneurs werden entwickelt. Da sich Identität von Außen nach Innen bildet, erlebt sich der Mensch über die Erfahrungen der anderen, die auf ihn selbst zurückgerichtet sind. Insofern wird die Fähigkeit zu wechselseitiger "Spiegelung" nach Horlacher zur Grundvoraussetzung dafür, daß der Mensch überhaupt so etwas wie eine persönliche Identität ausbildet. Die ältere und neuere Literatur, die sich spezifisch der Kritik des Sehens zugewandt hat, wird allerdings vernachlässigt.

In dem Kapitel über Fowles´ populärsten Roman "The French Lieutenant`s Woman", der den Männern eher das Auge (traditionell der edelste und göttlichste Sinn), den Frauen aber den Körper zuschreibt, wird das Thema Visualität in Form von magischen Blicken, panoptischen Mechanismen, Augenzauber, Seelenspiegelei, Blickduellen und Schaulust mit der feministischen Dimension des Textes verbunden. Eine Fülle von Aspekten tut sich da auf: Horlacher vermutet, dass der Mann mit seinem rational-wissenschaftlichen Auge und seinen Allmachtsfantasien nur mit Hilfe der Frau, die von ihm als "optisches Instrument" (als Brille) funktionalisiert wird, zum "richtigen" Sehen gelangt, denn in ihr koinzidieren Seelenauge und physisches Auge zu einer Ganzheit. Zudem gilt seine Aufmerksamkeit der Bedeutung und literarischen Umsetzung der Geschlechterrollenstereotypisierung und des phallic gaze, des männlichen Blicks als Instrument der Macht und der Identitätsfindung, der Malerei, der Kinematografie, der Fotografie und der Simulation. Fast nebenbei wird das Lesen von Bildern gelehrt: "Durch die Visualisierung der Kunstauffassung des Erzählers wird bildliche Kunst selbst zur Präsentationsfläche für die didaktische Botschaft des Textes."

Breiten Raum nimmt auch die Novelle "The Ebony Tower" ein. Sie präsentiert bereits auf der Inhaltsebene einen von der Internationalen Gotik bis zur Pop Art reichenden "Bilderbogen" und tendiert in ihrer Gesamtbewegung dahin, zum Bild oder gar zur Verfilmung als besonders dynamischer Umsetzung bildlicher Inhaltsstrukturen zu werden. Auf der Folie von Aufsätzen des französischen Phänomenologen Maurice Merleau-Ponty zur Ästhetik und Malerei sowie vor Fowles` Äußerungen zur Kunst verleiht Horlacher dem Text eine neue Dimension - sie reicht von der Wissenschaftskritik bis hin zur Konzeption von Kunst und Leben. Für Merleau-Ponty und Fowles gilt gleichermaßen: Das "wahre" Subjekt ist keine unmittelbare Gegenwärtigkeit für sich selbst, sondern erreicht sich nur durch die Welt, da die Grundlage der Existenz ein "In-der-Welt-Sein" ist.

Engagierter und ambitionierter ist der Schlußteil über John Fowles` opulentes, 1977 erschienenes Buch "Daniel Martin", das auf einer in der Regel konventionellen Nutzung der Bildmedien basiert. Horlachers Hauptaugenmerk gilt der narrativen Komplexität dieses Textes, die zu einer zunehmenden Unschärfe der Realitätsebenen führt und dadurch die Irrealität, die Sphäre des Unechten und der Kopie, sowohl Englands als auch Amerikas antizipiert. In diesem Universum wird alles zur Oberfläche. Offenbar lag es dem Autor am Herzen, zu allen diesen Fragen sein ceterum censeo abzugeben. Aber den geschundenen Leser beschleicht am Ende die Frage, ob es eine gute Idee war, von den Wiederholungen ganzer Passagen einmal abgesehen, dies alles in ein Buch zu packen.

Titelbild

Stefan Horlacher: Visualität und Visualitätskritik im Werk von John Fowles. Mannheimer Beiträge zur Sprach- und Literaturwissenschaft.
Gunter Narr Verlag, Tübingen 1998.
369 Seiten, 50,10 EUR.
ISBN-10: 3823350382

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